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Die westliche Welt ist mit sich selbst beschäftigt: Die Europäer beklagen den Impfnationalismus der USA und Englands und schielen neidisch auf deren Impfquoten. Währenddessen bewegen sich Grossbritannien und die USA am Rande eines Handelskonflikts, was wiederum einige Europäer mit grosser Schadenfreude erfüllt. Doch anstatt sich darin noch weiter zu verlieren, sollten wir uns fragen, um was es eigentlich geht – und wer von einem gespaltenen Westen am meisten profitiert.
Gerade China versteht es meisterhaft, Unstimmigkeiten zwischen Ländern für sich selbst zu nutzen und damit seine Agenda voranzutreiben. Dabei geht es längst nicht mehr nur um ein wirtschaftliches Aufholen durch erzwungene Technologietransfers und Kooperationen. Es geht um nicht weniger als die politische, wirtschaftliche und technologische Vorherrschaft im 21. Jahrhundert. Peking hat mit dem Slogan „Made in China 2025“ eine Reihe von Schlüsseltechnologien definiert, in denen es bis zur Mitte dieses Jahrzehnts führend sein will. In Bereichen wie Künstliche Intelligenz, Blockchain oder 5G / 6G ist das Land bereits heute technologisch gleichauf mit den USA.
Wer die Spielregeln bestimmt, wird gewinnen
In diesem Jahrzehnt tritt China erstmals nicht mehr nur als Technologieabnehmer auf – also als Akteur, der Standards der westlichen Welt für sich übernimmt –, sondern setzt sie inzwischen selbst. Dabei geht es um technische Normen und Protokolle, die Kommunikationen zwischen Maschinen oder Industriestandards betreffen. Viele der Anwendungsbereiche weisen Merkmale von Plattformtechnologien auf, die natürlicherweise zu einer Marktkonzentration und damit Marktmacht tendieren, wie der weltweite Erfolg von Google, Amazon, Alibaba & Co. eindrucksvoll gezeigt haben. Den Technologievorsprung aus dem Vor-Digitalisierungszeitalter hat Europa in den letzten zwei Dekaden bereits mangels Einigkeit, Resilienz und Konfliktbereitschaft an die USA und später China verloren. Die Frage ist, ob die Europäer weiter dabei zusehen und China die Spielregeln für die nächsten Dekaden bestimmen lassen oder sich dem entgegensetzen – denn wer die Spielregeln bestimmt, wird die technologische Vorherrschaft für sich entscheiden können.
Marcus Schreiber, CEO TWS Partners AG
...Er war nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität bis 2001 als Purchasing Director der Siemens AG tätig, bevor er gemeinsam mit dem heutigen Direktor des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, Prof. Achim Wambach, die TWS Partners AG gründete. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich strategischer Einkauf, angewandte Industrieökonomik und Market Design. Ausserdem unterstützt er Unternehmen dabei, spieltheoretisches Wissen in komplexen Vergabeentscheidungen anzuwenden.
Ein letzter Trumpf
China mit seiner planwirtschaftlichen Industriepolitik hat sicher einen längeren Atem als eine Vielzahl demokratischer Einzelstaaten. Die gemeinsame Wucht des Westens wäre aber sehr wohl in der Lage, China Grenzen aufzuzeigen, wenn der Zugang zu allen westlichen Märkten auf dem Spiel stünde. Einen der wenigen strategischen Trümpfe, die den USA und den Europäern noch bleiben, ist ein etabliertes, weltumspannendes Bündnissystem. Das hat Joe Biden im Gegensatz zu Donald Trump klar erkannt – und geht es aus verhandlungsstrategischer Sicht sehr geschickt an. Anstatt zunächst die direkte Konfrontation mit China zu suchen, drängt er weitere Verbündete im NAFTA-Raum und Asien wie Indien, Japan und Südkorea auf Linie – und erhöht gleichzeitig auch den Druck auf die Europäer.
Nun ist Europa technologisch inzwischen ohnehin meilenweit abgeschlagen. Ein eigenständiges Aufholen als dritter Player im globalen Rennen erscheint ähnlich aussichtslos wie der Versuch, den Googles und Amazons ebenbürtige europäische Champions entgegenzusetzen. Die EU hat aber sehr wohl ein Interesse an einer fairen Besteuerung von Technologiekonzernen und daran, dass nicht mehr und mehr Wertschöpfung und Knowhow aus Europa abwandert. Sie sollte sich also fragen, ob sie in Zukunft die traurige Dritte sein oder doch lieber sicherstellen will, dass ein Alliierter innerhalb eines Bündnisses weiterhin die Standards setzt und die marktdominierenden Plattformen aufbaut – solange Europa eine faire Scheibe davon abbekommt.
Dr. Sebastian Moritz, Vorstand TWS Partners AG
...Als Experte für den strategischen Einkauf und angewandte Spieltheorie und Marktdesign begleitet er strategische Verhandlungen und leitet Grossprojekte für führende Unternehmen zur Transformation von Einkaufsorganisationen und deren Prozessen. Ausserdem ist er für die internationale Geschäftsentwicklung von TWS Partners verantwortlich. Nach seinem Studium der angewandten Spieltheorie in Deutschland und Kanada promovierte er im Bereich Supply Chain Management zum Thema Lieferantenwahl unter Risiko.
Europa muss wieder lernen, mit der Macht zu spielen
Zum Schmieden einer solchen Allianz müssten die Europäer aber ihren zögerlichen und opportunistischen Verhandlungsstil ablegen, um im tobenden Kampf um die Vorherrschaft nicht vollständig unter die Räder zu geraten. So umstritten er gewesen sein mag, Trump hatte klar verstanden, dass Veränderung nur mit echter Konfliktbereitschaft zu erreichen ist. Mit ihm wollten wir Europäer uns nicht wirklich verbünden, jetzt müssen wir dem konzilianteren – aber in der Sache nicht weniger knallharten – Präsidenten Biden etwas bieten, dürfen dann aber auch keine Scheu beim Einfordern von Gegenleistungen haben.
Wenn Europa sowieso mittelfristig keine Alternative zur wirtschaftlichen und auch militärischen Allianz mit den USA haben, dann sollte Europa sich das „auf Linie“- Bringen durch Biden mit einem ein Entgegenkommen in anderen Bereichen kompensieren lassen.
Im Endergebnis repräsentiert die von den Amerikanern angestrebte Allianz mit Europa und den anderen Verbündeten in Asien fast 50% der weltweiten Wertschöpfung. Solch einer Macht gegenüberstehend, hätte auch China etwas zu verlieren und böte Europa die Chance sein Wirtschaftssystem, das – bei allen Detailproblemen –, bereits 70 Jahre einen ungeheuren Wohlstand beschert hat, zu sichern.
Text: Marcus Schreiber und Dr. Sebastian Moritz
Fotos: beigestellt