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Milliardenschwer durch Nachhilfe: Das Unicorn GoStudent ist mit einer Bewertung von drei Milliarden € eines der wertvollsten Start-ups Österreichs. Die jungen Wiener Gründer Felix Ohswald und Gregor Müller wollen GoStudent zur „globalen Schule Nummer eins“ machen. Aber kann das Unternehmen mit Nachhilfe Geld verdienen?
An einem Tag wie heute sitzt Felix Ohswald in Hoodie und Jeans an seinem Schreibtisch. Nur selten trägt der 26-jährige Millionär seine schulterlangen blonden Haare offen, meist hat er sie zu einem Dutt geknotet. Das etwa 15 Quadratmeter kleine Chefbüro mit grosszügiger Terrasse liegt im sechsten und höchstgelegenen Stockwerk des Bürogebäudes von GoStudent. Hier hat Ohswald einen weiten Ausblick auf Wien. Zusammen mit seinem Mitgründer Gregor Müller verbringt er hier den Grossteil seiner Zeit. Nackte Wände, Teppichböden, Schreibtische, Laptops und Kabelsalat: Das Büro ist funktional, nicht schick. Ohswalds Zimmer zeugt von derselben Haltung, die er auch sonst an den Tag legt: Es muss nicht schick sein, um was zu können.
Der über zwei Meter grosse Mathematiker ist keiner, der Zeit und Geld in teure Hobbys investiert. „Weder Uhren noch Autos zählen zu meinen Interessen“, sagt er. Er spielt gerne Schach, investiert hier und da in Aktien und erlaubt sich, beim einen oder anderen Urlaub mal etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Das wohl Auffälligste an seinem Schreibtisch ist das Megafon, das nicht mehr funktioniert. „Bei Weihnachtsfeiern kam das schon mal zum Einsatz“, erzählt der CEO zwischendurch. Hinter seinem kleinen Laptop steht eine Mini-Standkamera. Als Mauspad dient eine Ausgabe des Monatsmagazins Der Spiegel und sein Mantel liegt über einer Sessellehne. Zeit wird wichtigeren Dingen gewidmet – und das war schon früher so.
Mit 14 Jahren begann Felix Ohswald ein Mathematikstudium, welches er beendete, noch bevor er das Abitur ablegte. Anschliessend ging er nach Cambridge und Zürich, um zu studieren. Er sammelte erste Berufserfahrung bei der Nationalbank und der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Er hätte in die Fussstapfen seines Vaters – ehemaliger Chef der Deutschen Bank in Österreich – treten und Bankier werden können, doch Ohswald entschied sich anders: Nach seinem Master 2016 in Quantitative Finance an der ETH Zürich gründete er zusammen mit Gregor Müller GoStudent. Damals war Ohswald gerade mal 20 Jahre alt.
Einst eine Whatsapp-Gruppe, verbucht die Plattform heute 1,5 Millionen Nachhilfeeinheiten pro Monat. Während seines Studiums beobachtete Ohswald, wie sich junge Menschen – etwa sein eigener Bruder – bei der Erledigung ihrer Hausaufgaben schwertaten. „Das war eigentlich der Auslöser für die Gründung des Unternehmens“, so Ohswald. Er wollte eine Plattform schaffen, die Schüler bei der Suche nach Wissen ausserhalb des Klassenzimmers unterstützt und Anreize für Tutoren und andere Schüler schafft, die besten Antworten zu finden, erzählt er. Müller und Ohswald nutzten zunächst Whatsapp, um Lehrer mit Schülern zu vernetzen – als die Nachfrage grösser wurde, verlagerte man das Geschäft bereits nach einigen Wochen in eine eigene App.
Inzwischen basiert das Geschäft auf einem Abomodell: Nachhilfestunden lassen sich entweder für sechs Monate, ein oder zwei Jahre buchen, die Stunde kostet zwischen 20 und 30 € – ein Tutor bekommt dafür im Schnitt 15 €. Die Plattform umfasst mittlerweile eine Nachhilfelehrer-Community von mehr als 15.000 Lehrkräften, die in 30 Fächern unterrichten. Im letzten Jahr allein konnte GoStudent die gebuchten Nachhilfeeinheiten verzehnfachen, auch das Personal nahm exponentiell zu: von 160 Mitarbeitern Ende 2020 auf 1.300 Ende 2021; für das Jahr 2022 sucht man weitere 2.000 Mitarbeiter. Seit letztem Jahr operiert GoStudent an 22 Standorten weltweit – Überseemärkte wie Mexiko, Kanada, Brasilien und Chile sind neu.
Als Nächstes stehen die USA an.
Ich hatte das Glück,
dass ich einen Opa hatte, der mich unterstützt
und begeistert hat – vor allem in Mathe und Physik.
Felix Ohswald
Auf die Frage, ob GoStudent profitabel sei, antwortet Ohswald so: „Unsere Kennzahlen sind gut, und das gibt uns auch die Sicherheit, in anderen Märkten entsprechend rasant wachsen zu können, um langfristig auf Profitabilität zu gehen.“ Wann genau das sein wird, könne er aus derzeitiger Sicht nicht sagen: „Das ist etwas, das wir laufend beobachten und evaluieren.“ Zudem sei der Druck der Investoren gering.
Während das letzte Jahr bereits von Wachstum geprägt war, vergingen im Jahr 2022 knapp elf Tage, bis GoStudent für Furore sorgte: Eine Gruppe von Investoren – darunter der niederländische VC Probus, der japanische VC-Riese Softbank und die Deutsche Telekom – investierte 300 Mio. € in die Nachhilfeplattform aus Österreich. Noch nie zuvor hatten Investoren eine so grosse Geldsumme in ein österreichisches Start- up gesteckt. Ohswald sieht das gelassen: „300 Millionen klingt nach einer riesigen Zahl, aber man muss auch dazusagen, dass wir uns an diese Zahlen herangetastet haben.“ Mit einigen Finanzierungsrunden auf dem Buckel hat man sich die letzten Jahre daran gewöhnt – „also es ist nicht so, dass wir plötzlich zu Triathleten geworden sind.“ Durch die jüngste Investition stieg die Firmenbewertung des Unicorns auf drei Mrd. € – das ist eine Verdoppelung in weniger als einem Jahr. Zwei der Investoren, der Telekom Innovation Pool (Deutsche Telekom) und der japanische VC-Riese Softbank, haben im September 2021 eine strategische Partnerschaft abgeschlossen, die gemeinsame Investitionen vorsieht. „Edtech ist ein sehr schnell wachsender Markt. Mit GoStudent wollen wir unsere digitale Reichweite, unsere starke Marke und die Erfahrung und Fähigkeiten der Deutschen Telekom einbringen“, so das Unternehmen. Die Deutsche Telekom bringe eine Vielzahl an Erfahrungen mit, um GoStudent dabei zu helfen, den Online-Nachhilfedienst in ganz Europa und darüber hinaus zu skalieren, lassen die Pressesprecher ausrichten.
Insgesamt konnte die Plattform seit ihrer Gründung im Jahr 2016 mehr als 590 Mio. € einsammeln. Mit dem frischen Kapital wolle man jetzt vor allem auf bestehende Märkte aufbauen sowie andere Edtech-Unternehmen aufkaufen. 2021 übernahm GoStudent Fox Education. Das Unternehmen, welches vielen unter dem Namen Schoolfox bekannt ist, bietet eine App, die von vielen Lehrern zur Kommunikation mit Eltern und Schülern genutzt wird. Jetzt, nur knapp einen Monat nach der Series-D-Investmentrunde (300 Mio. €) übernimmt GoStudent zwei etablierte europäische Bildungsunternehmen: den britischen Anbieter Seneca Learning mit einem Produktangebot von KI-basierten Lerninhalten und das spanische Edtech-Unternehmen Tus Media, einen offenen Marktplatz für Nachhilfe. Tutoren können hier ihre Dienste für einen selbstgewählten Zins anbieten. Dazu müssen sie sich – anders als bei GoStudent jetzt – selbst um Organisation, Akquise und Bezahlung kümmern, erklärt Ohswald. Damit möchte GoStudent seinen Zugang zum offenen Markt erweitern.
Die zukünftige „globale Schule Nummer eins“ hat aber auch mit viel Gegenwind zu kämpfen – mit der Grösse kommt nun auch mehr Verantwortung. Kritiker werfen dem Unternehmen „dubiose Abomodelle“ vor. GoStudent würde Kunden dazu nötigen, Nachhilfestunden im Voraus zu kaufen. Sollten diese nicht verbraucht werden, bekomme man kein Geld zurück. Doch nicht nur Kritik am Abomodell wird laut, Medien wie das Handelsblatt berichten über Qualitätsmängel bei der Auswahl der Tutoren und schlechte Mitarbeiterbewertungen auf diversen Plattformen. So seien die Aufnahmetests, die angehende Nachhilfelehrer durchlaufen müssen, zu einfach und mehr als 30 % des Personals würden von einer Beschäftigung bei GoStudent abraten. „Unsere Weiterempfehlungsrate liegt auf Kununu bei 81 % und mit einem Kununu-Score von 4,3 Punkten liegt GoStudent deutlich über dem Durchschnitt der Arbeitgeber in der Bildungsbranche“, so Ohswald im Gespräch mit dem Business Insider. Gegenüber Forbes betont er, dass das Unternehmen das „Feedback“ sehr ernst nimmt und konstruktive Inputs sowie Rückmeldungen kontinuierlich in Prozesse integriert werden.
Während die Gründer von GoStudent also das Potenzial erkannt haben, Kinder am Nachmittag zusätzlich in ihrer Bildung zu unterstützen, fordern Kritiker, dass sich private Unternehmen aus staatlichen Angelegenheiten heraushalten sollten. Schliesslich sei Bildung Staatssache. Ohswald sieht das anders und zieht Parallelen zum Gesundheitswesen: „In einem funktionierenden Staat hat jeder Bürger ein Recht auf eine medizinische Versorgung. Ich glaube, da gibt es niemanden, der das infrage stellt. Aber es braucht im medizinischen Bereich ja auch Innovatoren, die zum Beispiel Röntgengeräte weiterentwickeln, die Arztausbildungen fortschrittlicher machen, die das Gesundheitswesen insgesamt innovativer machen. Diese Kraft kommt aus dem privaten Bereich.“ Ein Beispiel dafür sei der Pharmakonzern Biontech: „Eine private Firma, an deren Impfstoff die Menschen frühzeitig geglaubt haben. Und so ist auch jedem klar, dass es diese zwei Elemente gibt, das öffentliche Gesundheitswesen und die Privatwirtschaft, die voneinander profitieren müssen. Ähnlich ist das beim Bildungssystem – da braucht es auch private Initiativen.“
Fares Kayali ist Bildungsexperte an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind u. a. die digitalisierte Lehre und Bildung. Er sagt: „Edtech-Unternehmen wie GoStudent haben erkannt, dass es einen grossen Bedarf gibt, und damit sei ihnen auch vergönnt, dass sie viel Geld verdienen.“ Seiner Meinung nach sollte es nicht so sein, dass es in einem offensichtlich sehr, sehr grossen Umfang Nachhilfe braucht, damit Schüler durch das Schulsystem kommen. Das zeige, dass in diesem manche Dinge ganz grundlegend falsch laufen. Kayalis Meinung nach gilt es, zwei Probleme zu lösen: Erstens schaue man nicht genug auf Diversität und auf jene, die mehr Unterstützung brauchen, zweitens sei ihm „der unsägliche Leistungsdruck“ ein Dorn im Auge. Ähnlich wie Ohswald sieht er im Lernen im digitalen Raum viel Zukunft: „Wir sollten wieder ein bisschen mehr zum Potenzial von Lernfreude, individualisiertem Lernen zurückfinden. Da gibt es gerade im digitalen Raum ganz viel Potenzial.“
Felix Ohswald
...ist Gründer und CEO des Edtech-Unternehmens GoStudent. Das Unternehmen sorgte Anfang des Jahres für grosse Aufmerksamkeit, da es eine Investition von 300 Millionen € erhielt – somit wurde es zum wertvollsten Start-up ganz Österreichs.
Das grösste Problem, das Felix Ohswald in der Bildung sieht, ist der Mangel an Lehrern, die Kinder inspirieren und motivieren. Dieses signifikante Problem will GoStudent lösen. „Ich hatte das grosse Glück, dass ich einen Opa hatte, der mich unterstützt und begeistert hat – vor allem in Mathe und Physik.“ Dadurch habe er schon früh erkannt, dass Bildung von der Qualität der Lehrer und von deren Fähigkeit, Kinder zu inspirieren, abhängt, erzählt Ohswald. Sein Grossvater nahm eine tragende Rolle in seinem Leben ein: „Mein Opa brachte mir im Alter von vier Jahren das Schachspielen bei.“ Oft ist Felix Ohswald als Wunderknabe oder als Genie bezeichnet worden – er selbst kann damit nicht viel anfangen: „Ich liebe das Fach, aber mein Problem mit der Mathematik ist, dass es dann oft an den letzten 5 % hakt - wo es darum geht etwas zu finaliseren. Da sind andere viel besser als ich.“
GoStudent kommt seinem grossen Ziel näher. „Unsere Mission ist es, die globale Schule Nummer eins zu bauen, ein grosses Ökosystem von diversen Bildungsdienstleistungen. Unser Motto dabei ist: ‚Wir entfalten das volle Potenzial aller Schülerinnen und Schüler weltweit für eine selbstbestimmte Zukunft.‘“ Derzeit versucht sich der 26-Jährige selbst als Investor bei der Puls-4-Show „2 Minuten 2 Millionen“ und kehrt somit dorthin zurück, wo er 2018 selbst um Kapital gebeten hat. „Wir haben damals davon profitiert, dass es Menschen gab, die an uns geglaubt und in uns investiert haben. Das möchte ich jetzt zurückgeben“, sagte Ohswald in der Sendung Anfang Februar.
Text: Naila Baldwin
Fotos: David Visnjic
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 1–22 zum Thema „Ressourcen“.