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Ein Designer ganz in Weiss, ein Label im Umbruch und ein Jahr, das alles infrage stellte: Yannik Zamboni richtet Maison Blanche neu aus – zwischen Idealen, Kooperationen und dem Versuch, Mode zu etwas zu machen, das mehr ist als ein schönes Produkt.
Vor der Tür rauscht der Verkehr über die Pfingstweidstrasse, wenige Gehminuten entfernt liegt das Headquarter der Laufschuhmarke On. Drinnen im Café, das näher an seiner Wohnung ist als irgendein Meetingraum, sitzt Yannik Zamboni mit einem doppelten Matcha-Latte. Er hat eine Nachtschicht hinter sich – «das war mal wieder nötig». Zamboni ist eines der bekanntesten Gesichter der Schweizer Designszene. Das hat unter anderem auch mit seinem Auftreten zu tun: Der 1,89 Meter grosse Schweizer ist meist vollständig in Weiss gekleidet unterwegs – und somit eine deutliche Erscheinung im grauen Zürich-Herbst.
Spätestens seit 2022 ist Zamboni in der Schweiz den meisten ein Begriff. Damals gewann er die von Heidi Klum gehostete Castingshow «Making The Cut», wo junge Designer gegeneinander antreten. Eine Mio. CHF Preisgeld gab es für den 38-Jährigen, zudem eine Kooperation mit dem Versandriesen Amazon; ein solider Start in seine zweite Karriere als Designer.
Doch einfach waren die letzten Jahre deshalb nicht. Ende 2023 kündigte Zamboni die Kooperation mit Amazon – die Werte des Unternehmens seien nicht mit seinen vereinbar, so der Designer. Über genaue Details will er nicht sprechen, aber die Konsequenz war klar: Nachdem auf die Kooperation mehr als 90 Prozent seiner Umsätze entfielen, musste Zamboni umdenken.
«Rein ökonomisch war es fast ein Selbstmord», sagt er. 2024 beschreibt er rückblickend als «schreckliches Jahr» – kein eigener Verkaufskanal, keine Produkte; alles gehörte vertraglich Amazon. Statt Umsatz gab es nur Kosten: für neue Designs, neue Produktionsstätten, neue Strukturen. Dass er überhaupt durchhielt, lag daran, dass er genug Gewinn aus der Amazon-Zeit zur Seite gelegt hatte, um ein Jahr zu überbrücken.
Statt Resignation folgte ein Neustart. Das Team schrumpfte auf zwei Personen (Zamboni und sein Assistent); inzwischen wächst es wieder. Heute zählt Maison Blanche drei Mitarbeitende im Studio, in den kommenden Monaten sollen weitere hinzukommen. Parallel baut Zamboni ein eigenes Atelier auf; weg vom Shared Makerspace an der Schweizerischen Textilfachschule, der ihm nach dem Studium ein sanftes Onboarding ermöglicht hatte. Die Produktionslogik ist klar: Prototypen entstehen in Zürich, serielle Fertigung dort, wo die Qualität und die Bedingungen stimmen. Denn Zamboni hat noch viel vor.
Geboren wurde der Designer nahe Basel auf dem Land – «ich wollte immer weg vom Land», sagt er. Kreativ war er früh, aber der Weg in die Mode war nicht vorgezeichnet; als Teenager dachte er eher an einen Weg als Friseur. In der Schule mochte er Näh- und Strickunterricht, trotzdem wurde ihm die Branche lange als «Frauenjob» verkauft – etwas, das man eher nebenbei und sicher nicht als Lebensaufgabe wahrnimmt. Erst Jahre später sollte diese frühe Prägung wieder aufbrechen.
Sein erster Schritt führte in die Konzernwelt: Zambonis Job vor dem Neustart war bei Procter & Gamble. Er war 28 Jahre alt, sehr gut bezahlt und gerade befördert worden, als ihm klar wurde, dass dieser Weg nicht der richtige war. «Ich wusste: Jetzt habe ich mir meinen eigenen goldenen Käfig geschaffen», erzählt Zamboni. Der Job machte ihm Spass, aber war keine Passion für ihn. «Dann habe ich am nächsten Tag gekündigt. Ich wusste genau: Ich muss meinen eigenen Weg finden.»
Mode sollte es werden, doch um Modedesign zu studieren, fehlten ihm in der Schweiz die formalen Voraussetzungen. «Ich hatte keine kreative Vorbildung vorzuweisen», sagt Zamboni. Also absolvierte er zuerst einen einjährigen Vorkurs, erst danach konnte er seinen Bachelor beginnen. Im März 2020 schloss er das Studium ab – einen Tag vor Inkrafttreten des ersten Corona-Lockdowns. Der klassische Weg in die Modebranche – über Praktika bei Labels im Ausland – war unmöglich. Arbeitslosengeld gab es auch keines: In der Schweiz bekommt nur Unterstützung, wer in den vergangenen zwei Jahren gearbeitet hat. Sein Studium, für das er alles Ersparte aufgebraucht hatte, hatte ihm so auch diese Option genommen. «Dann habe ich aus Not eine Firma gegründet», sagt Zamboni trocken.
Das Unternehmen heisst Maison Blanche – und der Name ist Programm. Während des Studiums hatte Zamboni beobachtet, dass viele Looks, die in der Mode als «neu» oder «radikal» gelten, bei genauer Betrachtung auf sehr einfachen Schnitten basieren und vor allem über Farbe und Print funktionieren. Also legte er sich selbst Fesseln an: Er arbeitete nur in Weisstönen, ohne bunte Muster und ohne Ablenkung. «Ich wollte mir die Herausforderung stellen, die Dozenten zu überzeugen – nur mit Design, Verarbeitung und Volumen und nicht mit der Farbgebung», erzählt er. «Ich fühle mich schon verkleidet, wenn ich Farbe oder Schwarz trage.»
Doch reine Ästhetik reicht ihm nicht. «Nur schöne Kleider zu machen, das genügt mir nicht», sagt Zamboni. «Ich wollte mit meiner Mode immer auch soziopolitisch etwas verändern.» Als Student erlebte er die Schattenseite der Branche am eigenen Leib: ein unbezahltes Praktikum in einer extrem teuren Stadt; kaum über die Runden kommen, während Kommilitonen mit wohlhabendem Elternhaus das System leichter wegstecken. «Ich wusste, das kann es nicht sein.»
Den Sieg bei «Making The Cut» sieht er im Rückblick vor allem positiv. Die TV-Show wurde von Hello Sunshine produziert, gegründet von der Schauspielerin Reese Witherspoon. «Ich habe mich da sehr gut aufgehoben gefühlt.» 95 Prozent des Teams seien weiblich gewesen, der Ton respektvoll, der Druck hoch, aber konstruktiv. Gleichzeitig ist ihm bewusst, dass Reality-TV in der klassischen Modewelt ambivalent gesehen wird: «Ich habe das Gefühl, wenn man eine Reality-TV-Show gewinnt, wird man vom Rest der Branche manchmal nicht ganz ernst genommen», so Zamboni. Genau in diesem Spannungsfeld – Reichweite und soziopolitisch aufgeladene Mode – versucht er, sein System Maison Blanche zu verorten.
Denn in Sachen Bekanntheit spielt Zamboni nahezu in einer eigenen Liga. Trotzdem überwiegen für ihn die Vorteile dessen: mediale Sichtbarkeit, eine Kundschaft, die ihn kennt, und die Aufmerksamkeit grosser Marken. «Ich habe eine mediale Aufmerksamkeit, die fast kein anderer Schweizer Designer hat», sagt er. Gerade für Kooperationen und Drittaufträge, die aktuell den Grossteil des Umsatzes ausmachen, sei das entscheidend.
Gefertigt wird aktuell vor allem in Portugal. «Die Nähe ist für mich ganz wichtig; dass ich jederzeit vorbeischauen kann», sagt Zamboni. Er kennt die Debatte um Transparenz und Lieferketten im Detail, inklusive der Grenzen. Mischungen aus verschiedenen Farmen, Auktionen, globale Handelsströme – 100 Prozent Kontrolle sind selten möglich. Aber für ihn ist klar: «Wir arbeiten grundsätzlich nur mit zertifizierten Materialien.» Gleichzeitig spricht er respektvoll über Produzenten in Indien oder China, mit denen er früher zusammenarbeitete: hoch professionell, sauber, gut organisiert. «Man hat sehr oft so ein Bild im Kopf», sagt er. «Aber natürlich gibt es in China und Asien auch hervorragende Fabriken und schlechtere Hersteller – wie es in der Schweiz auch beides gibt.» Was für ihn den Ausschlag gibt, ist weniger Ideologie als Kontrolle und Kommunikation, sagt er: «Wenn man nur mit Google Translate arbeitet, geht viel verloren.»
Dass sein Label kompromisslos nachhaltig ist, behauptet Zamboni nicht. Er weiss, dass konsequente Lösungen Zeit und Geld kosten. «Kompromisse eingehen muss man vor allem, weil der superkorrekte Weg einfach extrem viel Zeit braucht», sagt er. Gleichzeitig geht er bewusst an die schwierigsten Produkte heran: Sneakers statt T-Shirts, komplexe Schnitte statt Basics. Er arbeitet an einem Turnschuh, der aus bis zu 97 Prozent biologisch abbaubaren Materialien bestehen soll – ein Projekt mit einer spezialisierten, vegan arbeitenden Schuhfabrik mit Standorten in Europa, Asien und Südamerika. Turnschuhe sind für ihn so etwas wie die Königsdisziplin nachhaltigen Designs: «Wenn man von einem komplexen Sneaker redet, gibt es wenige auf dem Markt, die wirklich nachhaltig sind», sagt Zamboni.
Maison Blanche soll langfristig mehr sein als eine Nischenmarke mit einer klaren Silhouette. Zamboni denkt in Produktfamilien: Kleidung, Strick, Accessoires, Parfums – und eben Schuhe. «Langfristig möchte ich so eine breite Produktpalette haben, dass man bei mir alles holen könnte», sagt er. Gleichzeitig ringt er mit einer strukturellen Frage, die viele Gründer kennen: Seine Firma hängt zu stark an seiner Person. «Ich weiss ganz genau, dass ich das Label bin und das Label von mir abhängig ist», sagt er. «Und ich möchte es an einen Punkt bringen, wo das Label ohne mich funktioniert.» Kollaborationen – mit Philip Morris, Zürich Tourismus, Red Bull, verschiedenen Schweizer Unternehmen – kommen heute häufig vor, weil sein Name eine mediale Wirkung hat, die Maison Blanche noch nicht hat. Ideal wäre für ihn ein Gleichgewicht: Verkäufe der eigenen Kollektionen, die fix die Löhne decken, und Auftragsarbeiten, die darüber hinaus Wachstum finanzieren.
Die Zusammenarbeit mit Philip Morris rund um dessen erhitzbares Tabakprodukt ist eine Mischung aus kreativer Partnerschaft und der Rolle als Markenbotschafter. Für den Schweizer Markt entwickelte Zamboni eine Kollektion für das Verkaufspersonal auf Festivals – wetterfest, auffällig, funktional; Türkis als Hauptfarbe, weil sie im Publikum sofort ins Auge sticht. «Das Ziel war: Es muss bei jedem Wetter funktionieren», sagt Zamboni. «Und wenn man auf dem Festival steht, soll man in der Menge gleich sehen, wer ein Philip-Morris-Mitarbeiter ist.» Gleichzeitig ist er bei Events präsent, spricht, zeigt sich. Er verschweigt nicht, dass er das Produkt selbst nutzt – als langjähriger Raucher, der auf Alternativprodukte umgestiegen ist, aber mit Zigaretten noch nicht ganz aufgehört hat. «Ich bräuchte in meinem Leben eine ruhigere Phase, wo ich mich aufs Nichtrauchen konzentrieren kann», meint er.
Intern arbeitet Zamboni daran, die Rolle zwischen Kreativdirektor und Geschäftsführer neu auszuloten. Er hat eine kaufmännische Ausbildung, Marketingerfahrung und jahrelang im Büro gearbeitet; Excel beherrscht er genauso wie Draping auf der Schneiderpuppe – das macht es schwer, Aufgaben abzugeben. «Ich glaube schon, dass es auf dem Markt Leute gibt, die das genauso gut können wie ich», sagt er. «Ich kann mir die im Moment aber einfach nicht leisten.» Neben der Unabhängigkeit von seiner Person sieht er darin aber die zweite grosse Herausforderung: «Ich glaube, der nächste Spagat wird sein, vom CEO zum ‹Nur-noch-Creative-Director› zu werden.»
Fragt man ihn, wofür Maison Blanche in einigen Jahren stehen soll, kommt die Antwort ohne Zögern: «Für faire Löhne und faire Arbeitsbedingungen, für eine nachhaltige Produktion, für Inklusivität», sagt Zamboni. All-Gender-Designs, ein breites Grössenspektrum, keine Trennung in Männer- und Frauenkollektion. «Es ist ein Gesamtpaket: Inklusivität, Nachhaltigkeit und Fairness», sagt er. «Das soll den Leuten bewusst sein – denn dafür muss man auch einen höheren Preis bezahlen.»
Zamboni blickt auf die Uhr – später warten Calls, das Atelier, vielleicht ein kurzer Besuch im Fitnessstudio. Und so arbeitet Zamboni weiter an seinem Ziel: eine Marke zu schaffen, die auch funktioniert, wenn er selbst längst nicht mehr an vorderster Front steht.
Text: Forbes-Redaktion
Fotos: Florian Spring