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Der Traum vom fliegenden Auto ist fast so alt wie das Automobil selbst. Seit über einem Jahrhundert versuchen zahlreiche Hersteller, die Utopie in die Realität umzusetzen. Trotzdem hat sich noch kein Modell durchgesetzt. Eine Bestandsaufnahme.
Gemütlich steigt Bruce Willis alias Korben Dallas in sein Taxi, öffnet das Garagentor und steuert mit seinem Auto direkt ins Grossstadt-Verkehrschaos – Hunderte Meter über dem Boden. Wir befinden uns im Jahr 2263 der fiktiven Welt des französischen Regisseurs Luc Besson. 1997 produziert er mit seinem Science-Fiction-Werk „Das fünfte Element“ nicht nur einen der erfolgreichsten europäischen Filme, sondern wagt einen Blick in die Verkehrswelt der Zukunft. Damit ist er nicht allein. Bereits 1968 lässt Regisseur Ken Hughes sein Wunderauto „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ Flügel ausklappen und durch die Lüfte schweben und auch in der legendären „Harry Potter“-Filmreihe wird nicht auf das fliegende Auto verzichtet. Noch älter als die cineastische Umsetzung des Phänomens sind die tatsächlichen Versuche, ein solches zu konstruieren. 1917, gerade einmal 30 Jahre, nachdem das Automobil erfunden wurde, hob Glenn Curtiss mit seinem Prototyp Curtiss Autoplane ab, allerdings nur für sehr kurze Strecken. Über das letzte Jahrhundert hinweg folgten zahlreiche Versuche, den Traum vom fliegenden Auto endlich umzusetzen. Am 1. Juli dieses Jahres wurde die Fiktion kurzzeitig zur Realität.
Der slowakische Ingenieur und Designer Stefan Klein hob mit seinem selbstentwickelten Aircar in Nitra ab, legte einen 35-minütigen Flug nach Bratislava hin, verwandelte sein Gefährt per Knopfdruck wieder in einen Sportwagen und fuhr gemütlich damit ins Stadtzentrum. Bis zu diesem Tag war es eine lange Reise für den Unternehmer. Die Faszination für Flugwesen liegt in Kleins Familie. 1989 entwirft er im Zuge seiner Diplomarbeit ein fliegendes Auto und widmet sein Leben seither der Umsetzung dieser Vision. Mit dem Prototyp 1 des Aircars ist ihm das gelungen. Am Boden gleicht das Gefährt einem eleganten Sportwagen, innerhalb von nicht einmal drei Minuten kann es per Knopfdruck in ein flugfähiges Objekt verwandelt werden. Dazu wird der Propeller am Heck des Autos von einem 160 PS starken Motor angetrieben. Die Tragflächen fahren aus den Flanken des Gefährts aus. Das Aircar kann in der Luft bis zu 190 km/h und eine Flughöhe von 2.500 Metern erreichen. Zum Verkauf steht das Modell noch nicht. „Der Prototyp 1 wurde als Testobjekt entwickelt. Er soll beweisen, dass das Konzept und die Idee funktioniert“, so Anton Zajac, Mitgründer des Unternehmens Klein Vision. Am zweiten Prototyp wird währenddessen schon gearbeitet. Ein Markteintrittsdatum können die Gründer Klein und Zajac nicht genau nennen – sie schätzen, in ein bis drei Jahren könnten zertifizierte Modelle verkauft werden. Sie sind damit allerdings nicht die Ersten am Markt.
Bereits seit den 1960ern gibt es Flugautos zu kaufen, diese sind aber meistens entweder zu schlecht oder zu unattraktiv und unpraktisch für den Käufer, um sich durchsetzen zu können, erzählt Stefan Levedag, Leiter des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt. Fliegende Autos sind laut ihm aus dem Wunschtraum jedes Autofahrers entstanden, im Stau auf einen Knopf zu drücken und einfach abzuheben. „Es gibt aber ganz wesentliche Gründe, warum dieser Markt bis jetzt nicht funktioniert hat. Noch niemand hat bisher auch nur einen Euro damit verdient – im Gegenteil“, so Levedag, der die Branche seit Jahren beobachtet.
Die Konstruktionsanforderungen für ein Auto und ein Flugzeug seien extrem unterschiedlich und nur schwer kombinierbar. „Wenn man diese aber unter einen Hut bringt, kommt etwas heraus, das wir als schlechtes Auto und lausiges Flugzeug bezeichnen.“ Man müsse sehr viele Kompromisse machen, um so ein Gefährt technisch umzusetzen, „aber es ist machbar“, so der Professor. Dass es geht, beweisen Hersteller immer wieder.
Dem Markteintritt am nächsten scheint Pal-V. Der niederländische Hersteller „kombiniert die Neigetechnik für Strassenfahrzeuge mit den Flugeigenschaften eines Tragschraubers“, heisst es auf der Website. Der Rotor wird von einem Motor angetrieben, die Blätter werden durch den Wind bewegt und wirken wie ein Fallschirm – solange Wind geht, drehen sie sich. Optisch gleicht das Gefährt einem Hubschrauber mit Rädern. Das Flugauto ist ein Zweisitzer, treibstoffgetrieben, hat eine Flugreichweite von 400 km, erreicht 180 km/h Geschwindigkeit und 3.500 Meter Höhe. Laut der Website erfüllt das Modell bereits alle gesetzlichen Vorschriften zum Fliegen und Fahren und ist praktisch „ready to go“. Der Pal-V Liberty kann vorbestellt werden und kostet 499.000 € oder als Sport-Edition 299.000 €.
Bevor Flugautos in unsere Garagen einziehen, muss vor allem eine Frage beantwortet werden: Hat die ultimative Utopie des 20. Jahrhunderts in unserer Zeit überhaupt noch Platz? Denn während für Glenn Curtiss beim Entwurf seines ersten Prototyps im Jahr 1917 die Klimakrise noch ein Fremdwort gewesen wäre, ist sie heute ein ständiger Begleiter in unseren Köpfen und muss in jede Innovation miteinbezogen werden. Ist mehr Verkehr der Schritt in die richtige Richtung? Stefan Klein sieht keine Unverträglichkeit von Nachhaltigkeit und Flugautos. Das Aircar soll in Zukunft in der Luft durch einen Kompost-getriebenen Motor fliegen und auf der Strasse durch einen batteriebetriebenen Elektromotor fortbewegt werden. Diese Umstellung sei für den nächsten Prototyp geplant und leicht umzusetzen.
„Wichtig war jetzt, zuerst den Prototyp in puncto Sicherheit perfekt zu entwickeln, jetzt können wir über solche Dinge nachdenken“, so Klein. Sein Geschäftspartner Anton Zajac argumentiert, dass das Aircar bereits jetzt nachhaltig betrieben wird. Der wichtigste Indikator sei die pro Kilometer verbrauchte Energie. Das Modell verbrauche etwa weit weniger Energie als eine Drohne. „Der Schlüssel der Zukunft ist Effektivität“, stimmt Klein zu. Aus Sicht des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt sind nachhaltige, effiziente Flugautos aber immer noch „Hirngespinste und Marketing-Gags“, so Levedag. Ein batteriebetriebener Antrieb könne vielleicht eine Flugzeit von 15 Minuten erreichen. Mit extrem optimierten elektrobetriebenen Flugzeugen, könne man heute 30 bis 40 Minuten fliegen, doch selbst diese setzen sich nicht durch.
Der Reiz, in einem Gefährt durch die Lüfte zu düsen, das noch vor 50 Jahren die ultimative Utopie war, überstrahlt für einige aber die Frage nach der Sinnhaftigkeit und so wird weiterhin Geld in die Industrie gepumpt und der Traum vom (profitablen) fliegenden Auto noch einige Jahre weltweit von Herstellern verfolgt. Wer viel Geld hat und gern wie der Superheld seines liebsten Science-Fiction-Films reisen möchte, wird wahrscheinlich nicht mehr lange warten müssen. Das Verkehrschaos im Himmel, durch welches sich Bruce Willis im „Fünften Element“ eine spektakuläre Verfolgungsjagd liefert, wird uns aber wahrscheinlich erspart bleiben. Wer sich unter den zahlreichen Herstellern durch Profite von der Masse abheben kann, ist noch nicht entschieden. Das Rennen um den Pionier der Lüfte bleibt offen.
Text: Sophie Ströbitzer
Fotos: Mehdi (Unsplash), Pal-V
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 6–21 zum Thema „NEXT“.