DER CHARME DES UNFERTIGEN

Philipp Westermeyer machte die Digitalkonferenz OMR zu einer der grössten ihrer Art in Deutschland. Rund um das Flagship-Event hat der Unternehmer in den letzten Jahren ein Medienhaus modernen Schlags aufgebaut.

Kurz vor Beginn des Interviews muss Philipp ­Westermeyer noch ein kleines Problem lösen – denn gerade wollte sich der Unternehmer ­setzen, um noch schnell zu essen. Dass einer der rund 90 Mitarbeiter seines Unternehmens sich den Reis geschnappt hat, den Westermeyer zu seinem Kimchi essen wollte, macht das Unterfangen ungleich anspruchsvoller. Westermeyer denkt kurz nach, ­bevor er verschwindet – kurz darauf kehrt er mit einer Schüssel Reis zurück. „Problem gelöst“, grinst der 40-Jährige. Er habe mit einem Mitarbeiter geteilt, erklärt Westermeyer.

Nachdem diese erste Hürde genommen ist, ­beginnt der Wahlhamburger zu erzählen: Wie er nach seiner Jugend in Essen nach New York zog, wie er nach der Rückkehr sein Studium abschloss, wie er zwei Unternehmen gründete und verkaufte – und vor allem, wie er aus einem Seminar mit 200 Gästen binnen acht Jahren Deutschlands ­führende Digitalkonferenz mit 52.000 Besuchern machte. Doch seine 90 Mitarbeiter ernährt Wes­termeyer nicht mit nur einer Konferenz. Vielmehr hat er die Marke OMR (Online Marketing Rockstars), die auch durch das rasante Wachstum der Digitalökonomie inhaltlich aus der ­Nische in den Mainstream geschwemmt wurde, genutzt, um ein modernes Medienhaus ­aufzubauen. Neben Events verdient OMR sein Geld in der ­Tochterfirma Pod­stars mit der Konzeption, Produktion und Vermarktung von Podcasts, mit dem Erstellen von themenspezifischen Reports sowie mit Weiter­bildungsaktivitäten allgemein (E-Learning, Se­minare etc.).

Westermeyer sieht den Erfolg des ­eigenen Unternehmens vor allem in der Unschuld der ­Anfangszeit begründet. „Wir haben OMR damals als Hobby gestartet, die ersten Jahre ­musste niemand davon leben. Das alles konnte langsam und organisch wachsen.“ Heute ist die ­unschuldige ­Jugend in gewisser Weise passé: Die Hälfte des Umsatzes seines Unternehmens Ramp 106, das laut Westermeyer 2019 rund 20 Millionen € erreichen wird, stammt vom Festival. Partner wie Adobe (von Anfang an dabei), Audi oder Facebook sind globale Konzerne, die eine professionelle Veranstaltung erwarten. Und doch will Westermeyer trotz des angestrebten Wachstums – er glaubt, die Konferenz in Sachen Besucher und Aussteller noch nahezu verdoppeln zu können – den „Charme des Unfertigen“, wie er selbst es beschreibt, bewahren.

Philipp Westermeyer, OMR, Hamburg 2

Philipp Westermeyer
... wurde 1979 in Essen geboren. Er studierte BWL und Medienmanagement in Dortmund und Hamburg und verkaufte zwei Start-ups (Adyard, Metrigo), bevor er das Medienhaus Online Marketing Rockstars (OMR) gründete.

Improvisation statt Perfektion

Die Frage, ob er ein Perfektionist sei, verneint Westermeyer. „Das geht als Konferenzveranstalter gar nicht.“ In zwei Tagen müssten manche Dinge zwar unbedingt funktionieren, ­Perfektion sei aber nicht möglich. Und auch nicht erstrebenswert: „Dinge, die zu professionell sind, ­wirken ­künstlich.“ Und so holt sich Westermeyer seine ­Inspiration nicht bei anderen Branchenevents, sondern im Amateursport. „Ich war letztens bei einem Amateurfussballspiel. Und das hat diesen Charme des Unfertigen – wenn die Anzeigetafel mal ­kaputt ist, der Platzwart die falsche CD einlegt oder die Einlaufkinder unterschiedliche Dressen ­anhaben. Da fällt der Erwartungsdruck weg, das macht Spass – da können wir viel lernen.“

Für Improvisationstalent und Experimentierfreudigkeit ist OMR seit jeher bekannt. Das kann aber auch schiefgehen: Vor drei Jahren, als die Veranstaltung das erste Mal in den Hamburger Messe­hallen stattfand, wollte OMR das Payment selbst organisieren. Als die Technik ausfiel, konnten die Gäste das Gelände nicht betreten und für Essen und Getränke nicht bezahlen. Westermeyer entschied, dass das Essen bis 17:00 Uhr kostenlos ausgegeben wird. 15.000 Gäste einen Tag lang zu verköstigen, kostete das Unternehmen über 100.000 €, sollte sich langfristig aber auszahlen. „Das war erst mal richtig blöd. Im Nachhinein war es aber eine super Geschichte, weil es gezeigt hat, wie wir ­eigentlich ticken.“ Bei einer Afterparty, die Wester­meyer mittlerweile stets während der Dmexco in Köln veranstaltet, tauchte unerwartet die Fussballmannschaft von Bayer Leverkusen nach einem Champions-League-Spiel auf. Einer der Profis kaufte an Ort und Stelle einen nagelneuen Audi A8. Und als Westermeyer 2017 ein geeigneter Keynote-Speaker für die Konferenz fehlte, hielt er die Rede einfach selbst. „The State of the German Internet“ galt 2019 als ­eines der Highlights der Konferenz, seit Mai sammelte die Rede auf Youtube 32.000 Klicks.

Aber auch anderswo ist OMR hungrig. Das Podcast-Geschäft wurde mittlerweile unter dem Namen Podstars GmbH ausgegründet. „Beschäftigt sind bei Podstars aktuell zwölf Mitarbeiter, die Zahl wird bis zum Jahresende vermutlich steigen.“ Eine genaue Umsatzzahl will ­Westermeyer nicht nennen, 2019 soll Podstars aber „­einen soliden siebenstelligen Umsatz erzielen“. ­Neben dem eigenen OMR-Podcast, der je nach Folge auf ­circa 45.000 Hörer kommt, ­vermarktet und konzipiert das Podstars-Team auch ­fremde Programme. So wird mit Koch Tim ­Mälzer der „­Fiete Gastro“-Podcast umgesetzt, mit den Hummels-Brüdern Mats und Jonas (Ersterer ist Profi­fussballer bei ­Borussia Dortmund) ein Sportprogramm gemacht. In der Regel gehen die Einnahmen zu 40 % an Pod­stars und zu 60 % an die Protagonisten.

Wir haben OMR 2011 als Hobby gestartet, das konnte alles langsam und organisch wachsen.

Das Potenzial ist da: 2019 gaben laut dem ­Datenanbieter Statista 35 % der US-­Amerikaner an, im vorangegangenen Monat zumindest ­einen Podcast gehört zu haben; in Österreich lag die Zahl bei 32 %, in der Schweiz bei 30 %, in Deutschland bei 21 %. Und auch der Werbemarkt wacht auf: In den USA wurden 2018 479 Millionen US-$ für Werbung in Podcasts ausgegeben, eine Steigerung um 53 % zum Vorjahr. Zum Vergleich: Die TV-Ausgaben betrugen 2018 70 Milliarden US-$, im Digitalbereich waren es 129 Milliarden US-$ (vergleichbare Zahlen für den deutschsprachigen Raum sind aktuell nicht zu finden). Auch der Bereich Weiterbildung soll wachsen: Mit Reports, die als eine Art „White­paper light“ um 119 € gekauft werden können (bzw. 99 € als Monatsabo), wird Expertenwissen zu Kernthemen weitergegeben. Auch E-Learning soll an der OMR Academy angeboten werden. In gewisser Weise ist das auch eine Rückkehr zu den Anfängen als Seminaranbieter.

Prägende Zeiten in New York

Philipp Westermeyers Mutter war Grundschullehrerin, der Vater war in verschiedenen Projekten selbstständig. „Er hat immer wieder Dinge sehr gut ins Laufen gebracht, richtig gut funktio­niert hat langfristig aber nichts.“ So ­sammelte der Vater bei Auslandsreisen Ideen; sah etwa, wie ­beliebt Baguettes sind – und fing an, diese nach Deutschland zu importieren. Das unstete Geschäft des Vaters wirkte sich auch auf die finanzielle Lage der Familie aus. „Es war zwischenzeitlich immer wieder mal prekär, aber nie existenzbedrohend“, so Westermeyer. Er selbst wollte Journalist werden, versuchte sich als Lokalreporter, vor allem im Sportbereich. Als er mit 19 Jahren eine Amerikanerin kennenlernte, zog Westermeyer 1999 kurzerhand nach New York. „Das war eine extrem prägende Zeit für mich.“ Er studierte in Dortmund BWL, kam aber nur für die Prüfungen nach Deutschland. In New York lebte er im Studentenheim und jobbte.

Er verbrachte seine Zeit mit Schauspielern, Models, Kreativen – und merkte, dass er sich ranhalten muss. „Nichts machen hiess kellnern, das wollte ich nicht.“ Westermeyer lernte fleissig für seine Prüfungen, organisierte sich Praktika, etwa im Investmentbanking. Mit der Beziehung endete auch Wester­meyers USA-Aufenthalt. Er kam über ­seine Abschluss­arbeit, die er zur Gründung von Zeitschriften verfasste, mit Betreuer Armin Rott zusammen, der ihn zur neu gegründeten Media School in Hamburg brachte, wo Westermeyer seinen Master absolvierte. Sein erster Job führte ihn als Vorstandsassistent zu Gruner+Jahr. Es war 2006, die erste Welle deutscher Start-ups fing an, und Wes­termeyer sass im Meeting, als die Gründer von ­StudiVZ ihre Idee pitchten. Kurz danach kaufte der Holtzbrinck-Verlag das damals populäre Netzwerk für 100 Millionen € – Westermeyer war inspiriert.

Gemeinsam mit Tobias Schlottke und Christian Müller gründete er 2009 parallel zu seiner ­Tätigkeit bei Gruner+Jahr (damals war er bereits im Investmentteam tätig) Adyard, ein auf SEO spezialisiertes Start-up. Das Geschäft lief, Westermeyer kündigte seinen Job und verkaufte das Start-up nur zwei Jahre später wieder – ausgerechnet an seinen alten Arbeitgeber. Der genaue Preis ist nicht öffentlich, der Betrag sei aber „siebenstellig“ gewesen, sagt Westermeyer. Mit dem Geld gründete das Trio 2011 erneut, und zwar eine Vermittlungsplattform für Bannerwerbung, Metrigo. Bannerplätze wurden günstig eingekauft und nach dem Blind-Network-Prinzip (die Kunden wussten also nicht, wo die Werbung ausgespielt wird) an Kunden teurer weiterverkauft. Auch hier war das Unternehmen erfolgreich – erst ging ein Mehrheitsanteil an die Axel-Springer-Tochter Zanox, bevor die Anteile wegen Differenzen mit Zanox zurückgekauft und 2015 an Zalando verkauft wurden. Damals hatte Westermeyer bereits mit OMR gestartet; ursprünglich auf der Media School als ­Seminar für Onlinemarketing, da ihn Bekannte um Rat und Wissen gefragt hatten. Geld war noch nicht viel vorhanden, von Anfang an prägte Westermeyer jedoch die DNA des Events. „Ich wollte nie nur ein Seminar machen, das sollte immer etwas Cooles sein. Ein kleines Fest – mit Lernen“, sagt Westermeyer.

Kein Druck von Investoren

Dass sein eigenes Unternehmen ­skaliert wie jene zuvor, glaubt Westermeyer nicht. Dennoch sieht er durchaus Potenzial, eine „echte ­Medienfirma“ aufzubauen – mit 100 oder 200 Mitarbeitern; um all die Dinge zu machen, die im ­Medienbereich noch Spass bringen. Der Druck von Investoren sei ja nicht da, auch heute ­halten nur Westermeyer, Schlottke und Müller ­Anteile (Letzterer ist operativ jedoch nicht mehr involviert). Kann sich der OMR-Macher denn vorstellen, das Unternehmen jemals zu verkaufen? „Das ist ein bisschen wie im Bundesligafussball, wenn Spieler nach einem möglichen Wechsel gefragt werden. Ich traue mich nicht, zu sagen, dass ich das nie tun würde. Im Moment sehe ich es aber nicht.“ Wäre ja auch uncharmant, wenn alles schon wieder fertig wäre, nicht?

Text: Klaus Fiala
Fotos: Georg Tedeschi

Dieser Artikel ist in unserer Oktober-Ausgabe 2019 „Handel“ erschienen.

Forbes Editors

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