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Mit einem Umsatzzuwachs von 10 %, Tendenz steigend, befindet sich die Kapsch BusinessCom AG laut Vorstand Jochen Borenich „im Auge des Orkans“ – dank rasant zunehmender Digitalisierung nahezu in allen Sektoren. Ganz analog wird der Digitalisierungsexperte im Rahmen des „EMBA-Klassentreffens“ Anfang Juli als Speaker vortragen.
Jochen Borenich, Vorstand der Kapsch BusinessCom AG, zählt sich selbst zu den „EMBA 5“. Eingeweihte wissen: Es handelt sich dabei um die Abschlussklasse des Jahres 2005 des Global Executive MBA der WU Executive Academy (WU EA) und der Carlson School of Management (University of Minnesota). Nach dem Studium der Handelswissenschaften an der WU Wien heuerte Borenich 1999 zunächst bei debis Systemhaus, dem damaligen IT-Dienstleister der heutigen Daimler AG mit zu dieser Zeit weltweit 20.000 Mitarbeitern, an. Das Unternehmen wurde später von der Deutschen Telekom übernommen – und ebendort, bei T-Systems, stieg Borenich 2006 in die Geschäftsleitung auf. Den berufsbegleitenden MBA habe er auch aufgrund dieses – damals noch in Aussicht gestellten – Karrieresprungs in Angriff genommen. „Es stand eine branchen- und unternehmensübergreifende Führungsverantwortung im Raum, mit dem geografischen Schwerpunkt in Österreich und Osteuropa, die mich sehr gereizt hat“, sagt er. Was ebenfalls wichtig war, führt der COO weiter aus: der MBA als weltweit selbsterklärende Qualifikation sowie die Doppelakkreditierung in Europa und den USA. Wobei der MBA für Borenich eine von mehreren postgradualen Weiterbildungen – neben u. a. Trainings an der London Business School, der Insead oder Harvard – darstellt. Man müsse sich stets auf dem Laufenden halten; „die Halbwertszeit des Wissens“ werde immer kürzer, so Borenich, seit 2010 Mitglied des Kapsch-BusinessCom-Vorstands.
Die Kapsch BusinessCom AG erwirtschaftet jährlich rund 460 Millionen €, zählt 1.550 Mitarbeiter und gilt somit als Österreichs grösstes IT-Unternehmen mit dem regionalen Schwerpunkt in der DACH-Region. „Wir haben auch andere Standorte in Europa und darüber hinaus, unser Ziel ist es zunächst aber, der führende Digitalisierungsanbieter in Deutschland und in der Schweiz zu werden; in Österreich sind wir es schon“, so der COO, der sein Unternehmen im Augenblick „im Auge des Orkans“ sieht – „ganz einfach, weil sich jede Branche und jedes Unternehmen digitalisiert“ – nahezu ausnahmslos.
Corona sei ein Beschleuniger für diese Veränderung gewesen und ist gleichzeitig eine grosse Chance, über die zukünftige Wirtschaftsstruktur des Landes und den Wirtschaftsstandort Europa nachzudenken: „Wir nehmen aktuell den Trend zum ‚Reshoring‘ wahr. Nach den Trends ‚Nearshoring‘ in Richtung Osteuropa und ‚Offshoring‘ in Richtung Asien respektive China kommt jetzt das ‚Reshoring‘“, so Borenich – dabei wird als zentral erachtet, das Know-how wieder im eigenen Land zu haben.
Borenich: „Das ist deshalb wichtig, weil die Digitalisierung immer näher an Unternehmensprozesse heranrückt. Es reicht nicht, ein Callcenter in Indien anzurufen, ich brauche jemanden vor Ort mit entsprechendem Know-how, der mir hilft, mein Geschäft zu transformieren.“ Das komme der Kapsch BusinessCom als regionalem Partner stark entgegen. Borenich sichtet einige Unterlagen auf seinem Tisch: „Was ich mir in diesem Kontext immer wieder ansehe, sind die grössten Unternehmen nach Marktkapitalisierung weltweit.“ Er zieht ein Blatt hervor: „Von den zehn grössten Unternehmen der Welt sind acht Technologieunternehmen.“ Technologie verändere die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Art, wie wir leben, sagt er. „Wenn ich dann schaue, an welcher Stelle die europäischen Unternehmen stehen, dann sehe ich auf Platz 19 die erste Firma, aus Frankreich, nämlich LVMH.“ Für Borenich ein Arbeitsauftrag: Europaweit herrsche ein riesiger Aufholbedarf, sich genau über diesen Status quo Gedanken zu machen. Hier könne sein Unternehmen jedenfalls einen Beitrag leisten, sagt er.
Jochen Borenich (48)
... ist seit 2010 Mitglied des Vorstands in der Kapsch BusinessCom AG. Borenich studierte Handelswissenschaften an der WU Wien und absolvierte u. a. einen MBA an der WU EA.
In der Industrie kommt etwa künstliche Intelligenz (KI) in fünf bis sechs Prozent der Produktionen in Österreich zum Einsatz – für Borenich bedeutet das 95 % Potenzial: „Wenn ich es schaffe, durch KI die Produktion effizienter zu gestalten, Energie und den Ausschuss zu reduzieren, dann habe ich einen deutlichen Wettbewerbsvorteil. Wenn auf diese Weise eine Effizienzsteigerung erreicht und höhere Qualität produziert werden kann, dann gibt es auch keinen Grund mehr, im Ausland zu erzeugen. Dann kann ich im Rahmen einer Reindustrialisierung die Produktionen etwa von Asien wieder nach Europa holen“ – weil es darum gehen wird, ob die Schlüsselarbeitskräfte im Bereich der KI oder der Automatisierung im Land sind, und nicht darum, dass die günstigste Arbeitskraft am Fliessband steht.
Die Digitalisierung einer „alten“ Industrie birgt allerdings noch einige Hürden, die es zu meistern gilt. „Wir erleben im Augenblick eine Zeit, in der die IT in die Produktion, in die sogenannte OT (Operational Technology, Anm.), hineinwächst, wo also beide Bereiche miteinander verschmelzen. Sie müssen dabei aber wissen“, erklärt der Vorstand, „dass die Produktionen sehr proprietär und heterogen sind.“ Zum Teil stosse man einfach auch auf Maschinen, die 50 Jahre und älter sind. „Da gibt es keine Softwareschnittstellen, wo ich mich ‚anstöpseln‘ kann, sondern da muss ich mir genau überlegen, wo ich eine Kameratechnologie oder einen Akustiksensor anbringen kann. Oft geht es darum, Maschinen von analog auf digital aufzurüsten.“
Die IT sei der OT in der Entwicklung einfach deutlich voraus. „Sie ist viel standardisierter und homogenisierter“, so Borenich weiter. Und auch hier – wie eigentlich überall – ist Cybersecurity ein zentrales Thema: „Angriffe finden immer öfter auf Produktionsebene statt. Vielfach etwa haben Produktionen Fernwartungszugänge von Herstellern, die nicht selten völlig ungeschützt sind.“ In Sachen Cybersecurity gelte generell: Jeder Digitalisierungsschritt muss mit entsprechenden Cybersecurity-Massnahmen Hand in Hand gehen. Immer.
Spannende Projekte mit Einbindung von KI, Analytics und Automatisierung gebe es auch im Feld von Forschung und Entwicklung, so Borenich. Aktuell arbeitet Kapsch BusinessCom an einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der MedUni Graz im Bereich der digitalen Leberpathologie.
Was auf den ersten Blick überraschend erscheint, fügt sich beim zweiten Blick nahtlos in die Arbeit für den Wirtschaftsstandort als Teil der Unternehmensstrategie ein. Borenich erklärt zunächst das Projekt: Die MedUni Graz verfügt über leberpathologische Gewebeschnitte, die mit entsprechenden Diagnosen und Behandlungsmethoden katalogisiert sind. Kapsch BusinessCom scannt diese pathologischen Schnitte und versucht mittels KI, ein Vorschlagswesen zu entwickeln. „Würde man einen solchen Scan ausdrucken, hätte er eine Fläche von 7 × 14 Metern – und als Pathologe würden sie auf dieser Fläche mit einer Lupe zum Beispiel nach Krebszellen suchen“, sagt Borenich bildhaft. Mit einem entsprechenden Vorschlagswesen könnte sich der Pathologe auf bestimmte Bereiche in seiner Untersuchung konzentrieren, die die KI mittels ihrer „Erfahrung“ vorschlägt – alles mit dem Ziel, in kürzerer Zeit genauere und dadurch rascher potenziell lebensrettende Diagnosen zu ermöglichen. Borenich: „Heute holt man sich als Pathologe sinnbildlich gesprochen eine zweite Meinung ein; mit einem Vorschlagswesen dieser Art wären mehrere 100.000 Vergleichsscans und somit Vergleichsdiagnosen bei einer Entscheidung der Mediziner mitberücksichtigt.“
In einem grösseren Kontext gedacht kommt Borenich zum grösseren Bild einer Unternehmensstrategie, könnte man hier Standards in Europa setzen und mit solchen Technologien eine Gleichbehandlung aller Patienten ermöglichen, „egal, bei wem diese Menschen versichert sind“. Als Europäer ist es ihm wichtig, die Wertschöpfung in Europa zu halten, betont der Vorstand. Ein ähnliches Projekt läuft aktuell auch bei den Salzburger Landeskliniken im Bereich der Onkologie. „Wenn wir in der Medizin mehr KI einsetzen würden, als wir das jetzt im Augenblick noch tun“, so Borenich, „dann könnten wir um einiges effizienter arbeiten und eine höhere Behandlungsqualität für mehr Menschen ermöglichen.“ Die Demokratisierung dieser Zugänge sei nicht nur ihm ein Anliegen.
Es gibt einen Trend zum ‚Reshoring‘. Es wird wieder wichtiger, das Know- how vor Ort zu haben.
In einen „alltäglicheren“ Kontext fallen die Digitalisierungsmassnahmen im Bereich der Kundeninteraktion – sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich. „Im B2C-Bereich erleben wir den sogenannten ‚Amazon-Effekt‘: Alles muss einfach kommuniziert, bedienbar und 24/7 verfügbar sein“, sagt Borenich. Aber auch im B2B-Bereich werden die digitalen Kommunikationskanäle, besonders nach Corona, wichtiger. „Bis 2025 werden 80 % der Kundeninteraktionen auch im B2B-Bereich digital sein“, so Borenich. „Das heisst, à la longue wird das klassische Relationship-Management im Vertrieb von diesen Kanälen abgelöst werden.“ Und generell gilt, bei B2C ebenso wie bei B2B: Je jünger die Person, umso mehr digitale Kommunikationskanäle erwartet sie sich. Die Zuordnung zu den richtigen Sachbearbeitern erfolgt zunehmend automatisch, ebenso wie die Bearbeitung einfacher Anfragen direkt durch die KI. Es wird sich – so es sich nicht ohnedies schon verändert hat – vieles im Informationsaustausch, im Support und so auch nicht zuletzt in unserer Art, zu arbeiten und zu kommunizieren, wandeln.
Zu Letzterem blieb dem umtriebigen Kapsch-BusinessCom-Vorstand auch noch Zeit, gemeinsam mit Kollegen ein Buch zu schreiben: „Hybrides Arbeiten & Digitalisierung“, so der Titel des über 200-seitigen Werks. „Für uns war der Wechsel zum digitalen respektive hybriden Arbeiten keine grosse Umstellung, wir waren es gewohnt. Dazu kommt, dass wir im Vergleich zum Vorjahr 10 % Umsatzwachstum verzeichnen konnten und dies auch zum Anlass genommen haben, unsere Erfahrungen im Rahmen dieser Umstellung – was Strategien und Arbeitsweisen oder Führungsanforderungen betrifft – zu teilen. Hybrides Arbeiten ist gekommen, um zu bleiben“, sagt Borenich. „Untersuchungen zeigen, dass in 98 % der Meetings in Zukunft mindestens ein Teilnehmer oder eine Teilnehmerin virtuell anwesend sein wird.“ Andere Umfragen in Österreich ergaben, dass die Mehrheit auch nach Corona zwischen 25 und 50 % der Arbeitszeit im Homeoffice verbringen will. „Das Büro wird somit mehr zum Ort der Begegnung und des kreativen Austauschs“, heisst es auch im Buch.
Austausch ist auch beim Wiedersehen mit den Kollegen der EMBA5-Abschlussklasse zu erwarten. Borenich freut sich: „Es wird nach langer coronabedingter Pause eines der ersten physischen Treffen für mich sein.“
Text: Heidi Aichinger
Fotos: Gianmaria Gava
Diese Advoice erschien in unserer Ausgabe 5–21 zum Thema „Travel & Tourism“.