Ärzten helfen, ­Menschen helfen

Zehn Mio. € Finanzierung erhielt das Start-up Doctorly kürzlich – das Ziel: die Arztpraxen Deutschlands effizient zu digitalisieren. Warum Ärzte diese Art von Digitalisierung überhaupt brauchen und wie es für sieben junge Menschen war, sich gegen die alteingesessenen Praxissoftwares der deutschen Ärzte zu stellen und damit als erstes ernst zu nehmendes Konkurrenzprodukt den Markt aufzumischen, erzählen die Doctorly-Mitgründer Anna von Stackelberg und Nicklas Teicke im Gespräch.

Wer zum Arzt will, muss warten können: Zuerst kommt das Warten auf einen Termin, dann das Warten auf die Registrierung und Anmeldung und dann, auf der Zielgeraden, das Warten auf den Arzt. Es ist ein Prozess, den fast jeder kennt und niemand wirklich mag – Doctorly will genau dieses Warten durch seine Software verkürzen. Abrechnungen, Patientendaten, Medikamenten­verschreibungen und die Koordina­tion der Krankenkassen, das alles soll mittels Doctorly zentral und digital abgewickelt werden, damit die Arbeit der Ärzte verkürzen und gleichzeitig das Wohlbefinden sowie die Gesundheit der Patienten fördern. Dass es so etwas in Deutschland bisher noch nicht gab, verwunderte auch die Doctorly-Mitgründer: „Die meisten Ärzte nutzen bisher Praxisprogramme, die an die 40 Jahre alt sind und sich im Kern während der ganzen Zeit kaum weiterentwickelt haben. Diese veralteten Softwares lösen bei den meisten Ärzten wahnsinnig viel Frust aus“, so Doctorly-Mitgründerin Anna von Stackelberg.

Das soll sich nun deutlich verändern. Doctorly ist ein Programm für Ärzte, das sich auf die Simplifizierung der Arbeitsabläufe in der Praxis fokussiert. Über Doctorly können Ärzte auf Patientendaten zugreifen, sie speichern, Medikamente verschreiben, Honorarnoten schreiben, einen intelligenten Kalender erstellen und vieles mehr. Das alles soll einfacher, schneller und intuitiversein als das jeweilige veraltete Programm. Ausserdem legten die Gründer besonders viel Wert auf eine elegante Benutzeroberfläche, einen unkomplizierten Systemwechsel und schnellen Kundenservice. „Für viele Ärzte ist der Kundenservice besonders wichtig. Sie sind es gewohnt, mehr als eine halbe Stunde in der Leitung auf Hilfe zu warten. Bei uns ant­wortet der Kundenservice durchschnittlich binnen acht Sekunden“, erzählt Stackelberg.

Ursprünglich kommt von Stackelberg aus der Kunstwelt, wo sie einige Jahre als Produktmanagerin in New York gearbeitet und für Architektur- und Kunstprojekte Finanzierungen gesammelt hat. Dennoch beschäftigten das Gesundheitswesen und vor allem die feh­lenden Digitalisierungsprozesse im Medizinsektor die Gründerin schon lange. „Viele Bereiche des täglichen Lebens wurden durch Digitalisierung bereits zugänglicher gemacht und demokratisiert. Der letzte grosse Entwicklungsschritt in dieser Hin­sicht war wohl das Finanz- und Steuerwesen. Wenn man nun aber krank ist oder als Arzt seine Pa­tienten zeitgemäss behandeln oder erreichen möchte, dann stösst man auf fehlende Möglichkeiten. Hier schaffen wir mit Doctorly Abhilfe“, erzählt von Stackelberg.

Auch Co-Gründer Nicklas Teicke hatte vor Doctorly beruflich kaum etwas mit der Medizin zu tun. „Ich habe eigentlich meine gesamte Karriere in der Start-up-Welt ver­bracht“, so Teicke. Der Doctorly-­Mitgründer war zuvor hauptsächlich im Schweizer E-Commerce-Bereich tätig, wollte aber irgendwann in eine Branche wechseln, die mehr Entwicklungsmöglichkeiten bot. So beschäftigte sich Teicke zunächst mit dem Bildungswesen, sah dann aber, nachdem er von Stackelberg kennenlernte, schnell, dass seine Start-up-Mentalität auch im Gesundheits­wesen sehr gebraucht wird. „Zuerst blickten wir mit der Patientenbrille auf die Probleme im deutschen Gesundheitssystem, merkten aber schnell, dass wir, bevor wir den Patienten helfen können, die Ärzte unterstützen müssen“, so Teicke. Probleme wie zum Beispiel jenes, für ein Kind mit Ausschlag an einem Samstagnachmittag keinen Arzt­termin zu bekommen, oder jenes, monatelang auf einen Termin beim Psychotherapeuten zu warten, will Doctorly mit seiner zeitsparenden Software für Ärzte lösen – sprich: Wenn der Arzt weniger Zeit für administrative Arbeit aufwenden muss, kann er mehr Zeit in die Un­ter­stützung der Patienten stecken.

Diese Unterstützung wird unter den deutschen Ärzten gern gesehen, denn diese sind durchschnittlich rund 61 Tage pro Jahr mit adminis­trativen Arbeiten beschäftigt – eine Zeitspanne, die bei der zurückgehenden Zahl an Fachärzten in Deutschland durchaus sinnvoller genutzt werden könnte. 2020 fehlten laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Deutschland rund 6.000 Haus­ärzte und 2.000 Fachärzte. Vor allem länd­liche Gegenden haben mit einem ­grossen Fachärztemangel zu kämpfen; in manchen Landkreisen gibt es bei­spielsweise keinen einzigen Psychiater, Augenarzt oder Neuro­logen. Dies spiegelt sich auch in den Wartezeiten wider – so gab der Bund der Krankenkassen an, dass man 2022 durchschnittlich 15 bis 25 Tage auf einen Facharzttermin warten musste. „Ich habe einfach nicht ver­standen, warum es oft so lange braucht und so unglaublich kom­p­liziert ist, in Deutschland gesundheitliche Hilfe zu bekommen“, so von Stackelberg.

„Ich habe einfach nicht verstanden, warum es oft so lange braucht und so unglaublich kompliziert ist, in Deutschland gesundheitliche Hilfe zu bekommen“, so von Stackelberg.

Genau in diesen Punkten sahen auch Investoren Änderungsbedarf. So konnte die in Berlin ansässige Doctorly GmbH im März dieses Jahres bei einer Finanzierungsrunde der Serie A zehn Mio. € einsammeln. Unter den Investoren findet man den bekannten Namen Horizons Ventures – das Unternehmen ist dafür bekannt, in Start-ups zu investieren, die das Potenzial haben, komplette Märkte auf den Kopf zu stellen. Un­ter seinen vergangenen Investitionen waren beispielsweise Spotify, das den Musikmarkt grundlegend verändert hat, oder Wefox, das den Versicherungsmarkt revolutioniert hat. Ob sich Doctorly in Zukunft zwischen Spotify und Wefox einordnen lassen kann, wird sich weisen – Teicke zeigt sich auf jeden Fall optimis­tisch: „Wir sind stolz darauf, mit so grossen Unter­nehmen wie Horizons Ventures zusammenarbeiten zu dürfen, und glauben, dass Doctorly am Gesundheitsmarkt so einiges verändern kann.“

Seit fünf Jahren arbeitet das Gründerteam von Doctorly schon an der Praxissoftware, die seit rund einem Jahr auf dem Markt ist. Durch die erfolgreichen Finanzierungs­runden konnte das Start-up seit Anfang des Jahres enorm wachsen; so hat das Unternehmen mittler­weile rund 60 Mitarbeiter. „Wir haben dieses Jahr um die 20 Leute neu eingestellt“, so von Stackelberg. Zu den Umsatzzahlen möchten die beiden Gründer noch nichts sagen; es ist für Doctorly laut Teicke einfach noch zu früh, solche Zahlen bekannt zu geben.

In der Zukunft möchten die beiden Gründer weiter an ihrem ursprünglichen Ziel, Patienten direkt zu helfen, arbeiten. Eine App für Patienten, die auf ihren Wunsch Daten aus Fitness-, Period-Tracker- und Blutzucker-Apps mit dem Arzt teilen, um das Gesundheitssystem ganzheitlich zu verbessern, soll der erste Schritt in jene Richtung sein. „In Deutschland konzentriert sich der Datenschutz im Gesundheits­wesen allzu oft auf eine rigide Da­tensicherung – und vergisst dabei häufig den eigentlichen Zweck des Datenschutzes: den Schutz des Menschen“, so Teicke.

Auch den internationalen Markt wollen die Berliner innerhalb der nächsten Jahre mit ihrem Produkt erobern: „Wir sind zwar bisher nur in Deutschland tätig, wissen aber auch, dass fast überall auf der Welt das Gesundheitssystem einen grossen Schritt in Richtung Digitalisierung machen muss“, blickt von Stackelberg optimistisch in die Zukunft.

Foto: Jasmin Schuller

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