Der Fragensteller

Problemlöser oder Fragensteller? Für Leif Huff, Deutschland-Chef von Ideo, müssen Designer beides sein.

Was ist Design eigentlich? Diese einfache Frage muss geklärt sein, bevor sich ein sinnvolles Gespräch zu diesem Thema führen lässt. Doch einfach ist die Frage leider nur auf den ersten Blick. Denn die Auslegung, was Design ist, kann sich massiv unterscheiden. So sieht Roman Mars, Gestalter des beliebten Design- und Architekturpodcasts „99 Percent Invisible“, Design als Erfüllung eines Bedürfnisses oder Lösung eines Problems. Der ehemalige IBM-Chef Thomas Watson Jr. sagte: „Good Design is Good Business.“ Und für Apple-Gründer Steve Jobs umschloss Design mehr als nur das Aussehen: „Design ist nicht nur, wie Etwas aussieht oder sich anfühlt. Design ist wie es funktioniert.“

Leif Huff hat seine eigene Auslegung: „De­signer werden oft als Problemlöser bezeichnet. Doch zuallererst muss das Problem identifiziert werden. Somit sind Designer auch Fragensteller. Die beiden Begriffe gehören zusammen.“ Und: „Wir fangen oft mit einer ganz breiten Fragestellung an – und wissen noch gar nicht, wie wir sie beantworten können.“ Huff ist Executive Design Director und Geschäftsführer der Münchner Niederlassung von Ideo. Ideo ist wiederum eine der bekanntesten Design- und Innovations­beratungsagenturen der Welt. 1991 in den USA gegründet, hat das Unternehmen heute über 700 Mitarbeiter in neun Büros.

Bekannt wurde Ideo vor allem für sein Konzept des „Human-­Centered Designs“, das eng mit dem populären Konzept „Design Thinking“ verbunden ist. Ideo-CEO Tim Brown gilt als wichtiger Vertreter der Strömung, die komplexe Probleme schneller und besser lösen und die richtigen Antworten auf knifflige Fragen finden soll. Design Thinking setzt neben einer radikalen Ausrichtung auf Kundenbedürfnisse vor allem auf iterative Prozessschritte und ständiges Einholen von Kunden­feedback, um Produkte so zu optimieren.

Für Huff geht das Konzept aber über diese formale Definition hinaus: „Design Thinking ist kein Prozess, sondern eine Haltung.“ Der Aufstieg dieser Ideen hat auch die Rolle von Designern – und damit auch jene von Leif Huff – verändert: „Design ist ein holistischer, integrativer Ansatz. Wir mussten zu Beginn viel Überzeugungsarbeit leisten, weil der Designbegriff in Deutschland stark mit der Gestaltung von Produkten verbunden ist.“ Bei Ideo sitzen Designer aber von Anfang an mit am Tisch: „Wir fangen heute viel früher an, zu designen. Wir gehen bereits in die Recherche­phase mit sogenannten ‚Sacrificial concepts‘, die man schnell entwickeln und wieder ­verwerfen kann.“

Die Veränderung der Sichtweise von Design erlebte Huff bei Ideo hautnah mit. Der Deutsche verbrachte fast sein gesamtes Berufsleben bei der Innovationsagentur, heuerte direkt nach dem Studium im Büro in Boston an. Er wechselte als leitender Designer an die ­US-Westküste nach Palo Alto, bevor er sein berufliches Zuhause verliess, um drei Jahre bei Siemens tätig zu sein. „Dort lernte ich die Corporate-Welt kennen“, sagt Huff. 2001 gründete er das Ideo-Büro in München mit, das aus einem von Ideo und BMW gemeinsam betriebenen Lab hervorging. Nach 17 Jahren in der Heimat zieht es Huff nun wieder in die USA: Ab Oktober wird er Executive Design Director bei Ideo in New York.

Dass Design nicht nur eine ästhetische Komponente hat, sondern auch die Profitabilität steigern kann, zeigte eine Berechnung des in Boston ansässigen Design Management Institute. Demnach lag die Performance eines Aktienindex, bestehend aus „Design-driven Companies“, zwischen 2004 und 2014 satte 219 Prozent höher als jene des US-Leitindex S&P 500 (aktuellere Zahlen waren nicht verfügbar). Die positiven Effekte einer kreativen Unternehmenskultur sind schon länger bekannt.

Doch ganz so einfach ist es dann auch nicht. Denn die Grundprinzipien des Design-Thinking-Ansatzes – etwa flache Hierarchien oder eine offen gelebte Fehlerkultur – sind in traditionellen Unternehmen oft nur schwer umsetzbar. Unternehmen sind darauf ausgerichtet, möglichst schnell einfach replizierbare Produkte auf den Markt zu bringen. Grosse Unternehmen haben hingegen klare Hierarchien und wenig Zeit für iterative Prozessschritte.

In einem Artikel mit dem Titel „Why Design Thinking in Business Needs a Rethink“ des MIT Sloan Management Review fordern die Professoren Martin Kupp (EXSP Europe) und Jamie Anderson (Antwerp Management School) sowie der Künstler Jörg Reckhenrich daher auch von Unternehmen eine neue Einstellung bezüglich Design Thinking. So sollten sie etwa ausgewogene Teams auf solche Prozesse ansetzen, das Konzept voll in die Produktentwicklung integrieren und andere Kennzahlen als Gewinn anführen, da Design Thinking vor allem zu Beginn von Innovationen wirksam sei.

Kritiker sind da schon härter. Natasha Jen, Partnerin beim britischen Designberatungsunternehmen Pentagram, zweifelte in einem Vortrag 2017 die Sinnhaftigkeit von Design Thinking an. In ihrer Rede mit dem Titel „Why Design Thinking is Bullshit“ kritisierte sie, dass das Konzept zu einem Buzzword verkommen und auf pseudovisionäre Brainstorming-sessions mit hübschen Post-its reduziert worden sei. Jen sagt, dass die „Reduktion komplexer Mindsets zur Problemlösung auf fünf simple Schritte“ den Eindruck erwecke, dass Design einfach sei – wobei es doch genau das Gegenteil davon sei.

Bruce Nussbaum, Universitätsprofesser für Design und Innovation und ehemals grosser Befürworter, bezeichnete das Experiment „Design Thinking“ bereits 2011 als gescheitert. Laut Nussbaum hätten Unternehmen den Prozess „gestreamlinet“ und Design Thinking zu zu einer linearen, abgeschlossenen Methodologie gemacht, die nur noch nach Vorschrift funktioniert und im besten Fall inkrementelle Veränderung und Innovation liefert.“

Leif Huff würde die Kritik vermutlich nicht unterschreiben, doch auch er weiss, dass das Konzept kein Wundermittel ist: „Es ist falsch, wenn Unternehmen auf operative Qualität und Optimierung ausgelegt sind und dann denken, dass Design Thinking ein Heilsbringer ist. Ich halte es für schwierig, einfach so weiterzumachen wie bisher und Design Thinking nur als neue Methode zu nutzen.“

Trotz Einschränkungen hat auf Designprinzipien basierende Beratung in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Ideo hat etwa Kunden wie den deutschen Onlinehändler Zalando oder die Lufthansa-Gruppe. Doch der Aufstieg des Konzepts ist für Ideo Fluch und Segen zugleich: „Wir haben mitgeholfen, Design in den Business- und Beratungskontext zu bringen. Wir sind in Deutschland konsistent erfolgreich, sind jedes Jahr gewachsen. Aber man muss auch sagen, dass der Markt ziemlich voll ist – einfach ist das Geschäft nicht.“ Beziffern will Huff den Erfolg von Ideo jedoch nicht. Die Gruppe, zu deren Eigentümern neben den Partnern auch die Agenturgruppe Kyu Collective gehört, macht keine detaillierten Angaben zu Zahlen. Zuletzt lag der globale Umsatz bei rund 130 Millionen US-$; er dürfte mittlerweile aber höher ausfallen.

Leif Huff
Huff studierte Design an der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd sowie der Cranbrook Academy of Art. Seine Karriere startete er bei Ideo in Boston, bevor er zu Siemens wechselte. 2001 gründete Huff das Münchner Ideo-Büro mit, das er seither als Geschäftsführer leitet. Im Herbst 2018 wird er Executive Design Director für Ideo in New York.

Denn neben den Beratungsunternehmen, die ursprünglich aus der Designwelt in die Wirtschaft gekommen sind, zeigt sich seit Kurzem auch ein Trend in die andere Richtung: Grosse Beratungshäuser kaufen Designunternehmen, um ebenfalls mithalten zu können. So kaufte Deloitte 2016 unter anderem die Designagentur Heat, Accenture schnappte sich wiederum 2013 die britisch-schwedische Designagentur Fjord und 2017 62 Prozent an der deutschen Digitalagentur Sinnerschrader. Letztendlich will sich Ideo in allem, was es tut, durch seinen klaren Purpose abgrenzen: Impact Through Design. Huff: „Wir wollen Design nicht als Fingerübung oder therapeutische Massnahme einsetzen, sondern Impact und Einfluss haben. Wir können grossen Einfluss auf Veränderungen haben, egal, ob in Unternehmen oder sogar gesellschaftlich.“

Und tatsächlich findet sich ein gewisser Designfokus mittlerweile auch in so einigen grösseren Kontexten wieder. So etwa im Experiment Finnlands mit der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens, das die Arbeitslosenquote im Land (8,8 Prozent) senken sollte. Der zwischenzeitlich von der Regierung gestoppte Versuch (endet Anfang 2019, Anm.) war von Ansätzen aus dem Design Thinking inspiriert. Die Regierung kooperierte zu diesem Zweck mit dem Thinktank Demos Helsinki. Anstatt dem Erlass vieler Gesetze, sollte der Versuch iterativ gestaltet und Feedback der rund 2.000 Teilnehmer eingeholt werden.

Und auch unser gesamtes Wirtschaftssystem könnte schon bald Denkansätze verpasst bekommen, die Design Thinking verdächtig ähneln. So forderte der Strategieberater und Autor Roger Martin im Dezember im Interview mit der deutschsprachigen Ausgabe von Forbes eine neue Ära – den Kundenkapitalismus. Martin: „Unternehmen, die sich auf Shareholder Value konzentrieren, kreieren kaum einen solchen. Diejenigen aber, die Kundenzufriedenheit anstreben, schaffen einen Mehrwert für die Aktionäre.“ Martin fordert, dass Unternehmen sich radikal auf ihre Kunden konzentrieren müssen, statt Gewinne maximieren zu wollen. Klingt bekannt, oder? In Zukunft will sich Ideo jedenfalls mit Themen beschäftigen, die auch den Kunden ­Kopfzerbrechen bereiten. Dazu gehört die Veränderung von Unternehmen durch die Digitalisierung oder das Thema künstliche Intelligenz. Huff: „Künstliche Intelligenz wird sehr viele Veränderungen herbeiführen. Die Frage muss lauten: Macht das wirklich Sinn für die Menschen? Die Lösungen müssen mehr können, als nur Menschen effizienter und Unternehmen profitabler zu machen.“

Der dritte grosse Themenblock ist die Kreislaufwirtschaft. Auch wenn die Konkurrenz nicht schläft, dürfte Leif Huff und seinen Kollegen bei Ideo also auch in Zukunft nicht langweilig werden. Einzig die Probleme werden komplexer – Zeit, für die richtigen Fragen.

Dieser Artikel ist in unserer Sommer-Ausgabe 2018 „Stadt – Land – Berg“ erschienen.

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