Das Maximum aus allem

Die Designerinnen Marie Rahm und Monica Singer feiern mit ihrem Studio Polka dieses Jahr 20-jähriges Bestehen. Einige ihrer zeitlosen Entwürfe sind längst Teil unseres täglichen Lebens geworden. Die Erkundung des technisch Machbaren und ästhetisch Möglichen sei selbst nach zwei Jahrzehnten spannend, so die beiden Gestalterinnen.

Erstes Aufsehen erregte das Gestalterinnenduo Polka Anfang der 2000er-Jahre auf einer Mailänder Designmesse: Auf „Tatoofurniture“, ein Werk, das heute in der Dauer­ausstellung des Museums für Angewandte Kunst in Wien (MAK) zu ­sehen ist, werden die beiden heute noch angesprochen, sagt Marie Rahm. Auf den Lederbezug der zwei schlicht geformten, eleganten Hocker ist – wie der Name verrät – ein faunisches Fabelwesen tätowiert.

Eine schwierige Technik sei das, das Tätowieren von ­Leder, so Rahm über die Kooperation mit dem Tätowierer Gert Kowarzik, die vielleicht nicht auf den ersten, ­sicher aber auf den zweiten und ­dritten Blick eine Marke – einem ­roten ­Faden gleich – im Stil der Polka-­Designerinnen gesetzt hat.

Kennengelernt haben sich die gebürtige Deutsche Rahm und die Salzburgerin Singer an der Universität für Angewandte Kunst in Wien in der Metallklasse des bri­tischen Designers und Architekten Ron Arad in den frühen 1990er-Jahren. Schnell war klar: Die Chemie stimmt. In einem von viel Freiraum im kreativen Tun mit wenig Vor­gaben und sehr wenig Druck gekennzeichneten Arbeitsumfeld fiel Rahm Singers Zielstrebigkeit auf, sagt sie. „Nicht nur hat sie tolle Projekte umgesetzt, sie ist auch an ihren Arbeiten drangeblieben“, so Rahm. Unter anderen Mitstudierenden habe Singer sich positiv abgehoben. „Ich arbeite immer noch wahnsinnig gerne mit ihr“, sagt Rahm. 2004 wurde Polka geboren; dieses Jahr wird 20-jähriges Bestehen gefeiert.

Nach einem ersten Jahr, in dem zu einem Grossteil Ausstellungen und internationale Messen absolviert wurden, stellten sich erste Aufträge beim Designerinnenduo ein – etwa von den Wittmann Möbelwerkstätten, für die Rahm und Singer Stühle entwickelten, oder Aufträge eines anderen Wiener Traditionsunternehmens, dem Glas- und ­Beleuchtungsproduzent Lobmeyr. Auch eine Leuchtenkollektion für die englische Firma Innermost wurde kreiert, erzählen die beiden – wobei die Grösse der Aufträge und die Vorgaben der ­Auftraggeber extrem unterschiedlich seien, so Rahm und Singer. Die Haltung, ihr Anspruch und ihre ­Herangehensweise bei der Produkt­entwicklung bei Polka sei aber stets und seit jeher gleich bleiben. „Wir gehen mit der gleichen Energie an die Projekte heran, egal ob wir ein sehr, sehr teures handgefertigtes Produkt allerhöchster Qualität designen oder eines, das maschinell und für die Masse als ‚Everyday Convenience ­Product‘ ­gefertigt ist“, sagt Singer. Kenner ­sagen, die Arbeiten von Rahm und ­Singer bringen zeitlose Eleganz in ­unseren Alltag.

Marie Rahm und Monica Singer (vor dem von ihnen designten raumhohen Regal bei Phileas – The Austrian Office for Contemporary Art am Wiener Opernring) mit ihren Arbeiten für Lobmeyr und Vöslauer.

Anhand von Trinkgläsern, die Polka sowohl für den High-End-Bereich als auch für die Masse in der Gastronomie entworfen hat, erklärt das Designerinnenduo es so: „Wir wollen das Trinkerlebnis für den Kunden für das mundgeblasene Glas wie für das maschinell gefertigte gleich schön machen.“ Es gelte stets, die vorab meist festgelegten Rahmenbedingungen des Auftrags sowie der zur Anwendung gedachten Materialien bis aufs Äusserste auszureizen, so die beiden unisono. Das Maximum aus den Materialien rauszuholen (beim Werkstoff Glas wäre das die minimalste Randstärke) und dabei kein Grundmaterial unnötig zu verschwenden, seien wichtige Anforderungen an ihre ­Arbeit, so das Duo. Und, so Singer weiter: „Es sollte im Ergebnis nicht unbedingt ein modisches, trendiges Glas sein, sondern eines, von dem ich auch nach 20 Jahren denke: ‚Oh, das ist immer noch toll!‘“ „Wir wollen, dass sich die Menschen in unsere Designs verlieben, dass sie sie auch nicht mehr missen oder her­geben wollen“, ergänzt Rahm die Haltung der Designerinnen zum Thema Nachhaltigkeit bei weniger Müll und Materialverschwendung.

Die Rezeption darüber, dass ­Design auch in Volkswirtschaften einzahlt, ist allerdings sehr unterschiedlich. Zwar habe sich das Verständnis zur Bedeutung intelligent durchdachter, formschöner Indus­trial-Design-Produkte in den letzten Jahrzehnten deutlich erweitert, so die Polka-Designerinnen; die Kleinteiligkeit des Markts aber mache es schwierig, die wirtschaftliche Relevanz als Gesamtes sichtbarer und begreifbarer zu machen.

In Grossbritannien etwa ist die Perspektive auf Design, auch ­bezogen auf das öffentliche ­Leben, anders als hierzulande. Ein zentraler Grund dafür ist das in den 1940er-Jahren von der britischen Regierung eingeführte Design Council: ­Dieses zählte das Design, die Herstellung und den Absatz hochwertiger Produkte im In- und Ausland zu den zentralen Säulen des Wieder­aufbaus der britischen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit diesem ­öffentlichen Auftrag blühten auch Bildungseinrichtungen auf.

In den 1960er-Jahren involvierte sich zudem das britische Königshaus stärker, verlieh hoch dotierte Designpreise; Gestaltung gewann so als Gesamtdisziplin Anerkennung. Letztlich wurden auch ­Kennzahlen definiert, die den Effekt von ­Design auf unterschiedliche Parameter messbar machen, die in die Wirtschaft einzahlen – so etwa, wie die richtige Materialauswahl bei Krankenhauszimmer-­Einrichtungen Hygiene­kriterien einfacher einhaltbar macht (eine einfachere Reinigung wirkt sich auf die Zahl der Krankenstandstage aus) oder dass ein gut design­tes Kranken­bett die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus verkürzt. Ein simpler Perspektiven­wechsel, der der Disziplin An­erkennung und eine zusätzliche ­Bedeutung verschaffte.

Der Job sei aber so oder so ­erfüllend, wenn man ihn ernsthaft betreibe, lacht das Polka-Duo; auch wenn mit zunehmendem ­Alter und der gewonnenen Erfahrung das liebe Geld an Bedeutung gewinne. Manche Branchen, sagt Rahm, ­hätten irgendwie historisch gewachsen immer mehr Budget zur Verfügung als das Design – etwa die Werbebranche –, auch wenn der ­betriebene Aufwand sehr ähnlich erscheint, sagt sie.

Übers Jahr ge­sehen arbeiten die Polka-Designerinnen für ihr Auskommen, über das sie sich hartnäckig ausschweigen, an mehreren Projekten parallel, wobei die Interior-Aufträge, auch von Privatpersonen, in letzter Zeit zugenommen hätten, was beide sehr schätzen. „Da arbeiten wir auf einer ganz anderen Ebene“, sagt Rahm. „Es ist eine Herzensangelegenheit und man lernt diese Menschen ganz anders kennen – da geht es viel um Stimmungen und Schwingungen.“

Die Möglichkeiten, die sich ­innerhalb klarer Vorgaben bei Produktaufträgen und auch bei der ­Gestaltung von Lebensräumen, die ebenfalls einen Rahmen vorgeben, eröffnen, machen den Reiz ihrer Arbeit aus, so die beiden. Dieses Ausfüllen und Gestalten sei spannend – der eigene Stil müsse dabei gar nicht im Vordergrund stehen. Die ganz besondere Note von Polka ist für Kenner ihrer Arbeiten aber sowieso immer erkennbar.

Fotos: Katharina Gossow

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

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