BOXENKAMPF

Eine Million Männer in fünf Millionen Outfits: Julia Bösch hat mit Outfittery den mittlerweile grössten Curated-Shopping-Anbieter Europas auf die Beine gestellt.

Julia Bösch mustert den Inhalt des beigefarbenen Kartons auf dem Tisch vor sich. Die Oberseite der Box ziert ein Greif – das Fabel­wesen steht symbolisch für einen verlässlichen Boten, der Sendungen heil überbringen soll. Der Griff an der Seite erinnert wiederum an einen Reisekoffer. Im Inneren befinden sich zwei akkurat gefaltete Outfits: eines Business, das zweite ­Casual. Auf Plastiktüten und Füllmaterial verzichtet Outfittery – „der Ästhetik zuliebe“, wie Bösch, Gründerin und CEO des Unternehmens, sagt. Stattdessen liegt jedem Paket eine Grusskarte mit persönlicher Nachricht jenes Stylisten bei, der die Outfits zusammen­gestellt hat.

Outfitterys Service richtet sich rein an Männer. Die Idee löste ein mit Bösch befreundeter Geschäftsmann aus New York aus, der begeistert von einer Personal-Shopping-Tour erzählte. Bösch war zu dieser Zeit als Head of International Business Development für den Versandhändler Zalando tätig. Zusammen mit Anna Alex, die beim Start-up-Inkubator Rocket Internet als Business Development Manager arbeitete und Bösch über Zalando kennengelernt hatte, gründete sie 2012 Outfittery. Der entscheidende Unterschied bei ihrem Unternehmen zu der Er­fahrung, die besagter Geschäftsmann ­machte: Der Service der ­beiden Gründerinnen sollte digital angeboten werden, um einen grö­sseren Kundenkreis zu erreichen.

Outfittery greift nach der Marktführerschaft

Seit der Gründung 2012 hat sich so einiges geändert: Mitgründerin Alex verliess ­Outfittery vor zwei Jahren, ist heute nur noch im Beirat des Unternehmens tätig. Alex’ Stärke – das Erschaffen und Entwickeln neuer Unternehmen – sei laut Unternehmens­aussage ­gegenüber ­Gründerszene nicht mehr notwendig gewesen, sodass der Stellungswechsel naheliegend war. Den grössten Umbruch für die Zukunft stellte aber die Fusion mit dem Konkurrenten ­Modomoto dar, die im Mai 2019 abgeschlossen wurde. Modomoto-Gründerin Corinna Powalla wird eine ­beratende Funktion einnehmen und – wie Anna Alex – Anteilseignerin bleiben.

Outfittery, Julia Bösch 3

Julia Bösch
... studierte Betriebswirtschaft in München und New York und startete ihre Karriere im Center for Digital Technology & Management (CDTM). Danach arbeitete sie als Head of International Business Development bei Zalando. 2012 gründete sie zusammen mit Anna Alex das Curated-Shopping-Unternehmen Outfittery.

Mit der Fusion endet ein jahre­langer Wettstreit um die Marktführerschaft in Deutschland beim Thema Curated Shopping für Männer. Inwiefern der Bedarf am Service überhaupt ­gegeben ist, wird der Markt nun zeigen. Das britische Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov führte zuletzt etwa eine Umfrage mit der Frage „­Wessen Rat vertrauen Sie beim Kleidungskauf am meisten?“ durch. 40 % der Männer ­gaben dabei ihre bessere Hälfte als Anlaufstelle bei der Kleiderauswahl an. Die Antwortmöglichkeit „Berater von Onlineshops wie Outfittery“ wurde hingegen nur von 1 % der Befragten ausgewählt.

Bösch zufolge sei mangelndes Interesse von Konsumentenseite aber kein Thema, die Erweiterung durch Modomoto bezeichnet sie als grosse Chance: „Rückblickend kann man eigentlich von einem AB-Test sprechen. Wir sind jeweils unterschiedliche Wege gegangen, auf ­denen wir unterschiedliche Dinge ausprobiert haben. Das hat uns an unterschiedliche Orte geführt.“ Als grössere Einheit und ­unter dem gemeinsamen Dach ­Outfittery soll die Vormachtstellung nun ­ausgebaut und der Fussabdruck in Europa vergrössert werden.

KI kein zuverlässiger Modeberater

Die allererste Box berge für den Kunden jedoch so ihre ­Risiken, weil Passgrössen oder Stoffvorlieben oftmals nicht gleich ­getroffen werden, sagt Bösch. „Je mehr ­Informationen der Kunde an Outfittery übermittelt, desto besser wird auch der Service“, erklärt die CEO. „Es braucht dafür sowohl einen Stylisten, der Zukunftstrends erkennt, als auch einen Algorithmus, der theoretisch unendlich viele Datensets auswerten kann. Mode ist eine ­wahnsinnig persönliche Sache, ­zudem entwickelt sie sich ­ständig weiter. Ein ­Algorithmus allein ­würde immer nur dieselben Dinge empfehlen“, lässt Bösch ein wenig hinter die Kulissen blicken.

Abgesehen von Herausforderungen bei der ­Kleiderauswahl ­sehen Beobachter vor allem die hohe Rücksenderate kritisch. Im Durchschnitt behalten Outfittery-­Kunden zwei Teile, der Rest wird retourniert. Die ­Vorschaufunktion, die von Outfittery letztes Jahr eingeführt wurde, konnte Anzahl und Frequenz der ­Rücksendungen jedoch deutlich verbessern, so Bösch: „Wir haben erkannt, dass der Kunde noch stärker in den ­Selektionsprozess eingebunden werden möchte.“

Zalando mit eigener Styleberatung

Ganz ohne Kampf wird Outfittery der Markt auch nach der ­Fusion aber nicht überlassen. Auch Zalando bietet seit 2015 mit Zalon eine Styleberatung an. Wie viel von Zalandos 1,6 Milliarden € Umsatz auf Zalon zurückzuführen sind, gibt das Unternehmen nicht bekannt. Auch Outfittery gibt keine Auskunft über Modomotos Anteil am Umsatz – zusammen verdienten die beiden Unternehmen 2018 jedoch laut eigenen Angaben rund 80 Millionen €.

Der Konkurrent Zalon beschäftigt heute rund 700 Mitarbeiter, beliefert neben dem DACH-Raum auch die Niederlande und den flämischen Teil Belgiens – und bietet das Service auch für Frauen an. Zum Vergleich: Outfittery agiert neben den bereits genannten Ländern auch in Luxemburg, Schweden, Dänemark und neuerdings in Frankreich – vor der Fusion mit Modomoto erreichte das Unternehmen im November 2017 erstmals kurzzeitig die Gewinnschwelle. Gleichzeitig kamen 2018 unbestätigte Gerüchte auf, das Unternehmen würde vor der Pleite stehen. Trotzdem, und obwohl der Markt umkämpft bleibt, zeigt sich Bösch optimistisch, dass das Geschäfts­modell funktioniert: „Die Welt wird zu komplex und strotzt nur so vor Angeboten. Auch beim Kleidungskauf werden Partner gesucht, denen man vertrauen kann.“

Outfittery, Julia Bösch 2

Ein Blick in die USA zeigt, dass das Konzept an sich durchaus vielversprechend funktionieren kann. Den Ursprung fand die Idee in den USA, wo ­Unternehmen wie Trunk Club oder StitchFix erfolgreich tätig sind. Insbesondere für StitchFix und Gründerin Katrina Lake zeigt Bösch ­Bewunderung: Das kalifornische Unternehmen bot sein Personal Styling für Frauen, Männer und Kinder erstmals 2017 an, alleine im ersten Jahr ­wurden unter CEO Lake 977 Millionen US-$ Umsatz erwirtschaftet; im Folgejahr waren es bereits 1,2 Milliarden US-$.

Zudem sammelte Lake 42 Millionen US-$ an Risikokapital ein, bevor das Unternehmen im August 2018 an die Börse ging. Aktueller Marktwert: 1,9 Milliarden US-$. Schöne Investitionen erhielt auch ­Outfittery: Northzone investierte im Jahr 2015 20 Milli­onen US-$, die Risikokapi­talgesellschaft Octopus Ventures steuerte 2016 noch einmal 22 Millionen US-$ bei. Insgesamt beschäftigt Outfittery heute 450 Mitarbeiter, der Hauptsitz liegt in Berlin. Auch wenn der Markt hart umkämpft ist und das Geschäfts­modell eine Herausforderung: Das Beispiel Katrina Lake zeigt, dass Outfittery durchaus eine rosige Zukunft haben könnte. Dafür setzt Bösch trotz Maschinen und Daten auch weiterhin auf die menschliche Beziehung – damit Outfittery künftig die bevorzugte Wahl beim Kleiderkauf wird und bald noch mehr Männer mit beigefarbenen Boxen zu ­sehen sind.

Text: Chloé Lau
Fotos: Jörg Klaus

Der Artikel ist in unserer September-Ausgabe 2019 „Women“ erschienen.

Forbes Editors

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