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In Film und Medien sind Frauen unterrepräsentiert: Es mangelt nicht nur an weiblichen Rollen auf der Leinwand, sondern auch an Frauen hinter den Kulissen. Der Streamingriese Netflix hat sich Sasha Bühler an Bord geholt, die genau dieses Problem adressieren will – nicht umsonst hat ihr erster Netflix-Original-Film eine Frau in der Hauptrolle.
Als Terroristen im neuen Netflix-Original-Film „Blood Red Sky“ ein Flugzeug entführen, haben sie die Rechnung ohne Nadja gemacht. Nadja und ihr Sohn sind Passagiere in dem Flugzeug; Nadjas „Blutkrankheit“ soll in den USA behandelt werden. Im Lauf des Films stellt sich aber heraus: Nadja ist nicht krank, sondern ein Vampir. Und ohne ihre Medikamente verwandelt sie sich. Als Monster mit Klauen und Fangzähnen verteidigt Nadja sich, ihren Sohn und die anderen Fluggäste. Die Hauptrolle in dem deutschen Netflix-Original spielt die deutsche Schauspielerin Peri Baumeister, auch der Regisseur ist deutsch. Co-produziert hat den Film Sasha Bühler, Halbamerikanerin mit deutschen Wurzeln. Bühler arbeitet seit Ende 2019 beim Streamingdienst Netflix. Dort verantwortet sie mit ihrem Team alles, was mit Filmproduktionen für Netflix im deutschsprachigen Raum zu tun hat. Diese Filme sind für ein lokales wie auch globales Publikum gedacht. „Ein diverses Publikum“, wie Bühler sagt.
Die Besetzung von Hauptrollen in grossen Filmen ist hingegen ganz und gar nicht divers – dabei dienen Filmfiguren nicht selten als Inspiration und Vorbilder. Allerdings haben Frauen und Minderheiten in der Vergangenheit nur sehr selten inspirierende Protagonisten auf der Leinwand verkörpert. Das Verhältnis von Männern zu Frauen auf dem Bildschirm hat sich seit 1946 kaum verändert: 66 % der Charaktere waren 2019 männlich, nur 34 % weiblich. Und wenn Frauen auf der Leinwand präsent sind, werden sie oft in traditionell weiblichen Rollen oder durch eine „männliche Brille“ gezeigt – in der Filmtheorie auch „Male Gaze“ genannt.
Das Fehlen eines Vorbilds auf der Leinwand schadet vor allem jungen Mädchen: Sie werden davon abgehalten, ihre Ziele zu verfolgen und sich aktiv an sozialen Angelegenheiten zu beteiligen, wie die Politik- und Sozialwissenschaftlerinnen Amanda Haraldsson and Lena Wängnerud schreiben. Tatsächlich hat eine vom Geena Davis Institute in Auftrag gegebene Studie ergeben: „Je mehr Fernsehen ein Mädchen sieht, desto weniger Optionen glaubt sie, im Leben zu haben.“ Nicht anders sieht es hinter den Kulissen aus: Viele Schlüsselrollen, darunter Regisseure und Kameraleute, wurden jahrzehntelang fast ausschliesslich von Männern besetzt, schreibt Martha Lauzen, Gründerin und geschäftsführende Direktorin des Center for the Study of Women in Television and Film und Professorin für Film und Fernsehen an der San Diego State University.
In einer Studie verfolgte sie gut zwei Jahrzehnte lang die Beteiligung von Frauen an den 250 umsatzstärksten Filmen in den USA. 2020 waren nur 23 % aller Regisseure, Executive Producer, Autoren, Kameraleute und Redakteure weiblich – Sasha Bühler sagt, es sei erschreckend, dass die Quote bei Regisseurinnen so gering sei. „Das zeigt, dass Frauen noch immer nicht die gleichen Chancen wie Männer bekommen, dass es zu wenige Frauen in Entscheidungspositionen gibt und zu wenige weibliche Vorbilder. Hinzu kommt, dass Frauen im Schnitt mit deutlich geringeren Budgets arbeiten müssen“, so Bühler.
Die gute Nachricht: Der Anteil von Frauen hinter den Kulissen wächst. Es gebe immer mehr weibliche Vorbilder in Führungspositionen, die den Weg ebnen, sagt Bühler. Das prominenteste Beispiel ist wohl Sophia Coppola. Sie hat erfolgreiche Filme wie „Lost in Translation“, „Marie Antoinette“ und „The Virgin Suicides“ als Regisseurin mit weiblichen Hauptrollen inszeniert.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Darstellung von Frauen auf der Leinwand und dem Dahinter? Filmdatenforscher Stephen Follows sagt Ja. „Eine von Männern dominierte Industrie führt zu männlich fokussierten Filmen.“ Dadurch seien Frauen nicht nur unter den Regisseuren, sondern auch in der Kunst und den Geschichten selbst unterrepräsentiert. „Ich denke, es ist wichtig, Frauen in Entscheidungspositionen zu haben“, sagt Bühler.
Den Weg zu Netflix fand sie über Stationen bei Square One Entertainment und der Münchner Filmhochschule (HHF). Zuletzt arbeitete Bühler elf Jahre lang als Head of Aquisitions bei Constantin Film, einem der grössten deutschen Produktionsunternehmen. Constantin gelang etwa mit der „Fack ju Göhte“-Trilogie die erfolgreichste deutsche Filmreihe aller Zeiten. Am meisten geholfen habe Bühler in ihrer Karriere aber, ein Netzwerk aufzubauen und Kontakte zu knüpfen, so Bühler – so sei sie dann auch bei Netflix gelandet, dem Platzhirsch beim Streaming mit 209 Millionen Abonnenten. „Männer gehen nach der Arbeit eher mal in eine Bar und reden übers Geschäft, Frauen gehen stattdessen nach Hause zu ihren Kindern“, sagt Bühler. Als Singlemutter habe sie durchaus Verständnis dafür, „aber ich glaube, Kontakte und die Unterstützung untereinander sind der Schlüssel zum Erfolg, und Frauen unterschätzen das.“ Daher ist Bühler auch in mehreren Frauennetzwerken aktiv und war bei Constantin auch Mitgründerin des dortigen Women’s Network.
Auch in ihrem Content-Team im Berliner Büro setzt Bühler auf Diversität – über 80 Prozent der Content Executives sind weiblich, und das wirkt sich wiederum auf die Inhalte aus. „Es ist wichtig, unterschiedliche Ansichten und Perspektiven zu haben und sie einzubringen“, sagt Bühler. Man habe über 209 Millionen Zuschauer rund um den Globus, die alle ihr Leben und ihre Erfahrungen auf dem Bildschirm reflektiert sehen wollten.
„Repräsentation ist wirklich wichtig“, sagt Bühler. Geschichten seien unglaublich kraftvoll und könnten Leben verändern. Das bezieht sie nicht nur auf Frauen, sondern auch auf unterrepräsentierte Minderheiten wie zum Beispiel jene der LGBTQI+-Gruppe. Diese Inhalte sind global verfügbar, „auch an Orten, die vielleicht nicht so offen damit umgehen“, so Bühler. Nicht erst einmal ist Netflix deshalb auch schon mit Regierungen aneinandergeraten: 2018 entfernte die Plattform auf Druck der saudi-arabischen Regierung eine Folge des Comedians Hasan Minhaj, auch in anderen Fällen wurde „politisch unkorrektes“ Material von der Plattform genommen. Das neue Comedyspecial von Dave Chappelle bleibt vorerst online, obwohl es von einigen LGBTQI+-Befürwortern sowie Künstlern und Netflix-Mitarbeitern als transphob kritisiert wurde. In einer Mail an die Mitarbeiter verteidigte Netflix-Co-CEO Ted Sarandos das Special. „Wir erlauben keine Titel auf Netflix, die Hass oder Gewalt anfachen, aber wir glauben nicht, dass ‚The Closer‘ diese Grenze überschreitet.“ „Wir haben noch einen langen Weg vor uns, aber wir arbeiten daran und bemühen uns sehr“, sagt auch Bühler. Netflix expandiert massiv, nicht nur bei den Zuschauern, sondern auch bei den Inhalten: „Wir glauben an die Faszination, die lokale Inhalte haben“, so Bühler. 500 Millionen € will der US-Konzern alleine in Deutschland über die nächsten drei Jahre investieren. Inhalte wie die deutsche Produktion „Dark“ fühlen sich deutsch an; die Namen, die Schauspieler, die Kleidung sind deutsch, die Serie wurde in Brandenburg und Berlin gedreht. Konkrete Zahlen verrät Netflix nicht, nur so viel: „‚Dark‘ ist ein grosser internationaler Erfolg, neun von zehn Zuschauern stammen nicht aus Deutschland.“
Bühlers erstes Filmprojekt bei Netflix, „Blood Red Sky“, ist mit über 50 Millionen Aufrufen weltweit der erfolgreichste deutsche Netflix-Titel aller Zeiten. „Es war einfach unglaublich spannend, diesen grossartigen Talenten, die wir im deutschsprachigen Europa haben, diese Weltbühne zu geben“, sagt Bühler.
Text: Sophie Schimansky
Fotos: Netflix
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 8–21 zum Thema „Women“.