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Was der Handel die letzten Jahren versäumt hat, macht die Covid-19-Pandemie mehr als deutlich. Nils Seebach, Handels- und Digitalexperte, fordert ein Umdenken.
Nein, die Coronakrise verändert nicht alles. Vielmehr beschleunigt die Pandemie gesellschaftliche und technologische Entwicklungen, die schon längst in Ansätzen zu spüren waren. Dass sich kontaktloses Bezahlen oder medizinische Ferndiagnosen wie ein digitales Lauffeuer ausgebreitet haben, macht Hoffnung in Sachen Digitalisierung. Die Coronakrise zeigt aber nicht nur, was funktioniert – sondern auch, was nicht funktioniert. Gerade mit Blick auf den Handel werden Schwachstellen unerbittlich blossgelegt.
Neu handeln: Die Online-Revolution und der Virus
Im Zuge der Pandemie hat besonders der stationäre Einzelhandel gelitten. Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote haben die Läden in den Einkaufsmeilen und um die Ecke in schwere Not gebracht. Dass das stationäre Geschäft besonders krisenanfällig sein würde, überrascht wenig: Handel findet immer mehr online und mobil statt.
Durch die technischen Möglichkeiten, die Kunden mit ihrem Smartphone in den Händen halten, hat sich das Konsumverhalten verändert. Im Einzelhandel wird aber immer noch zu sehr auf Flächen gesetzt – ein Fehler, den etwa Galeria Karstadt Kaufhof nun besonders schmerzlich spürt.
Vielmehr sollten Läden nach dem Prinzip “Fläche-as-a-Service” für Marketingzwecke genutzt werden. Das Unternehmen, das dabei beispielhaft vorangeht und seit gut zwei Jahrzehnten die Online-Revolution des Handels am eigenen Beispiel vorlebt, ist Amazon.
Systemrelevant und mehr als nur ein Händler
Amazon fährt erfolgreich in der Annahme, dass immer mehr Menschen immer mehr online kaufen wollen. Das Unternehmen fokussiert sich dabei bedingungslos auf die Wünsche und Ansprüche des Endkunden. Entsprechend erweitert das Unternehmen nicht nur die Produktpalette, sondern schafft immer neue Lager- und Logistikkapazitäten. In Deutschland steht Amazon schon jetzt hinter jedem zweiten, im Online-Handel ausgegebenen Euro – Tendenz steigend. Die aktuelle Flut an Bestellungen, die Amazon spätestens jetzt zum systemrelevanten Player macht, stellt einen zwar merkbaren, aber vergleichsweise unerheblichen Sprung in einer ohnehin steilen Wachstumskurve dar.
Nils Seebach
... absolvierte am Babson College Massachusetts ein Bachelorstudium in Business Administration und war zudem in Oxford und an der London School of Economics and Political Science. Er war unter anderem für HSBC und Morgan Stanley als Investmentbanker tätig und gründet und initiiert seit 2011 Unternehmen im Bereich Technologie und Einkauf – etwa den E-Commerce-Dienst Spryker Systems, die Amazon-Agentur factor-a und den online Modehändler About You. Derzeit ist er vor allem als Co-Geschäftsführer der strategischen Digitalberatung Etribes tätig. Er ist zudem Aufsichtsrat der PHOENIX Group und im Beirat von BEWATEC aktiv.
Auch der B2B-Grosshandel wird von Amazon nicht ausgelassen. Amazon Business dient der Versorgung von Geschäftskunden mit Betriebsmitteln und Verbrauchswaren und legt dabei sogar – wie passend – den Fokus auf Akteure im Gesundheitssektor.
Fehler nur einmal begehen
Die Corona-Pandemie macht also nur besonders deutlich, was immer weniger zu übersehen war: Das Risiko, über stationär ausgerichtete Gross- und Einzelhandelsstrukturen irgendwann nicht mehr an Kunden zu kommen, wurde immer grösser.
Für den Handel ist es nun an der Zeit, “Post-Corona” ernsthaft anders zu agieren und die Fehler, die nach der Finanzkrise 2008/2009 begangen wurden, nicht zu wiederholen. Damals folgte der Rezession ein regelrechter Boom, dessen Erfolg viele Hersteller und Handelsunternehmen geblendet hat. Eine Absicherung, etwa durch den parallelen Aufbau von Online-Geschäft, fand allenfalls provisorisch statt.
Halbherzige Experimente in Sachen Direct-to-Consumer-Vertrieb darf es jetzt nicht mehr geben: Es braucht die konsequente Umsetzung von digitalen Massnahmen, die die Kunden in ihrer vom mobilen Internet geprägten Lebenswelt erreichen. Das kann ein eigener Online-Shop sein oder aber mindestens die Nutzung von Amazon als Plattform bedeuten, um Produkte zu vertreiben. Denkbar wäre auch, dass Händler sich – ähnlich wie Amazon – von ihrem alten Kerngeschäft emanzipieren und neue Wege gehen.
So oder so ist sicher: Sich aus der Krise herauszusparen, wird nicht zum Erfolg führen. Nur wer investiert, aus Fehlern lernt und das digitale Lauffeuer nährt, wird nach der Coronakrise eine Chance haben.
Gastkommentar: Nils Seebach
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