DER DUFT DES ERFOLGS

Hinter den Kulissen – so mag es Firmenich. Das grösste private Duft- und Geschmacksunternehmen der Welt ist überall und nirgends zugleich. CEO Gilbert Ghostine, der täglich rund vier Milliarden Verbraucher auf der ganzen Welt bedient, legt seinen Spielplan dar, um ein 125 Jahre altes Erbe im Einklang mit den flüchtigen Verbrauchertrends zu halten.

„Man denke an die Palette eines Malers“, beginnt Gilbert Ghostine. „Die Ingredienzien sind die Farben – der Parfümeur oder Aromatiker muss aus diesen Farben auswählen, um das Gemälde zu malen.“ So erklärt uns der CEO von Firmenich die Kunst seines Geschäfts. Mit 10.000 Mitarbeitern weltweit und einem Jahresumsatz von mehr als 3,9 Milliarden CHF ist das Unternehmen der zweitgrösste Konkurrent von Givaudan. Trotzdem wird Firmenich selten gesehen oder gehört: Sein B2B-Geschäft wird von den globalen Konsum­giganten, die das Unternehmen bedient, überdeckt. Dabei spielen Firmenichs Aromen und Düfte eine entscheidende Rolle in unserem Alltag – von den Frühstücks­flocken, die wir essen, über das Par­fum, das wir tragen, bis hin zum Waschmittel, das wir benutzen. Die 83 Tochtergesellschaften des Duft- und Geschmacksriesen bedienen Kunden in über 140 Märkten weltweit, wobei Nordamerika, Indien und China allein in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 ein zweistelliges Wachstum verzeichneten.

Produkte gut schmecken und riechen zu lassen scheint auf den ersten Blick ein kreatives Geschäft zu sein. Dahinter steckt aber jahrzehntelange Wissenschaft. Firmenich ist in drei Segmente aufgeteilt: Düfte (das grösste Segment), Geschmack und Ernährung sowie Inhaltsstoffe. Das Unter­nehmen prüft und testet jedes Jahr etwa 2.000 neue Moleküle, von denen nur drei oder vier in der Duft- und Geschmacksdatenbank landen. Das Team aus Parfümeuren und Flavoristen kombiniert die Moleküle, bis sie sich schliesslich zu einem stimmigen „Gemälde“ zusammenfügen – so ist das Geschäftsmodell von Firmenich seit 125 Jahren. Doch wie jedes Unternehmen im vergangenen Jahr gelernt hat, kommt man in einer weltweiten Gesundheitskrise nicht weit, wenn man sich auf ein erprobtes Modell verlässt. „Als CEO bin ich normalerweise langfristig orientiert – während der Pandemie war meine Sicht auf ein paar Stunden begrenzt“, so Ghostine. Der CEO teilte sodann das Managementteam in zwei Gruppen ein: eine, die das Tagesgeschäft (Roh­stoffe, Fabriken, Labore und Logistik) be­aufsichtigte, und die andere, die über die Zukunft nachdachte, einschliesslich Verbrauchertrends.

Das Geschäft von Firmenich hat seit dem ­Ausbruch des Coronavirus in zwei Bereichen stark gelitten: bei den edlen Düften und im Lebens­mittelbereich. Abriegelungen und Reisebeschränkungen haben den Absatz von Parfums und Eaux de Toilette im Prestigebereich – viele davon wer­den in Duty-free-Shops an Flughäfen und bei Fluggesellschaften verkauft – stark beeinträchtigt. Auch Firmenichs Gewürzsparte litt; immerhin stellt sie die Gewürze und Aromen für einige der bekanntesten Lebensmittelketten her. Und so änderte Firmenich den Kurs: Das Unternehmen liess seine Fabriken während der Schliessungen mit voller Kapazität laufen, änderte aber seinen Fokus. Plötzlich erzeugten die 45 Produktionsstätten 100 Tonnen Handdesinfektionsmittel, und Fir­menich verstärkte seine Aktivitäten im Bereich Gesundheit und Hygiene. „Selbst während einer Pandemie müssen sich die Menschen morgens die Zähne putzen“, fährt CEO Ghostine fort. „Sie müssen sich häufiger die Hände waschen, ihre Häuser putzen, essen und trinken. Firmenich betreibt also ein für den Alltag in vielerlei Hinsicht essenzi­elles Geschäft.“ Der Umsatz des Unter­nehmens wuchs im Jahr 2020 bis Juni um 2,8 %, was unter anderem auf die Bereiche Körperpflege und Haushaltspflege zurückzuführen ist.

Man denke an die Palette eines Malers: Die Ingredienzien sind die Farben – der Parfümeur oder Aromatiker muss aus diesen Farben auswählen, um das Gemälde zu malen.

Die Geschichte von Firmenich beginnt im Jahr 1895 – in einem Schuppen im Garten von Charles Firmenich. Hier entwickelten Philippe Chuit, ein Chemiker, und Martin Naef, ein Geschäftsmann, ihre ersten Moleküle, während sie die Garage mieteten. Firmenichs Sohn Frédéric trat fünf Jahre später in das Unternehmen ein, 1934 wurde die Firma offiziell zu Firmenich & Co., ­nachdem die Familie die kontrollierende Mehrheit übernommen hatte. Seitdem ist die Geschichte des Unternehmens eine Historie der kontinuierlichen Expansion über fünf Generationen hinweg – mit der Einführung einer Aromenabteilung und der Gründung von Tochtergesellschaften in New York, London und São Paulo. Während die Familie heute immer noch 100 % der Firmenanteile besitzt, hat sie nur vier der neun Sitze im Vorstand inne – und kein Familienmitglied sitzt im Exekutivausschuss.

Ghostine ist der erste Firmenich-CEO, der nicht der gleichnamigen Familie entstammt. Sein Vorgänger Patrick Firmenich war zwölf Jahre lang in dieser Position. Wie arbeitet ein Aussenstehender in einem Familienunternehmen? Gibt es Kon­flikte und Spannungen? Fragen, die dem 61-Jährigen oft gestellt werden – und die er diplomatisch beantwortet: „Ich kann Ihnen sagen, dass wir bei Firmenich das Beste aus beiden Welten kombi­nieren: die Strenge und Verantwortlichkeit von börsennotierten Unternehmen und die Leidenschaft und die langfristige Vision von Privatunternehmen.“ Geboren in einer katholischen Familie in Beirut, Libanon, scheinen Ghostines Jugendjahre eine Welt entfernt von den Annehmlichkeiten des Genfer Hauptsitzes, in dem unser Gespräch stattfindet. Er wuchs während des libanesischen Bürgerkriegs auf, der von 1975 bis 1990 andauerte. „Ich war 15, als der Krieg im Libanon begann und unser Leben plötzlich auf den Kopf gestellt wur­de“, erinnert er sich. „Es war nicht ein­fach, denn die grundlegenden Dinge des Lebens wurden ex­trem kompliziert, etwa der Zugang zu Wasser und Strom. Selbst wenn man zur Uni ging, musste man den Kugeln der Scharfschützen ausweichen.“ Das Handwerkszeug, das er in seiner Kindheit gesammelt hat, hat er während seiner gesamten internationalen Karriere eingesetzt: Widerstandsfähigkeit, Krisenmanagement und einen Sinn für Optimismus. Vor Firmenich war Ghostine 21 Jahre lang beim führenden Spirituosenunternehmen Diageo (mit Marken wie Smirnoff und Guinness) tätig, wo er die Region Asien/Pazifik leitete.

Der Firmenich-Hauptsitz liegt etwas ausserhalb des Genfer Stadtzentrums in Satigny, einem der grössten Weinbaugebiete des Landes. Ein passender Ort, da der Kanton oft als das „Silicon Valley der Geschmäcker und Düfte“ bezeichnet wird (die Branche generiert 12 % der Genfer Exporte). „Firmenich ist ein Unternehmen, das fast 4.000 aktive Patente hat“, sagt Ghostine. „Wir haben 450 Wissenschaftler und sechs grosse Forschungszentren auf der Welt – das grösste davon ist in Genf.“ Jedes Jahr investiert das Unternehmen 10 % seines Umsatzes in Forschung und Entwicklung. 2018 schloss sich Firmenich mit der führenden Schweizer Forschungsuniversität École polytechnique fédérale de Lausanne zusammen, um ein digitales Labor zu eröffnen. Bis 2020 entstand dort das weltweit erste mit künstlicher Intelligenz entwickelte Aroma, ein leicht gegrillter Rindfleischgeschmack für pflanz­liche Fleischalternativen. Auch der grösste Konkurrent, Givaudan, denkt in dieselbe Richtung, nachdem er im Februar angekündigt hatte, das französische KI-Startup Myrissi für einen ungenannten Betrag zu übernehmen. Aber was bedeutet das Aufkommen von KI in der Branche für die unzähligen Aromatiker und Parfümeure, die Jahre damit verbracht haben, ihr Handwerk zu perfektionieren? „Unsere KI-Algorithmen können bis zu 80 % der Basis eines Parfums erstellen, aber 20 % bleiben immer die einzigartige Handschrift unserer Parfümeure“, sagt Ghostine.

Gilbert Ghostine
... absolvierte einen Master in Business Administration an der St. Joseph University in Beirut und war unter anderem beim Spirituosenkonzern Diageo als Präsident für Asien/Pazifik tätig. 2014 stieg er als CEO bei Firmenich ein.

Die Wachstumsphilosophie von Firmenich lässt sich in einem Wort zusammenfassen: organisch. „Wir sind in den letzten sieben Jahren um 5 % organisch gewachsen“, sagt Ghostine. „Orga­nisches Wachstum ist unsere Priorität, aber als Unternehmen werden wir immer nach Akquisi­tionen und anorganischem Wachstum Ausschau halten, um unsere aktuelle Präsenz zu ergänzen.“ Seit 2016 hat Firmenich 13 Akquisitionen getätigt, die grösste ist DRT, die auf Pflanzenchemie spezi­alisiert ist und einen Jahresumsatz von mehr als 550 Millionen € hat. „Mit unserem neuen Strategieplan, der ‚Transform 25‘ heisst, haben wir nun den Ehrgeiz, ein Wachstum im mittleren ein­stelligen Bereich zu erreichen“, so Ghostine. Er ist sich bewusst, dass die grösste Herausforderung darin bestehen wird, mit den Verbrauchertrends Schritt zu halten, bevor es zu spät ist. „Wir sehen, dass unser Geschäft mit der Zuckerreduzierung durch die Decke geht, weil jeder Zucker durch natürliche Moleküle ersetzen will, ohne den Ge­schmack zu verändern.“ Ghostine fühlt sich in seiner Rolle wohl: „Ich hatte das Glück, meine Bestimmung sehr früh zu finden; als ich 19 Jahre alt war, während des Libanonkriegs: einen positiven Beitrag für die Menschen und die Gesellschaft zu leisten. Und das werde ich auch weiterhin tun.“

Text: Olivia Chang
Fotos: Alex Teuscher

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 3–21 zum Thema „Künstliche Intelligenz“.

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