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Ganz ohne Geld von Risikokapitalgebern legte das Gamingstudio Kolibri Games eine ordentliche Wachstumsgeschichte hin: 150 Millionen Downloads, etwa zehn Millionen monatlich aktive Spieler, 38 Millionen € Umsatz. Nun verkauften die Gründer ihr Unternehmen an den französischen Spieleriesen Ubisoft. Sie geben damit ein Stück Unabhängigkeit auf – um das nächste Level zu erreichen.
Angefangen hat alles in einer kleinen Wohngemeinschaft in Karlsruhe. Sie fungierte als Kommandozentrale des ersten Unternehmens von Daniel Stammler und Janosch Sadowski. Die beiden hatten ihr Studium am Karlsruhe Institute of Technology gerade abgeschlossen – und wollten gründen. Sie arbeiteten an einer Motivationsplattform namens Uberachiever, einer Smartphone-App, in der man selbst gesteckte Ziele mithilfe von negativer Konditionierung erreicht. Jedoch kamen rasch Zweifel an der Rentabilität auf, sodass sich das Duo umorientierte. Bald wurden sie anderweitig fündig.
„Gaming ist perfekt für uns“, erzählt Stammler im Interview mit Forbes: „Auf der einen Seite haben wir selbst schon immer Spiele gespielt und kennen den Markt als Endnutzer. Auf der anderen Seite haben wir gemerkt, dass das Businessmodell dahinter Sinn macht.“ Sadowski und Stammler holten sich 2016 Oliver Löffler und Tim Reiter an Bord und entwickelten ein Spiel: „Idle Miner Tycoon“. Nach nur acht Wochen war es fertig. „Der Fokus lag auf der Arbeit, es gab keine Meetings. Wir arbeiteten und lösten Probleme“, so Stammler. Das Spiel wurde zum Erfolg – das Unternehmen ebenso: 2017 zog man mit bereits 30 Mitarbeitern nach Berlin, 2018 benannte man sich von Fluffy Fairy Games in Kolibri Games um. Der Name sollte die Werte des Studios repräsentieren: Agilität und Schnelligkeit.
Schnelligkeit ist tatsächlich ein Hauptmerkmal. Während andere Gamingstudios ihre Updates alle paar Wochen herausbringen, veröffentlicht Kolibri Games jede Woche eine Neuerung. So hält man die Nutzer bei Laune und kann schnell auf Bedürfnisse reagieren. Das braucht aber auch einen hohen Einsatz der „Kolibris“, wie die heute rund 110 Mitarbeiter sich nennen. „Bei Kolibri Games haben wir es geschafft, das Beste aus zwei Welten zu kombinieren: Auf der einen Seite haben wir eine positive und inklusive Atmosphäre in der Firma, in der jeder die Chance hat, teilzunehmen und sich weiterzubilden. Auf der anderen Seite liegt aber der klare Fokus auch auf Leistung. Jedem, der bei uns anfängt, ist klar, dass das kein Zuckerschlecken wird“, so Stammler.
Für das dreiköpfige Gründerteam rund um Co-CEO Stammler – Tim Reiter verliess das Unternehmen 2019 – ist die Branche, in der sie sich bewegen, zukunftsweisend: „Gaming und Spielen liegen in der Natur des Menschen. Menschen spielen seit Jahrtausenden. Ich glaube, dass sich das Medium, wie Menschen spielen, über die Jahre und mit der Technologie ändert“, sagt Stammler. Die Berliner setzen auf Simulationsspiele, in denen über Jahre kontinuierlich etwas aufgebaut wird. Die Bestseller: „Idle Miner Tycoon“ und „Idle Factory Tycoon“. Stammler: „Idle-Games sind Spiele, in denen man dauerhaft belohnt und nicht bestraft wird. Es gibt immer nur positiven Fortschritt.“ Lediglich die Geschwindigkeit des Fortschritts kann durch Entscheidungen verändert werden.
Ewig lange Sessions sind dabei jedoch nicht das Ziel: „Es ist ein Spiel für zwischendurch. Man schaut morgens rein, holt sich sein erarbeitetes Geld ab. Das investiert man dann mittags wieder, bevor man abends noch einmal reinschaut. Dadurch ergibt sich eine kürzere Spielzeit, die Spieler spielen aber in der Regel über einen längeren Zeitraum“, so Stammler.
Die Spiele werden auf dem Smartphone gespielt, weshalb Kolibri Games auch im wachsenden Markt für Mobile Gaming mitmischt, der den traditionellen Konsolenmarkt mittlerweile überholt hat und 57 % des globalen Gamingmarktes ausmacht. 166 Milliarden US-$ dürften 2020 weltweit mit mobilen Spielen umgesetzt werden. Während die Spiele meistens kostenlos sind, verdienen die Entwickler ihr Geld mit Werbung und In-App-Käufen. Diese tätigen bei Kolibri Games etwa 1 bis 2 % aller Spieler. Während die Spieler der Idle-Spiele der Berliner im Schnitt 25 Jahre und zu 70 % männlich sind, ist der Smartphonemarkt bei den Geschlechtern relativ ausgeglichen – im Gegensatz zu Konsolenspielen.
Daniel Stammler
...studierte an der Universität Karlsruhe Information Engineering and Management, Oliver Löffler an derselben Universität Computer Science und Janosch Sadowski Industrial Engineering. 2016 gründeten sie zusammen mit Tim Reiter Kolibri Games.
Kolibri Games hat, für Start-ups unüblich, lange auf Fremdkapital verzichtet. „Wir waren von Anfang an auf nachhaltiges Wachstum ausgelegt. Der Umsatz stand im Hintergrund, wir waren auf das Spiel und dessen Entwicklung fokussiert“, berichtet Stammler. Das schnelle Wachstum der letzten Jahre und die hohe Gewinnmarge ermöglichte es den Kolibris, lange Zeit unabhängig zu bleiben – doch Wachstum um jeden Preis war nie das Thema der Gründer. „Wir hatten das Gefühl, dass wir bei noch mehr Mitarbeitern unsere Agilität und unseren Fokus verlieren würden. Investorengeld hätte uns also nichts gebracht“, so Stammler. Der einzige Grund, der für Risikokapitalgeber gesprochen hätte, wäre das Feedback potenzieller Investoren. Dafür wollten die Gründer aber keinen relevanten Teil der Firma abgeben. Mit zunehmender Reife und Grösse änderte sich die Perspektive jedoch. Um das nächste Level zu erreichen, mussten die Gründer eine Richtungsentscheidung treffen. Stammler: „Wir haben gemerkt, dass wir an einen Punkt kommen, an dem es Sinn macht, einen globalen Partner einzubeziehen, der mehr Erfahrung hat, länger am Markt ist und uns bei Themen helfen kann, die wir selbst nicht lösen können.“ Im Februar 2020 verkündete Kolibri Games, dass der französische Gaming-Riese Ubisoft 75 % der Unternehmensanteile kaufen würde. Preis: 118 Millionen €. In den nächsten vier Jahren wird Ubisoft schrittweise die gesamten 100 % übernehmen.
Ganz konkret nennt Stammler die Expansion in den chinesischen Markt als eines der nächsten Ziele. „Seit der Akquise können wir deutlich langfristiger denken. Vor der Akquise durch Ubisoft hatten wir den Fokus vorwiegend auf die Spiele gelegt“, sagt Stammler. Doch auch für Ubisoft ergibt die Übernahme Sinn: Das Unternehmen ist vorrangig für Konsolenspiele wie die „Assassin’s Creed“-Reihe bekannt. Im Markt für mobile Spiele ist der Konzern noch kaum vertreten.
Den Fokus auf die eigene Unabhängigkeit wird Kolibri Games jedoch weiterhin behalten. „Uns war es wichtig, dass wir nicht in den Konzern integriert werden“, sagt Stammler. Die Agilität wird also bestehen bleiben und soll Kolibri Games in Zukunft helfen, Marktführer im Segment der Idle-Games zu werden. Stammler: „Uns geht es nicht darum, Spiele auf den Markt zu bringen und diese dann wieder sterben zu lassen – sondern sie über die Jahre immer grösser zu machen.“
Text: David Zehner
Fotos: Kolibri Games
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 11/12–20 zum Thema „Security“.