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Alexander Kottas-Heldenberg führt das Familienunternehmen Kottas Pharma und das Kottas Kräuterhaus in achter Generation weiter. Seit 230 Jahren stehen dort Heilpflanzen im Mittelpunkt. Heute muss sich der Geschäftsführer gegen Supermarktregale, die Klimakrise und strenge Arzneibuch-Vorgaben behaupten – und möchte der Pflanzenheilkunde zur Renaissance verhelfen.
Als Schulbub hat Alexander Kottas-Heldenberg an der langen Holztheke des Kräuterhauses Hausaufgaben erledigt. Hinter derselben Theke reiht sich bis heute eine Schublade an die nächste, beschriftet mit weissen Emailschildern: Spitzwegerich, Holunderbeeren und Moschuskraut stehen dort in lateinischen Worten angeschrieben. Auch das Kerngeschäft ist noch dasselbe: Das Unternehmen Kottas Pharma verkauft Heilkräuter, die in der Wildnis gesammelt oder von Kräuterbauern kultiviert werden, an Endkunden und Apotheken. Im Kottas Kräuterhaus in der Wiener Innenstadt gehen Heilkräutertees, Tinkturen und Kosmetika über den Ladentisch, die Drogistinnen und pharmazeutisch-kaufmännischen Assistentinnen mischen aber auch Kräuterrezepturen an Ort und Stelle. „Oft heisst es: ,Wenn du ein Rezept hast, das etwas ausgefallener ist, musst du zum Kottas auf die Freyung‘“, sagt der Inhaber. Das Gebäude auf dem gepflasterten Platz ist seit 1795 Stammsitz des Unternehmens. Anton Kottas-Heldenberg gründete damals die „Medicinische Kräuter Handlung“ im Prioratshaus des Schottenstifts auf der Freyung – das heutige Kräuterhaus. Beinahe täuscht es darüber hinweg, dass Alexander Kottas-Heldenberg in einem anderen Zeitalter tätig ist als seine Vorfahren. Doch der Klimawandel stellt das Familienunternehmen vor neue Herausforderungen. Was Kottas-Heldenberg aber am meisten zu beschäftigen scheint: Supermärkte bieten ihren Kunden zwar ein vielfältiges Angebot – doch diese Tees unterscheiden sich in einem bedeutenden Punkt von jenen des Kräuterhauses.
Dass der Geschäftsführer all das erzählt, ist weniger selbstverständlich, als es scheinen mag. Zwar habe er schon als Kind mitgeholfen und Säcke mit Kräutern gefüllt, „als jüngster von drei Söhnen hatte ich aber nicht primär geplant, das Unternehmen zu übernehmen“, erzählt Kottas-Heldenberg. Weil die Berufschancen in seinem Traumberuf Biologe als gering galten, schrieb er sich ins Medizinstudium ein und war jahrelang als Dermatologe tätig. Im Alter von 40 Jahren beschloss Kottas-Heldenberg schliesslich, die Führung des Unternehmens zu übernehmen. „Mein medizinisches Interesse und die Liebe zur Pflanzenheilkunde haben den Ausschlag gegeben, Kottas Pharma weiterzuführen“, erzählt er. Österreich war ein paar Jahre zuvor in die Europäische Union eingetreten, die Branche sah sich mit neuen Regeln konfrontiert. „Um das alles umzusetzen, braucht man viel Energie“, sagt Kottas-Heldenberg. „Ich habe die Firma zum richtigen Zeitpunkt übernommen.“ Neue Entwicklungen im Wirkstoffbereich, der Aufstieg von Computer und Internet: Die achte Generation der Kottas-Familie macht mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Veränderungen durch als jede zuvor. Er habe die Firma zukunftsfit gemacht, sagt der Geschäftsführer.

Wir können die Wirkung garantieren, da wir unsere Heilkräuter nach dem Arzneibuch prüfen.
Alexander Kottas-Heldenberg
Den Grossteil des Umsatzes erzielt Kottas Pharma mit Endkunden und Apotheken innerhalb Österreichs. „Die Heilkräutertradition ist in Mittel- und Südeuropa aufgrund der Wachstumsbedingungen besonders verankert“, erzählt der Geschäftsführer. Der Anbau findet vor allem in Ländern statt, die die Geschichte alpenländischer Kräutertradition kennen; dazu gehören Österreich, die Schweiz, Teile Italiens und Ex-Jugoslawiens sowie Bulgarien und Rumänien. Aktuell beziehe Kottas Pharma sogar mehr Kräuter aus dem Inland als früher, erklärt Kottas-Heldenberg: „Es gibt immer mehr Landwirte, die weg von der Massenproduktion wollen und statt Weizen oder Mais in Monokultur etwas Hochwertiges anbauen möchten.“ Preisdumping sei für ihn tabu: „Es ist wichtig, Lieferanten gute Preise zu bezahlen, um die Wertschätzung gegenüber der harten Arbeit auszudrücken und ihren Fortbestand zu sichern“, sagt er. Mit einigen Kräuterbauern arbeitet Kottas Pharma seit mehreren Generationen zusammen. Der Klimawandel zwingt das Unternehmen jedoch dazu, sein Lieferantennetz zu diversifizieren: „Mittlerweile beziehen wir unsere Kräuter bewusst von Lieferanten aus verschiedenen Gebieten, damit Wetterkapriolen nicht die gesamte Ernte gefährden“, so Kottas-Heldenberg.
Sobald die getrockneten Pflanzen das Kottas-Gelände im 23. Wiener Gemeindebezirk erreichen, werden sie gelagert, analysiert und weiterverarbeitet. Das benötigt vor allem Platz, denn die Pflanzen sind leicht und verbrauchen viel Volumen; viele von ihnen können nur saisonal geerntet werden. In verschiedenen Laboren werden die Pflanzen auf ihren Wirkstoffgehalt getestet. „Pfefferminze ist nicht gleich Pfefferminze“, sagt Kottas-Heldenberg – zum einen gibt es zahlreiche Unterarten, zum anderen entscheiden die Qualität des Saatguts und die Anbaubedingungen über den Wirkstoffgehalt. Die Produktion bei Kottas Pharma unterliegt den GMP-Regeln (Good Manufacturing Practice): Sie legen die Herstellung und Qualitätsanforderungen von Arzneimitteln fest. Ihre Einhaltung wird in regelmässigen Abständen von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) geprüft. Selbst ernannte „Kräuterspezialisten“ sieht Kottas-Heldenberg als ausgebildeter Facharzt für Dermatologie und Gefässerkrankungen kritisch. Ihnen möchte er durch seriöse Aufklärung entgegentreten. Er ist Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Phytotherapie und hält regelmässig Fortbildungen für Ärzte und Apotheker zum Thema Phytotherapie ab. Dass Kottas-Heldenberg Arzt ist, prägt die achte Generation des Geschäfts.
Phytotherapie versteht der Geschäftsführer als Komplementärmedizin. Gerade bei Befindlichkeitsstörungen, wie etwa Magen-Darm-Problemen oder Nervosität, eigne sie sich gut. „Aus der Pflanzenwelt haben wir viele Wirkstoffe in die synthetische Medizintherapie übernommen“, sagt Kottas-Heldenberg. Das bekannteste Beispiel ist wohl Aspirin, das von der Weidenrinde stammt. Kottas-Heldenberg arbeitet auch mit dem Pharmazeutischen Institut der Universität Wien zusammen. Seine Vision ist eine „Renaissance der traditionellen europäischen Medizin“: zurück zu Wickeln und Zungendiagnostik als Begleitmassnahmen – und zu Kräutern, die hierzulande heimisch sind. Ein Dauerbrenner im Sortiment ist der Käsepappel-Tee; ähnlich gefragt sind Magen-Darm-, Erkältungs- sowie Entspannungs- und Schlaftees. In den vergangenen Jahren ist das Sortiment etwas breiter geworden, mittlerweile verkauft Kottas Pharma auch Gewürzmischungen. Im Sortiment finden sich auch Kapseln für alle, die keine Zeit fürs Trinken der Arzneitees haben. „Ich bin immer für die Trinkeinnahme, denn die Therapie beginnt im Mund“, sagt Kottas-Heldenberg. Dass das langsame Trinken und die Wärme auch einen psychologischen Effekt haben, glaubt man ihm sofort.

Die meisten Teetrinker beziehen ihren Nachschub aus dem regulären Supermarkt oder vom Discounter. Laut der Statistik-Plattform Statista kaufen dort 81 % der hiesigen Teekonsumenten ein. Lediglich zwei Prozent geben an, ein Tee(spezialitäten-)geschäft aufzusuchen. Umso wichtiger ist es Kottas-Heldenberg, den Unterschied zwischen Arznei- und Genusstees deutlich zu machen: die Wirkung. „Am Markt wird immer mehr versucht, durch Fantasienamen eine vermeintliche Wirkung nahezulegen, die das Produkt nicht unbedingt hält. Wir können die Wirkung unserer Tees garantieren, da wir unsere Heilkräuter nach dem Arzneibuch prüfen“, erklärt er. Pfefferminze in Genusstees soll nach Pfefferminze schmecken – wie viele Wirkstoffe sie enthält, ist zweitrangig. Die Rezepturen seien häufig so angelegt, dass Kräuter maschinell schnell abfüllbar sind. Bei Arzneitees wie jenen von Kottas Pharma laufe es anders ab, sagt der Geschäftsführer: Zuerst werden die Wirkstoffe festgelegt, dann erfolgt die maschinelle Produktion. Diese ist mitunter aufwendig, etwa wenn die enthaltenen Kräuter wenig „rieselfreudig“ sind. „Hinter jedem Arzneitee stecken viel Aufwand und Mühe. Das umfasst den Anbau, die Pflege und Ernte, die Trocknung, aufwendige und teure Laboruntersuchungen und komplizierte Produktionsschritte“, so Alexander Kottas-Heldenberg.
„Einen Kottas-Tee trinke ich, wenn es mir nicht gut geht“, habe er stets zu hören bekommen. Das hat der Geschäftsführer bedauert – und das Sortiment um Produkte erweitert, die nicht nur das Gesundwerden unterstützen, sondern auch das Gesundbleiben. An den Kunden des Kräuterhauses merkt Kottas-Heldenberg, dass das Gesundheitsbewusstsein stark gestiegen ist: Diese sind informiert und kommen häufiger mit konkreten Wünschen ins Geschäft als früher. „Wir müssen heute auch stärker auf Kundenwünsche eingehen“, sagt er. Den Wunsch nach Prophylaxe sieht er stärker bei Patienten als im Gesundheitssystem widergespiegelt – er will aber nicht lamentieren, sondern gegen Resignation und für positive Veränderung auftreten. Veränderung wird es in einigen Jahren auch wieder im Hause Kottas geben, denn die nächste Generation ist schon im Gespräch: Die erwachsenen Kinder Theresa und Maximilian sind bereits im Unternehmen tätig, sie betreuen das Marketing und den Vertrieb mit dem Wissen um neue Kommunikationswege wie die sozialen Medien. „Ich habe nie gedrängt, dass meine Kinder das Unternehmen weiterführen“, sagt Kottas-Heldenberg. Trotzdem liegt ihm sichtlich am Herzen, dass Wissen, Lieferantenbeziehungen und Rezepturen nicht verloren gehen. „Wir wollen die Vielfalt und Qualität der Heilkräuter erhalten“, sagt er – was Familie Kottas bisher fast ein Vierteljahrtausend lang gelungen ist.
Fotos: David Višnjić