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Ein Modeunternehmen, das sowohl bei seinen Produkten als auch bei seinem Wachstum nachhaltig sein will: Nikin hat bisher einen Umsatz von 38 Millionen CHF erzielt und dabei über 1,5 Millionen Bäume auf der ganzen Welt gepflanzt. Die junge Schweizer Marke hat eine Fangemeinde für ihre Bekleidungsprodukte gefunden und will ihren Fussabdruck auch auf dem deutschsprachigen Markt vergrössern – Baum für Baum.
Es ist ein passender Rahmen für unser heutiges Gespräch – denn als Carla Hänny uns über Zoom aus dem Nikin-Büro in Lenzburg begrüsst, erkennt man schnell die Kulisse des Besprechungsraums, der passenderweise „Amazonas“ heisst. Auf der einen Seite ist die ganze Wand mit einer Baumtapete bedeckt, auf der anderen Seite prangt das allererste Nikin-Plakat von Weihnachten 2018. Kurzum: Es ist ein Ort voller Erinnerungen – und das, was Hänny als den schönsten Raum in ihrem Industrielager bezeichnet.
Die nachhaltige Modemarke Nikin wurde 2016 im Kanton Aargau in der Schweiz gegründet. Als Chief Financial Officer arbeitet Hänny mit ihrem Mann Nicholas Hänny sowie Robin Gnehm zusammen – alle drei sind auf der Forbes-„30 Under 30“-Liste für DACH und Europa vertreten. Ihr Ziel ist „bezahlbare Nachhaltigkeit“: Für jedes verkaufte Produkt verspricht das Schweizer Unternehmen, einen Baum zu pflanzen. „Damit wollen wir vor allem einen Beitrag zur Wiederaufforstung leisten, aber auch bei den verwendeten Materialien ist Nachhaltigkeit für uns ein wichtiges Thema“, erklärt Hänny. In Zusammenarbeit mit der Wohltätigkeitsorganisation One Tree Planted hat das Unternehmen weltweit 1,5 Millionen Bäume gepflanzt, von Obstbäumen in Indien bis hin zu Kaffeebäumen in Ruanda.
Die Idee ist nicht neu: Laut einem Bericht des World Wildlife Fund aus dem Jahr 2020 haben sich 13 der 14 in der Schweiz befragten Fortune-500-Unternehmen an der Pflanzung von Bäumen beteiligt – das entspricht schätzungsweise 20 Millionen Bäumen seit dem Jahr 2000. Grosse Bekleidungsmarken wie Timberland hoffen, bis 2025 weltweit 50 Millionen Bäume zu pflanzen, Intimissimi will die Emissionen ausgleichen, indem für jeden dritten verkauften BH ein Baum gepflanzt wird – und das Weltwirtschaftsforum (WEF) hat bereits die Initiative gestartet, bis 2030 eine Billion Bäume wiederherzustellen, zu erhalten oder zu pflanzen.
Sieht Hänny dies als reine Marketingkampagne? „Bäume zu pflanzen kann tatsächlich gutes Marketing sein, da die Botschaft auch leicht zu verstehen ist“, sagt sie. „Aber bei Nikin geht es weit darüber hinaus.“ Das Unternehmen vermeidet Plastikverpackungen und verwendet hauptsächlich Materialien wie Biobaumwolle, Leinen und recyceltes Polyester. Trotzdem sieht sich Nikin mit kritischen Verbrauchern konfrontiert: Setzt das Unternehmen in der Türkei billige Arbeitskräfte ein? Warum produziert Nikin nicht in der Schweiz? Ursprünglich arbeitete das Unternehmen mit chinesischen Lieferanten von Alibaba zusammen, bevor es zu Herstellern in Portugal, Polen, der Tschechischen Republik und im europäischen Teil von Istanbul wechselte. (Die einzige Ausnahme sind die Flaschen, die immer noch von einem chinesischen Hersteller stammen.) „Wir sind immer noch ein Start-up, wir haben immer noch unklare Prozesse. Wir haben keine perfekten Produkte“, sagt Hänny. „Es gibt also in jedem Bereich noch viel zu verbessern. Wir definieren Nachhaltigkeit als einen Prozess oder als einen Weg, auf dem wir uns vorwärtsbewegen, also wird es immer Raum für weitere Fortschritte geben.“
Hänny wurde in einen Familienbetrieb hineingeboren. Ihr Elternhaus befand sich im Hinterhof der Firma Cossisa ihres Vaters in Sete Lagoas, Brasilien. Sie beobachtete oft die Mittagssitzungen. „Ich habe von klein auf einen Sinn für das Geschäftliche entwickelt“, erinnert sich Hänny, von der erwartet wurde, dass sie das Familienunternehmen übernehmen würde. Doch ihr Leben nahm eine Wendung: 2016 zog sie in die Schweiz (wegen der Liebe, wie sie sagt), heiratete auf Schloss Lenzburg, nur wenige Schritte vom heutigen Büro von Nikin entfernt, und schrieb sich an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) für Internationales Management ein.
Obwohl Hänny sich selbst nicht als Gründerin von Nikin betrachtet, hat sie von Anfang an ihren Beitrag geleistet. Nikin war ein Spin-off von Nicholas’ früherem Start-up Nikit, das Turnbeutel verkaufte. Mit den Einnahmen aus diesem Unternehmen (wohlgemerkt: nur 5.000 CHF) wurde für die Wintersaison 2016 eine Mützenkollektion herausgebracht. In seinem kleinen Lager in Lenzburg erwirtschaftete Nikin im Jahr 2017 einen Umsatz von 300.000 CHF. Es war ein kleiner Betrieb, der hauptsächlich von Freunden und der Familie geführt wurde. Das Team war weit verstreut und hatte kein eigenes Büro; sie verliessen sich auf monatliche Treffen in einer Bar. Ein Jahr später – dann als etablierte GmbH mit einem richtigen Lohnsystem – wuchs der Umsatz auf 2,5 Millionen CHF. Das Versprechen, Bäume zu pflanzen, so lernte Nikin schnell, war für die Verbraucher attraktiv. Hänny: „Das Geschäft explodierte! Wir merkten, dass die Produkte, für die wir einen Baum pflanzten, sich besser verkauften, was uns veranlasste, das Thema Nachhaltigkeit grundsätzlicher zu betrachten.“
Carla Hänny
...wurde in Sete Lagoas, Brasilien, geboren. Im Jahr 2016 zog sie in die Schweiz und kam 2018 als Chief Financial Officer zu Nikin.
Abgesehen von der Umweltverpflichtung betont Hänny, dass Performance-Marketing (bei dem Marken nur für Marketing zahlen, wenn Klicks und Verkäufe generiert werden) der Schlüssel war, insbesondere auf Facebook und Instagram. „Vom ersten Tag an war es ein wichtiger Teil unserer Marketingstrategie, da es im Vergleich zu anderen Marketingformen wie TV und Aussenwerbung relativ günstig ist“, erklärt sie. „Es ist sehr flexibel, Kampagnen innerhalb von Sekunden ein- und auszuschalten und auch sehr schnell zu skalieren. Das war vor allem in der Anfangszeit von Nikin wichtig, wo wir mit Facebook Ads mit wenigen Franken pro Tag begonnen und dann kontinuierlich hochskaliert haben.“
Nikin feierte kürzlich seinen fünften Geburtstag. Das Wachstum des 50-Personen-Unternehmens bedeutet, dass Hänny an dem Tag, an dem wir uns treffen, mit mehreren Aufgaben jongliert. Sie überprüft die KPIs und entscheidet gleichzeitig, ob die Weihnachtsfeier stattfinden soll oder nicht; noch wichtiger ist jedoch, dass sie sich auf den Jahresabschluss von Nikin konzentriert. An diesem Punkt unseres Gesprächs startet sie die Taschenrechnerfunktion ihres Telefons und beginnt, Zahlen zu nennen.
Für 2021 rechnet das Unternehmen mit einem Umsatz von 16 Millionen CHF, für 2022 sind 20 Millionen CHF geplant. Das Ziel ist ehrgeizig. Momentan kommen noch zwei Drittel des Umsatzes aus der Schweiz, aber das Wachstum auf dem heimischen Markt flacht ab und hat den „Punkt der Explosion“ überschritten. In einem nächsten Schritt will Nikin seine Reichweite im deutschsprachigen Markt ausbauen. In Deutschland hat das Unternehmen bereits 30.000 Kunden, in Österreich 5.000. Für das Jahr 2022 plant Nikin, weitere Upcyclingprodukte und sogar eine „Gemüsekollektion“ herauszubringen, bei der die Artikel auf natürliche Weise mit Gemüse wie Zwiebeln gefärbt werden (Nikin versichert uns, dass die Stücke dennoch nicht riechen werden).
Als Bootstrap-Unternehmen ist Nikin nicht auf externe Investoren angewiesen. „Bisher mussten wir uns nur vor uns selbst rechtfertigen“, sagt Hänny. Sie will, dass das so bleibt: „Wenn Sie mich fragen: ‚Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor?‘ – ein weiteres Nikin!“ (Sie lacht.) „Ich kann mir nicht vorstellen, etwas anderes zu machen. Vielleicht ein anderes Geschäft, aber immer verbunden mit Nikin!“
Text: Olivia Chang
Fotos: Nikin
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 10–21 zum Thema „Under 30“.