Datenschutz trifft Deep Tech

Gesichter verändern, ohne sie zu verfälschen: Das Schweizer Start-up Egonym hat eine Technologie entwickelt, die Personen in Bild- und Videomaterial anonymisiert – in Echtzeit und datenschutzkonform. CEO Lukas Vordemann sieht darin die Zukunft einer ethischen KI-Nutzung.

«Eine Waschmaschine für Daten»: So beschreibt Lukas Vordemann die Arbeit von Egonym. Seit Dezember 2022 ist er CEO des Start-ups, das Menschen in Foto- und Video­material anonymisiert. Wer durch die Webseite stöbert, kann das Staunen kaum unterdrücken: Zu ­sehen sind Personen, deren Gesichter sich in Millisekunden verändern. Egonym entfernt biometrische Daten aus Bild- und Videomaterial, um ­reale durch synthetische Gesichter zu ersetzen. Damit schafft das Start-up eine Brücke zwischen Datenschutz und «Datenschatz», so Vordermann. «Auf Englisch klingt das besser», sagt er und lacht.

Ende 2022 haben Thabo Beeler, Vojta Kabelka und ­Thomas Wehrli das Start-up ins Leben ge­rufen. Vordemann und Mit­gründer Ka­belka, heute Chief Technology Officer, waren die ersten zwei Vollzeitkräfte bei Egonym; heute sind sie zu sechst. Das Start-up ­finanziert sich mit einem Mix aus Investorengeldern, Risiko­kapitalgebern und staatlichen ­För­derungen – nun sollen höhere ­Umsätze dazukommen.

Das grösste Potenzial sieht der CEO im Bereich Automotive und bei KI-Headsets. Die ersten Kunden­beziehungen knüpfte Egonym aber in der Medienbranche: Die britische BBC wollte in einem Dokumen­tationsfilm anonymisierte Interviews zeigen. Dank der Technologie von Egonym bleibt die Identität des Interviewpartners geheim, das «egonymisierte» Gesicht enthält aber weiterhin Informationen zu Alter, Geschlecht und Ethnizität – und sogar Blickrichtung und Emotionen. Der BBC-Produzent hatte ganz klassisch ein Kontaktformular auf der Egonym-Webseite ausgefüllt; mittlerweile steht das Start-up auch mit ARD, BR und dem Schweizer Rundfunk in Kontakt.

Die Schnittstelle zwischen
der digitalen und der realen Welt ­beschäftigt Vordemann schon seit Beginn seines Informatikstudiums. Sein Anliegen: glaubhaft zu machen, dass ein Mittelweg zwischen Datenschutz und Datennutzung möglich ist. «Regulierung hilft nur begrenzt, auch weil das primär ein europäischer Weg ist», so Vordemann. Die Technologie des Start-ups ermöglicht es hingegen, Videodaten datenschutzkonform zu speichern, auszuwerten und KI-Modelle damit zu trainieren.

«Ich wüsste wirklich gerne, wie viele Identitäten wir schon geschützt haben», sagt Vordemann. Vieles ist dem Schweizer Start-up bereits gelungen: Die Anonymisierung von Personen auf Bild- und Videomaterial ist in Echtzeit und ohne Internetverbindung möglich, auf mobilen Endgeräten und im Zusammenspiel mit künstlicher Intelligenz. «Jetzt steht der nächste kritische Punkt an: die Integration in andere Systeme», so Vordemann. Diesen Sommer könnte es so weit sein. Um weiter zu wachsen, ist Egonym auf Partnerschaften mit grossen Anbietern an­gewiesen. «Da ist viel Geduld notwendig», verrät Vordemann.

Nicht immer läuft alles nach Plan – das hat Vordemann selbst ­gegen Ende seiner Studienzeit erlebt, als er einige Monate lang bei ­einem Bildungsprojekt in Kenia mithelfen wollte: Kaum war er vor Ort, stellte sich heraus, dass die Finanzierung nicht sichergestellt war. Vordemann kehrte eine Woche später nach Europa zurück, zum Glück für Egonym: Der Informatiker ging in Zürich auf Job­suche und wurde wenig später von Bekannten mit den Egonym-Gründern vernetzt. Überzeugt haben ihn die Vision der Gründer und ihre Erfahrungen in der Start-up-Szene. «Ein bisschen Nai­vität hat auch mitgespielt», lacht Vordemann. Wichtig ist ihm, fest­zuhalten, dass nicht alle Wege in die Selbstständigkeit maximale Risikobereitschaft erfordern: «Es gibt viele Modelle, auch eine schrittweise Selbstständigkeit kann funktionieren», sagt Vordemann. Er möchte junge Menschen zu diesem Schritt ermutigen: «So verändern wir die Gesellschaft zum Positiven.»

Noch liegt der Fokus des Start-ups darauf, Daten zu anonymisieren. Als nächsten Schritt kann sich Vordemann vorstellen, diese Daten auch aufzuwerten; etwa die Verzerrung in Datensätzen zu reduzieren, indem sie die Gesamtbevölkerung besser widerspiegeln. Technisch sei das schon möglich – sollte jemand diese Idee schneller aufgreifen, «dann finde ich das super, denn es ist ein Problem und gehört gelöst», so Vordemann. Es gehe darum, Menschen sichtbar zu machen, die weniger gehört werden – etwa aufgrund ihres Geschlechts, ihrer ­Ethnizität oder eines Handicaps. Für Vordemann ist es auch ein persönliches Thema: Er hat eine schwere Sehbehinderung. Dank Unter­stützung konnte er aber dem nachgehen, was ihn interessiert. «In vielen Fällen geht das», sagt er. Vordemann warnt Start-up-Gründer aber davor, nach Perfektion zu streben. «Das führt dazu, dass man sich zu günstig verkauft», so der CEO von Egonym – etwa, weil man seine Dienste gratis anbietet, obwohl sie bereits Nutzen stiften. Als CEO eines Start-ups gibt er nun eher Feedback, als dass er selbst welches erhält – weshalb ihm die U30-Nominierung viel bedeutet. «Es ist eine schöne Bestätigung, dass man auf dem richtigen Weg ist», sagt Vordemann.

Egonyms treuester Kunde, eine Datingplattform, tanzt dann doch aus der Reihe. Die langjährige Partnerschaft ist für das Start-up eher ein Nebenprojekt, aber sie verdeutlicht, worum es dem Unternehmen geht. Vordemann: «Unsere Gesellschaft schwankt oft zwischen völligem Datenschutz, was beinhaltet, gar keine Daten preiszugeben, und einer ,Alles egal!‘-Mentalität.» Doch der Egonym-CEO möchte mit dem Vorurteil aufräumen, dass mehr Datenschutz automatisch zulasten des Komforts geht: «Es gibt für fast alles Lösungen», sagt Vordemann. Wer Egonym kennenlernt, ist versucht, ihm zu glauben.

Lukas Vordemann ist studierter Informatiker und CEO von Egonym, einem Schweizer Start-up, das Personen in Bild- und Videomaterial anonymisiert. Die Technologie erlaubt Unternehmen, Videodaten gesetzeskonform zu verarbeiten – etwa um autonom fahrende Autos zu trainieren.

Foto: Egonym

Ines Erker

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