Bier für alle, die eigentlich keines trinken

LeAnn Darlands und Tara Hankinsons Talea-Bier soll eine breite Masse an den Tresen locken. Die Marke wurde schnell zu einem in New York etablierten Player – mit Tabasco-, Schokoladen- und Key-Lime-Pie-Kreationen begeistert sie in Supermarktregalen und in den eigenen Bars. Doch reicht das, um auf dem schwierigen Alkoholmarkt zu navigieren?

Hinter dem weissen Marmortresen tunkt der Barkeeper einen Glasrand in Zimtzucker, von einem der ­goldenen Hähne hinter sich zapft er dann ein schokoladen­farbenes Bier – Taleas saisonales Kürbis-Ale sieht aus wie ein Eiskaffee. Für einen herzhafteren Geschmack empfiehlt der Barkeeper ein Pizza-Tabasco-Pils – mit Tomate, Oregano und ordentlich dosierter Schärfe.

Der Schankraum von Talea sieht aus wie die „­Streusel auf einem Geburtstagskuchen“, sagt Co-­Gründerin LeAnn Darland – der Barbereich ist gefliest in Orange, Gelb und einem tiefen Lila. Im hinteren Bereich der Bar befindet sich eine stimmungsvolle Lounge in Dunkelblau mit samtenen Sesseln, die sich um kleine Couchtische drapieren. Lampen aus Zinn kreieren ein schummriges Licht, doch die gerahmten Illustrationen an den Wänden wirken einladend und freundlich.

Neben Kürbis und Pizza finden sich noch andere Überraschungen auf der Getränkekarte: ein Sour namens „Tutti Frutti Crush“, ein extra rauchiges Lager und ein Oktoberfestbier namens „Dirndl Dunkel“. ­Ansonsten erinnert hier wenig an eine klassische ­Brauerei – Talea ist zu bunt, zu verspielt für einen Ort, der rund zwei Dutzend Biere vom Fass anbietet und viele weitere exotische Sorten in Dosen. Und auch das ist nur eine kleine Auswahl des gigantischen Sortiments, das Talea auf Lager hat: Auf der Website finden sich Seiten über Seiten bunter Dosen mit ­ausgeflippten Varianten an Punches, IPAs, Lagers und Sours mit Geschmacks­profilen wie heisser Chilischokolade, „Spicy Mango Marg“ und „Strawberry Vanilla Cream“.

Darland und ihre Mitgründerin Tara Hankinson ­bezeichnen ihre Kreationen als Biere für Leute, die eigentlich kein Bier trinken; ein Bier von Frauen, das allen schmecken soll. Und wenn man weiss, worauf man achten muss, erkennt man die weibliche Note im Schankraum sofort. Zum einen ist da natürlich das flippig-bunte Design auf den Talea-Dosen und im Innenraum der Bar; statt schwerer Humpen wird das Bier hier in filigraneren ­Gläsern serviert, mal mit, mal ohne Stiel. An allen Plätzen an der Bar und an allen Stehtischen sind Haken angebracht, um Handtaschen und Jacken aufzuhängen – und in den WC-Räumlichkeiten befindet sich ein Wickeltisch, denn „wir kennen die Situation, wenn man sein Kind auf einer Holzbank wickeln muss“, sagt Darland.

Was nach einer besonders experimentellen Unternehmung in der Craftbeer-Welt klingt, ist in New York City inzwischen ein etablierter Player. Die flippig designten Dosen von Talea findet man in quasi jedem Craftbeer-Laden, den Supermärkten Trader Joe’s und Whole Foods, vielen Bars der Stadt und natürlich Taleas eigenen Schankräumen.

Die Gründerinnen, die hinter Talea stecken, ­fanden 2019 zueinander, als beide bei einem Bier-Start-up arbeiteten. Darland hatte da bereits eine Karriere bei der Marine des US-Militärs hinter sich. Während dieser Zeit kam sie auch zum Craftbeer, als sie 2013, am Höhe­punkt der Welle an neuen Brauereien, in San Diego und Hawaii stationiert war. In diesen Bier-Hochburgen verliebte sie sich in die Braukunst – ein Interesse, das sie nicht wieder losliess; auch Jahre später nicht, als sie bei Google in Corporate Finance arbeitete und einen MBA absolvierte.

Wir versuchen, die smarteste datenbasierte Brauerei zu sein, die es gibt.

Tara Hankinson

„Irgendwann konnte ich meine Neugierde nicht mehr ignorieren“, sagt Darland – sie fing an, zu Hause Bier zu brauen. Schliesslich kündigte sie ihren Job
und nahm eine neue Stelle bei einem Bier-Start-up in ­Brooklyn an. Dort kreuzten sich auch die Wege zwischen ihr und Hankinson: Deren Bewerbung landete auf Darlands Schreibtisch, als das junge Unternehmen gerade auf der Suche nach einer neuen Leitung für die Customer Experience war. Hankinson war perfekt ­dafür: Sie kommt aus einer Gastronomenfamilie, ihr Interesse für den Getränkebereich reicht viele Jahre zurück. Und auch sie war wie Darland ausgerüstet mit einem Business-Skillset: Sie absolvierte einen MBA, arbeitete zuvor bei der New York Times.

Zwischen Darland und Hankinson war es quasi ein schicksalhaftes Aufeinandertreffen. Beide Frauen verbindet viel: Beide brachten eine Liebe für Bier mit, waren aber gleichzeitig bestens ausgebildet für das Business dahinter; beide verliessen ihre komfortablen Corporate-Jobs auf der Suche, beide Welten zu ver­binden; sie sind gleich alt und wurden beide kurz nacheinander Mütter. Als sie sich trafen, dauerte es nur drei Monate, bis sie das Start-up verliessen und 2019 die LLC gründeten, die dann zu Talea werden sollte.

Wir haben so gerne zusammengearbeitet“, sagt Darland, „und wir dachten: Anstatt uns zehn bis zwölf Stunden am Tag den Arsch für das Start-up von ­jemand anderem aufzureissen, sollten wir es lieber selbst machen.“ Taleas erstes Ziel war, ein Bier ins Regal zu ­bringen. Was nach einem bescheidenen Start klingt, stellte sich jedoch als komplexes Unterfangen heraus. „Wir ­wussten, dass wir ein Pale Ale machen wollten, und fanden schnell eine Brauerei, die das für uns herstellen konnte. Gleichzeitig haben wir an einem Businessplan gearbeitet.“ Und an einem Namen: Auf der Suche nach einem Unikat neben 10.000 anderen Brauereien in den USA waren es am Ende die Vornamen der ­Gründerinnen, die zu „Talea“ führten: Tara Hankinson und LeAnn Darland; „Ta“ und „Lea“ also.

Das eine Bier im Regal hatte nun also einen Hersteller und einen Namen, aber noch keinen wirklichen Grund, gekauft zu werden. Im Zuge des Businessplans warfen Darland und Hankinson einen kritischen Blick auf den Markt, in den sie eintauchen wollten, und fanden schliesslich eine Lücke: ein Bier, das Menschen wie sie selbst anspricht – Frauen. Aber auch: nicht nur Frauen. Die Dosen sollten immer „catchy und verspielt sein, aber im Kern eben genderneutral“; und so für eine breite Masse an Kundinnen und Kunden interessant.

In den folgenden Jahren baute Talea schliesslich seine eigene Brauerei auf – vor allem, um die Marge zu vergrössern und die Zahl der Mitverdiener in der Lieferkette zu verringern. Das gilt auch für die Entscheidung, sich schnell auf eigene Schankräume zu fokussieren; denn es gibt wohl kaum ein Konzept für eine grössere Marge, als das selbst hergestellte Bier in eigens betrie­benen Bars zu verkaufen.

Gleichzeitig sind die Schankräume auch die Orte, wo Taleas Brand zum Leben erweckt wird: Community-Events, Blumengestecke auf den Tischen, Happy Hours und private Partys: Die Bars sind nicht nur ein Produkt optimierter vertikaler Integration, sondern auch ein sentimentaler Begegnungsort.

Das Herzstück sind dabei natürlich auch die Biere. Darland und Hankinson sind an fast allen ­Kreationen beteiligt. Wer das schier unendliche Sortiment durchforstet, bekommt schnell den Eindruck, dass hier jeder flüchtige Alltagseindruck im Supermarkt zu einer Biersorte wird; ein Sortiment glücklicher Zufälle. ­Tat­sächlich beobachten die Gründerinnen ihre Kundschaft mit Adleraugen: Sie behalten alle Trends im Auge, beobachten ­soziale ­Netzwerke und untersuchen eine ganze Menge an Daten. „Wir versuchen, die smarteste daten­basierte Brauerei zu sein, die es gibt“, erklärt Hankinson.

Der Laden läuft, so scheint es. Doch gleich­zeitig ­liegen harte Zeiten hinter Talea – und womöglich auch vor Talea. Die erste Bar in Williamsburg öffnete im März 2021; zu dem Zeitpunkt, als man gerade vor­sichtigsten Optimismus schöpfte, dass die Impf­kampagne vielleicht das Ende der Pandemie ­bringen könnte. Hinter dem Eröffnungsdatum stand keine übergrosse Portion Gründer­mut, sondern es gab „keine andere Wahl“ – denn der Mietvertrag war bereits im November 2019 unterschrieben worden. LeAnn: „Wir haben persönlich für einen zehn­jährigen Mietvertrag gehaftet und zu dem Zeitpunkt über eine Mio. US-$ (0,9 Mio. €) von gut 80 verschiedenen ­Menschen eingesammelt. Aufhören war keine Option.“

Das Blatt wendete sich zum Guten – frisch geimpfte New Yorker schwärmten mit viel Geld und einem grossen Appetit auf Bier zurück in die Bars. 2021 wurde schliesslich das erfolgreichste Jahr in Taleas Geschichte. Danach expandierte die Marke schnell, eröffnete vier weitere Schankräume, darunter auch das Flaggschiff auf der Christopher Street. Talea erlangte echte Markenbekanntheit und kooperiert heute ständig mit grossen Marken wie Tabasco, Milk Bar Cookies, Levain Bakery und der Rasierermarke Flamingo (entstanden ist ein ­exklusives Bier zum Mitnehmen in die Dusche).

Doch nach dem Post-Pandemie-Boom kam die grosse Alkoholflaute. Jüngste Studien der ­Forschungsgruppe Gallup zeigen, dass nur noch gut die Hälfte der ­Amerikaner und Amerikanerinnen Alkohol trinkt – ein Rekordtief seit dem Ende der Prohibition. Zusätzlich verebbt das Interesse an Craftbeer: 2024 schrumpfte der Markt um 4 %, berichtet der Brauereiverband ­Brewers Association. Es ist bereits das dritte Negativjahr in Folge.

Talea muss nun also erfinderisch werden. Aber auch der Mut zu Neuem hilft in der aktuellen Lage nur bedingt. Darland erwähnt einen jüngsten Gastbeitrag der Braubranche in der New York Times, der den Kampf dieses Wirtschaftssegments beschreibt und Massnahmen zur Trendumkehr nennt: Verkauf von Sixpacks kleinerer Dosen (anstelle von Viererpacks grösserer Dosen), Biere mit geringerem Alkoholgehalt und ein Branding, das eine breitere Masse anspricht und nicht nur eine Nische innerhalb des Biermarkts – „all das machen wir aber schon“. 2025 könnte ein Null­summenspiel für Talea werden.

In dieser Erkenntnis liegt Bitterkeit – und Tatendrang: „We have bigger fish to fry“, sagen die Gründerinnen. Der Fisch, das ist die Gastronomiebranche in New York: „Wir wollen die bestgeführte Gastronomie-Gruppe in der Stadt werden, nicht die beste lokale Profi-Brauerei in Brooklyn.“ Dabei ist die Metropole bekannt dafür, auch gut ausgestattete und durchdachte Restaurantkonzepte in wenigen Monaten zu verbrennen. Doch Talea will mit diesem Tiger Tango tanzen.

Talea hat viele Gründe, zu hoffen. Auch kurz nach der Öffnung der Bar um zwölf Uhr vormittags ist der Schankraum in der Christopher Street gut besucht. Die hippe Nachbarschaft des West Village hilft dabei, denn direkt nebenan lockt die virale „L’industrie Pizzeria“ ­Dutzende Touristen und Locals, die teils stundenlang entlang der Ladenfront von Talea in der Schlange ­stehen, um ein Stück Pizza zu kaufen.

Die Pizzeria hat keine Sitzplätze und das Pizzastück ist das einzige Essen von auswärts, das bei Talea erlaubt ist – solange man ein Getränk bestellt. Vielleicht ein Pizza-Bier mit Tabasco-Note? Das passt doch wunderbar. Ein weiterer glücklicher Zufall …

Fotos: Sasha Bianca Photography

Forbes Editors

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