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Die Italienerin Alice Mascia ist Deutschland-Chefin des Streaminganbieters DAZN. Mit neuen Ideen, die Übertragungen noch knalliger und actionreicher machen, alarmiert sie die Traditionalisten der Branche. Doch die Topmanagerin hat geschafft, woran ihre Vorgänger scheiterten – und das Unternehmen endlich in die Gewinnzone geführt.
Alice Mascia erinnert sich genau an das Finale der Fussballweltmeisterschaft 1982 in Spanien: Die ganze Familie versammelte sich damals vor dem Fernsehgerät im Haus ihres Grossvaters auf Sardinien. Das Bild des TV-Apparats war etwas grieselig, doch daran störte sich niemand – die Squadra Azzurra besiegte im Estadio Santiago Bernabéu in Madrid vor 90.000 Zuschauern das DFB-Team um Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge deutlich mit 3:1.
Für Italien war es ein denkwürdiger Triumph, der das Land elektrisierte und zwischen Como und Palermo Aufbruchsstimmung auslöste. Damals spürte Mascia erstmals, was vielleicht nur der Fussball schaffen kann, was diesen Sport so besonders – und daher auch so lukrativ – macht: Emotionalität, Leidenschaft, ein Gemeinschaftsgefühl, das man nie vergisst. Jeder Fussballfan kennt das: Erinnerungen an Urlaube verblassen, aber wo und mit wem man Paolo Rossis Tor gegen Toni Schumacher in besagtem Finale bejubelt hat – diese Erinnerung bleibt. So ist das auch bei Mascia.
„Fussball soll Menschen unterhalten und ihnen eine schöne Zeit bescheren“, sagt die 51-Jährige heute. Die Italienerin sitzt in ihrem Büro in München, in der Deutschland-Zentrale des Streaminganbieters DAZN. Sie wirkt entspannt und beantwortet die Fragen auf Englisch mit einem leichten Italo-Akzent – in dem ja oft eine gewisse Lässigkeit und Herzlichkeit mitschwingt.
Mascia hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Medienbranche. Sie gilt als Spezialistin für neue Geschäftsmodelle, Produkte und Marken. Ihr Weg zur Topmanagerin führte sie von der Foxtel Group in Australien über Sky Italia und Sky Deutschland zu DAZN, wo sie im Frühjahr 2022 als neue CEO für Deutschland, Österreich und die Schweiz das Geschäft übernahm. Mascia gilt vielen in der Branche als eine der wichtigsten und mächtigsten Frauen im internationalen Sport- und Medienbusiness; auch, weil sie kürzlich einen grossen Erfolg vorweisen konnte.
Der Sport-Internetsender mit dem etwas sperrigen Namen konnte im vergangenen Sommer vermelden, dass er erstmals über einen längeren Zeitraum einen Gewinn eingefahren habe – man sei in Deutschland seit der zweiten Jahreshälfte 2024 durchgängig profitabel. Das sei, so erklärte Mascia, ein Meilenstein für die Sportbranche; denn in Deutschland, in einem „herausfordernden Marktumfeld“, habe das zuvor noch keine Sportplattform geschafft.
Mehr als 1,5 Mrd. € wurden seit 2016 für Sportrechte in Deutschland ausgegeben. Doch selbst diese Summe ist nur ein kleiner Teil dessen, was der Sender weltweit investiert: DAZN ist in mehr als 200 Märkten verfügbar und will die „globale Heimat des Sports“ werden. Auch Mascia unterstreicht im Gespräch mit Forbes diesen Anspruch: Was Spotify für die Musikbranche sei, wolle DAZN für den Sport werden: eine umfassende Plattform, die neben Live-Übertragungen von Fussball oder Boxen auch Statistiken, Wetten, Merchandise und Ticketing bündelt und kommerzialisiert.
Lange galt DAZN als Milliardengrab – auch dank Mascias Wirken ist inzwischen der Umschwung geschafft. Die Einnahmen des in London ansässigen Unternehmens stiegen laut öffentlichen Geschäftsberichten um mehr als 300 Mio. US-$ (258 Mio. €) auf über drei Mrd. US-$. Zugleich sanken die Verluste erstmals unter die Marke von einer Mrd. US-$. Ab dem kommenden Jahr will die gesamte Gruppe profitabel sein. Dem von Mascia verantworteten DACH-Markt ist das im vergangenen Jahr gelungen: Unter ihrer Führung wurde aus einem hohen dreistelligen Millionenminus pro Jahr ein deutlich zweistelliger Millionenüberschuss – und die Kurve zeigt weiter nach oben.
Wir wollen die Fans näher an die Action bringen.
Alice Mascia
Dass DAZN viele Milliarden langfristig investieren kann und bislang keine Eile hat, rasch Gewinne zu erzielen, liegt an Sir Len Blavatnik. Mit einem Vermögen von rund 30 Mrd. US-$ liegt der in der Ukraine geborene Unternehmer mit amerikanischer und britischer Staatsbürgerschaft auf Platz 70 der Forbes Billionaires List. Mascia spricht im Schnitt einmal in der Woche mit dem Grossinvestor, der sich auch privat für Sport interessiert und eine langfristige Vision verfolgt: Meist kaufen sich Milliardäre oder staatliche Investmentfirmen berühmte Sportteams wie Paris Saint-Germain oder Manchester City – Blavatnik aber baut, statt in Attraktionen zu investieren, lieber den Zirkus.
Wie sich DAZN und Mascia die Zukunft des Fussballs vorstellen, war diesen Sommer bei der Klub-WM zu besichtigen. Zuvor hatten die Testspiele während der Sommerpause nur die leidenschaftlichsten Fans interessiert – bis die FIFA und ihr umtriebiger Chef Gianni Infantino den Wettbewerb zu einem neuen Prestigeformat und Vorgeschmack auf die Fussball-WM in den USA im kommenden Jahr hochjazzten.
DAZN zahlte für die Senderechte des Turniers rund eine Mrd. US-$. Zur gleichen Zeit sicherte sich der staatliche Sportinvestmentfonds Saudi-Arabiens eine Minderheitsbeteiligung bei DAZN für ebenfalls eine Mrd. US-$. Eine weitere Folge der geschäftlichen Dreiecksbeziehung zwischen DAZN, FIFA und Saudi-Arabien ist wohl der Zuschlag für das autokratisch regierte Königreich als Austragungsort für die Fussball-WM im Jahr 2034: Wer beim Streaming und der Kommerzialisierung des Spektakels eine führende Rolle einnehmen dürfte, liegt auf der Hand.
Mit der Klub-WM, die gratis zu sehen war, habe sich DAZN erfolgreich als globaler Broadcaster etabliert und einen Meilenstein in der Expansionsstrategie erreicht, weil viele Fans aus Süd- und Nordamerika sowie Asien für die Marke begeistert wurden, erklärt Mascia. Die Managerin scheut sich nicht, den Traditionalisten in der Sport- und Fussballbranche – von denen es im deutschsprachigen Europa ja reichlich gibt – eine Dosis Disruption zuzumuten.
Wenn Mascia über Neuerungen spricht, die „das Produkt“ noch besser oder zumindest „unterhaltsamer“ machen, dann verweist sie gerne auf die Formel 1 – der Rennzirkus konnte sich vom Retro-Vergnügen zum Mega-Spektakel wandeln, nachdem der Funk der Fahrer in die Übertragung integriert wurde und eine Netflix-Doku den Egos in den Boxengassen ganz nahe kam.
Ähnliches könnte sich Mascia auch für den Fussball vorstellen. Sie zählt auf: Mikrofone an der Trainerbank, Kameras im Mannschaftsbus oder in der Kabine wären vorstellbar. Auch in dieser Saison werden Kameras noch näher an die Teams heranrücken – die Bodycam für Schiedsrichter, die bei der Klub-WM getestet wurde, kam bei Spielen in Deutschland schon zum Einsatz.
Mascia gibt zu, dass manche ehemalige Spieler, darunter auch DAZN-Experten wie Michael Ballack oder Sami Khedira, einige Ideen skeptisch sahen – doch inzwischen unterstützen sie die Neuerungen. Mascia erklärt, Spieler würden heute ja selbst längst Social-Media-Content aus der Kabine teilen und somit ihre individuelle Marke stärken – ganz so heilig, wie die Kabine für Rummenigge, Rossi oder auch Ballack war, ist sie also längst nicht mehr. Niemand wolle den Spielern bis in die Dusche folgen, scherzt Mascia. Wobei: Kämpferinnen und auch Kämpfer der UFC haben zugegeben, dass sie mit intimen Schnappschüssen auf der Plattform Onlyfans Millionen verdienen – und somit mehr als mit den von DAZN übertragenen Fights. Dieses Phänomen, so stellt Mascia aber mit einem Lachen klar, werde sich im Fussball eher nicht etablieren.
Eine weitere Neuerung, die Mascia als richtungsweisend erachtet, ist die Einbindung von Influencern und Content-Erzeugern in die Übertragungen: Beim Champions-League-Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und Galatasaray Istanbul konnten Fans die deutsche Kommentierung von Mario Rieker und dem Experten Sami Khedira streamen – oder wahlweise eine türkische Kommentierung aktivieren.
Dazu gab es eine „Live-Reaction-Show“ mit den Creators Splashbrudda und Mert Abi. Die Erweiterung von klassischen Kommentatoren oder Experten hin zu Streamern, die ihre eigene Reichweite mitbringen, sieht Mascia als weitere Aufwertung des Produkts – so werde das Erlebnis umso unterhaltsamer: „Wir wollen die Fans näher an die Action bringen.“
DAZN-Kunden bekommen also besondere Inhalte geboten – was aber zu einer umstrittenen Preiserhöhung der Abos führte. Deutsche Kunden haben deshalb eine Sammelklage gegen DAZN eingereicht, nachdem der Anbieter die Preise auf rund 30 € pro Monat verdoppelte. Mascia argumentiert, dass Zuschauer mehr bekommen, und hält daher den Preisanstieg für gerechtfertigt. Auch bei den Verhandlungen zu den Bundesligarechte-Paketen im vergangenen Jahr kam es zu juristischem Streit: Die Deutsche Fussball Liga warf DAZN vor, das Unternehmen habe eine Bankgarantie nicht fristgerecht vorgelegt. Ein Schiedsgericht ordnete letztlich eine Wiederholung der Auktion an – ein Urteil im Sinne von Mascia und DAZN.
Die Managerin hat sich eine Machtposition in einer Branche erarbeitet, die traditionell von Männern dominiert wird. In ihrer Heimat Italien sind 30 % der unternehmerischen Führungsrollen mit Frauen besetzt, in Deutschland sind es rund 20 % – in beiden Ländern, sagt Mascia, müsse einiges getan werden, um mehr Frauen in Führungsrollen zu bringen. Sie nennt den Anspruch auf die sehr lange deutsche Elternzeit von bis zu drei Jahren für Mütter als politische Massnahme, die nicht gerade förderlich sei, mehr Frauen in Führungsrollen zu bringen. Umgekehrt könne wenig staatliche Unterstützung für Väter und Mütter auch nicht die Lösung sein – so entsteht ein Dilemma. Daher brauche es vor allem einen Kulturwandel, sagt Mascia, und da seien auch die Unternehmen gefragt: „Es geht darum, mehr Frauen in Top-Positionen sichtbar zu machen und Rollenmodelle zu schaffen“, sagt die CEO. „Das startet ganz früh, schon in der eigenen Familie.“
Mascia glaubt, dass Schulungen zu „Unconscious Bias“ – automatisierte Denkmuster, die Stereotype zu Geschlechterrollen verfestigen – hilfreich sind. Auch Frauenquoten hält sie für unterstützenswert. Doch auch diese Massnahmen können laut ihr nur Puzzleteile sein, die eine Kultur langsam verändern. Letztlich gehe es darum, dass Frauen und Männer aufgrund ihrer individuellen Qualitäten und Leistungen unabhängig von ihrem Geschlecht beurteilt werden.
Mascias Ehemann lebt in Asien – sie ist daher oft auf Reisen, arbeitet mal von Malaysia aus, dann wieder von London aus; findet aber immer Zeit für eine Stunde Sport am Tag und einen Anruf bei ihrer Mutter auf Sardinien.
Hat sie Vorbilder? Welche Menschen inspirieren sie? Mascia nennt Tennisstar Steffi Graf als eine Persönlichkeit, die sie in ihrer Jugend begeisterte. Doch Sport sei für sie immer vor allem Unterhaltung gewesen.
Mascia hat eine klassische Ausbildung absolviert, sie studierte in Cagliari Altgriechisch und Latein, später Ökonomie. Eine Inspiration seien jene Menschen, die wirklich die Welt verändert haben: Sie nennt Sandro Pertini, der im Widerstand gegen die Nazis kämpfte und als „Präsident aller Italiener“ den Respekt der gesamten Nation gewann. Auch Angela Merkel betrachtet Mascia als inspirierende Persönlichkeit.
In der Politik steht der Name Merkel für das Vergangene, in der Welt des Sports steht der Name Mascia für die Zukunft – und für eine Macherin, die den populärsten Sport der Welt massgeblich mitgestalten wird.
Fotos: DAZN