Seit Hunderten von Jahren versucht der Mensch, sich zu optimieren – Ver­haltensmuster werden angepasst und der Körper trainiert. ­„Schneller, höher, stärker“ lautete die längste Zeit das Motto der Olympischen Spiele. Seit der Coronapandemie legen ausserdem viele mehr Wert auf ihre Gesundheit: Im ersten Quartal 2022 gab es in Deutschland 4,8 % mehr Arztbesuche als im selben Zeitraum 2019, wie aus einem Bericht des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung hervorgeht (in den Jahren dazwischen waren es pandemie­bedingt deutlich ­weniger). Gleichzeitig leiden immer mehr Menschen an Burn-out, chronischer Müdigkeit oder Depressionen. Laut Statistiken sind psychische Erkrankungen wie diese die drittwichtigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit in Deutschland. Doch unser Lebensstil kann enorme Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben – und sogar unsere Gene beeinflussen.

Genau das ist die Message von HealVersity. 2022 von Dr. Manuel Burzler und Timo Janisch gegründet ist es das Ziel des Unternehmens, „das Lebensgefühl für Millionen von Menschen zu revolutionieren“, wie auf ihrer Website steht. Um das zu erreichen, bilden die Gründer Coaches aus, die die Lehren der Epi­genetik (ein Teilbereich der Genetik) an ihre Klienten weitergeben können.

Im Gegensatz zur „her­kömmlichen“ Genetik, die sich auf die spezifische Abfolge von Basenpaaren unserer DNA konzentriert, beschäftigt sich die Epigenetik mit chemischen Markierungen, die an die DNA oder die Proteine um die DNA gehängt werden. Diese Markierungen können die Genaktivität ­beeinflussen, indem sie zum Beispiel die DNA enger oder lockerer verpacken und somit den Zugriff auf die einzelnen Gene erleichtern oder erschweren. So können bestimmte Gene „ein-“ oder „ausgeschaltet“ werden. Janisch bringt einen guten Vergleich: „Wenn unsere Gene das Klavier sind, ist der Klavierspieler unser Epigenom.“ Die Botschaft dahinter: „Wir werden nicht durch unsere Gene beschränkt. Die Wissen­schaft der Epigenetik zeigt, dass wir mehr Kontrolle über unser Leben haben, als wir bisher dachten“, so Dr. ­Burz­­ler. Ein entscheidender Aspekt der Epigenetik ist, dass die Markierungen an der DNA durch ­Umweltfaktoren und unseren Lebensstil beeinflusst ­werden können.

Das Feld der Epigenetik ist noch jung und vieles unerforscht, doch einige Studien zeigen, dass ­bestimmte Lebensweisen vererbt werden können. So kann es sein, dass die Kinder von Rauchern ge­netisch bedingt eine erhöhte Tendenz zur Nikotinabhängigkeit haben; umgekehrt können die Nachfolger von Menschen, die einen besonders gesunden Lebensstil haben, „ge­sündere“ Gene haben.

Sollte das stimmen, wäre die Epigenetik eine Erweiterung der darwinistischen ­Evolutionstheorie, die genetische Variationen und natür­liche Selektion als die pri­mären Triebkräfte der Evolution nennt. Die Epigenetik fügt Darwins Theorie eine Ebene hinzu, indem sie erforscht, wie Umwelteinflüsse und epigenetische Veränderungen den Evolutionsprozess steuern. Janisch: „Indem wir aktiv und bewusst unser Umfeld gestalten, können wir beeinflussen, wie Gene abgelesen werden.“

Wie das am besten ­geschieht, können Interessierte in der 24-­wöchigen Ausbildung zum Epi­genetik-Coach von HealVersity lernen. Die Grundausbildung ist online und besteht aus Live-Sessions und Videos, die von der Psycho- über die Nutri-Epigenetik bis hin zur Umweltmedizin alles abdecken, was laut Dr. Burzler und Janisch in diesem Feld wichtig ist. „So bekommen unsere Kunden ein ganzheitliches Bild, in welchen Lebensbereichen wir intervenieren können und wie Selbstheilung mit Epigenetik funktioniert“, sagt Janisch. Der Grossteil der Aus­bildung wird von Dr. Burzler und Janisch gestaltet, bei manchen Einheiten sind auch Gastdozenten dabei. Am Ende der 24 Wochen müssen die Teilnehmer eine Prüfung absolvieren; bestehen sie diese, erhalten sie ein Zertifikat von der Deutschen Gesellschaft für Naturstoffmedizin, funktionelle ­Medizin und Epigenetik („DGName“), das sie zum Epigenetik-Coach ausweist, sowie ein Zertifikat der medizinischen Universität DTMD aus Luxemburg.

Neben der Grundausbildung besteht die Möglichkeit, eines von zwei Zusatz­modulen zu absolvieren. „In unserem Modul ‚DNA-Health Gentest‘ schauen wir uns die kon­ventionelle Genetik an“, erklärt Janisch. „Hier widmen wir uns Genvariationen, die gewisse Wirkungen auf unseren Körper und Stoffwechsel haben, damit wir unseren Lebensstil auch auf Basis unserer Gene an­passen können.“

Das zweite Modul ist ein Praxis-Workshop, in dem Teilnehmer vor Ort die Interventionen ausprobieren, über die sie im Grundmodul gehört haben. „Wir machen verschiedene Übungen, mit denen wir die Vergangenheit der Teilnehmer aufarbeiten, und heben so die Ressourcen hervor, die sie durch ihre Geschichte bekommen haben“, beschreibt Janisch das Praxismodul, bevor er fortfährt: „Wir integrieren auch belastende Emotionen und versuchen, hier Erleichterung zu schaffen; und wir verbinden die Emotionen auf sehr erlebbare Weise mit den Vi­sionen der Teilnehmer.“

Die Zielgruppe für HealVersitys Ausbildung ist breit und umfasst neben Ärzten, Gesundheitscoaches und Heilpraktikern jeden, der über die traditionelle Medizin hinausgehen möchte. Dabei betont Dr. Burzler: „Bei uns fängt wirklich jeder bei null an. Manche unserer Teilnehmer sind Chefärzte – und selbst die betreten mit HealVersity eine völlig neue Welt. Denn in einem Medizinstudium wird das Feld der Epigenetik nicht behandelt.“

Um ihre Herangehensweise von der traditionellen Medizin ab­zugrenzen, bezeichnen Dr. Burzler und Janisch sie als „personalisierte Medizin“. Dr. Burzler, der Medizin studierte, erinnert sich: „Ich habe in meinem Studium relativ schnell realisiert, dass die Ursachen einer Erkrankung meistens gar nicht behandelt wurden. Ich habe nur gelernt, mit welchen Medikamenten ich die Symptome unterdrücken kann.“ Mit HealVersity möchten die Gründer eine andere Herangehensweise verbreiten: Ärzte, die einen personalisierten Ansatz verfolgen, sollten sich die Zeit nehmen, den Beschwerden ihrer Patienten auf den Grund zu gehen. Janisch erklärt am Beispiel einer Autoimmunerkrankung: „Nach der traditionellen Medizin würden wir unserem Patienten regelmässig Kortison verabreichen, um die Erkrankung zu lindern, was auf kurze Sicht auch sinnvoll ist. Aber viel nachhaltiger ist es, wirklich in die Tiefe zu gehen und herauszufinden, was den Stress verursacht. Mit den richtigen Veränderungen im Lebensstil könnte die Autoimmunerkrankung so langfristig geheilt werden“, sagt Janisch.

Dr. Burzler und Janisch wuchsen in der gleichen Nachbarschaft auf und kennen einander seit ihrer ­Kindheit. Mit 17 Jahren begannen sie, bewusst an ihrer Persönlichkeits­entwicklung zu arbeiten. „Ich habe mich gefragt: ‚Wie kann ich an meinen eigenen Blockaden und Glaubens­sätzen, die ich von meiner Familie mitbekommen habe, arbeiten?‘“, erinnert sich Dr. Burzler. ­Gemeinsam besuchten er und Janisch ver­schiedene Seminare und begannen in ihren 20ern, unter der Aufsicht von Psychotherapeuten Gruppen zu leiten, in denen Übungen zu Persönlichkeitsentwicklung und Selbstwahrnehmung gemacht wurden. Dr. Burzler beschloss, sein Interesse weiter zu verfolgen und ­Medizin zu studieren; Janisch studierte Betriebswirtschaftslehre.

2019 gründeten sie gemeinsam mit Joschka Heinisch „deineMindbase“ und boten Coachings an, in denen sie ihren Klienten zeigten, wie sie ge­sünder leben können, aufbauend auf den Erkenntnissen der Epi­genetik. Das Geschäft lief gut, doch sie wollten mehr Menschen mit ihrer Botschaft erreichen. „Wir hatten nur einen geringen Impact, weil wir nur einzelne Gruppen coachen konnten“, erzählt Dr. Burzler. „Deshalb haben wir den Switch zu einer Ausbildung im Bereich Epigenetik gemacht. So ­können wir im Jahr Hunderte ­Coaches ausbilden, die die Lehren der Epigenetik wiederum an ­Hunderte ­Menschen weiter­geben. Das Ganze schlug ein wie eine Bombe!“

Seit der Gründung von HealVersity haben Dr. Burzler und Janisch laut eigenen Angaben über 1.000 ­Epigenetik-Coaches ausgebildet. Parallel dazu bauen sie eine Gemeinschaft für Gleichgesinnte auf: 5.000 Mitglieder zählt ihre Community, die auch durch die HealVersity-App gefördert wird. „Wir wollen die verschiedenen Mitglieder unserer Community zusammenbringen, also etwa Ärzte und Coaches verbinden, damit diese zusammenarbeiten können“, so Janisch. In der App können Nutzer Beiträge schreiben und die Posts anderer kommentieren; User, die sich gerade in Ausbildung befinden oder diese bereits abgeschlossen ­haben, werden gekennzeichnet. Zudem lassen sich verschiedenste Meditationen, Kurse und Aufzeichnungen der Live-Sessions aus der Epigenetik-Ausbildung finden.

Die meisten von HealVersitys Kunden kommen aus Deutschland, aber immer mehr Österreicher und Schweizer nehmen an der Ausbildung teil, die dreimal pro Jahr angeboten wird. In den nächsten Jahren planen die Gründer mittels Lizenzierungen auch eine Internationalisierung ihres Geschäfts, um ihre Bewegung über die Grenzen des DACH-Raums hinaus zu verbreiten. Janisch fügt hinzu: „Wir wollen zwar nicht selbst in den Ländern agieren, aber es ist uns trotzdem wichtig, dass die Qualität der Ausbildung erhalten bleibt, weshalb wir unsere Lizenz nur mit Qualitäts­kontrollen vergeben werden.“ Ein erster Schritt ist die Expansion nach Frankreich, die für das ­kom­mende Jahr geplant ist.

Ein weiterer Plan ist die Errichtung eines Portals, auf dem Klienten mit Therapeuten und Coaches verknüpft werden sollen. „Es gibt Menschen, die schon bei anderen Therapeuten behandelt wurden, aber einen anderen Ansatzpunkt suchen. Solche Menschen wollen wir mit unseren Epigenetik-Coaches verknüpfen“, erklärt Janisch. Unter dem Namen „Mein Gesundheitsexperte“ soll das Portal bereits in wenigen Wochen launchen. Auch ein Angebot für Unternehmen ist für die nächsten Jahre geplant. Janisch: „Hier wollen wir Unternehmen helfen, am Arbeitsplatz die besten Bedingungen für die Mitarbeiter zu schaffen.“ Das sei nicht nur für die Angestellten selbst gut, sondern auch für die ­Produktivität dieser, sagt er.

Viele der Entscheidungen, die Dr. Burzler und Janisch für ihr Unternehmen treffen, gehen auf dasselbe Ziel zurück: möglichst viele Menschen von ihrem personalisierten Ansatz der Medizin zu überzeugen. Die Mission ist nicht, reich zu werden, sondern Menschen zu heilen. Dr. Burzler: „Wir wollen Menschen zeigen, dass sie durch ihren Lebensstil einen riesengrossen Einfluss auf ihre Performance und ihre Gesundheit haben."

Dr. Manuel Burzler und Timo Janisch gründeten 2019 „deineMindbase“ – drei Jahre später wurde daraus HealVersity, die Firma, mit der sie heute Epigenetik-Coaches ausbilden.

Text: Erik Fleischmann
Fotos: Dirk Bruniecki