Abteilungsleiter

Beide wollen sie die Finanzbranche umkrempeln. Und das tun die Österreicher Alexander Weber und Valentin Scholz bei zwei der spannendsten Fintechs Europas. Doch warum muss man dafür 80 Stunden pro Woche arbeiten?

Die erste Frage, die wir Alexander Weber, Head of International Markets bei N26, und Valentin Scholz, Head of Engagement bei Revolut, quasi stellen müssen, liegt auf der Hand: Was halten die beiden denn vom Unternehmen des jeweils anderen? Und bereits mit dieser doch recht simplen Frage zeigt sich, dass – obwohl N26 und Revolut zweifels­ohne thematische Überschneidungen haben – doch auch sehr vieles bei den beiden Unternehmen grundlegend verschieden ablaufen dürfte.

Zu Beginn – und für alle, die in der Szene nicht so bewandert sind: N26 ist eine von den beiden Österreichern Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal in Berlin gegründete Digitalbank mit 850.000 Kunden; Revolut wurde 2014 vom Russen Nikolay Storonsky ins Leben gerufen, hat seinen Sitz in London und bietet neben digitalen Bank­services auch Währungsumtausch oder Krypto-Exchanges an – Kundenzahl: zwei Millionen. Während sich N26 als mobile Bank bezeichnet, will Revolut eine „digitale Banking-­Alternative“ sein. Doch zurück zur ersten Frage, auf die Alexander Weber Folgendes sagt: „Wir sitzen in gewisser Weise ja im gleichen Boot und wollen die Banking-Experience für Kunden verbessern. Der Markt ist gross, alleine Europa hat circa 400 Millionen potenzielle Kunden. Auch bei den traditionellen Banken gibt es mehr als einen Anbieter. Auch bei den digitalen Banken wird es nicht nur einen Gewinner geben.“ Valentin Scholz sieht das etwas anders. Denn N26 oder Monzo (Digitalbank aus London, Anm.) seien nicht jene Konkurrenten, die Revolut Sorgen bereiten. Vielmehr sind es die richtig dicken Fische, die Scholz im Auge behält: „Wir beobachten Unternehmen wie N26, Monzo oder ­klassische Banken, doch wir sehen sie nicht als direkte Konkurrenten. Wir haben viel eher Respekt vor Tech-Unternehmen wie Amazon, WeChat oder Alipay. Die könnten uns gefährlich werden. Wir glauben, dass der Markt in den nächsten fünf bis zehn Jahren von nur zwei bis fünf Playern dominiert wird.“

Dass Jeff Bezos eines Tages aufwacht und die Zahlungsbranche revolutioniert, ist tatsächlich keine abwegige Idee, hat Amazon doch auch zahlreiche andere Branchen – von der Logistik bis zu Smart-Home-Lösungen – im Visier. Doch die Frage ist dann wiederum, wie ein Unternehmen wie Revolut (jüngste Bewertung: 1,7 Milliarden US-$) es mit einem Riesen wie Amazon (Marktkapitalisierung von 776 Milliarden US-$) aufnehmen will. Scholz: „Wir arbeiten im Schnitt 70 bis 80 Stunden pro Woche – eben weil wir wissen, dass Amazon in unseren Markt kommen könnte. Sollte das passieren, sieht es für uns natürlich schon schlechter aus.“

Doch auch Webers Kollegen bei N26 sitzen natürlich nicht untätig herum. Die 380 Mitarbeiter (Revolut hat 400) bereiten gerade den N26-Launch in Grossbritannien vor, der Markteintritt in den USA soll Ende 2018 folgen. Während Revolut aber für harte Arbeit, viel Druck und damit verbunden eine hohe Fluktuation an Mitarbeitern bekannt ist, war Weber von Anfang an bei N26 an Bord. Das sieht er durchaus als Vorteil für das Berliner Unternehmen: „Es ist wichtig, dass die Leute an Bord bleiben, um Kontinuität zu gewährleisten. Denn von dem, was ich in den letzten vier Jahren gesehen habe, kann ich neuen Mitarbeitern vieles mit- und weitergeben.“

Das ist insofern bitter nötig, als das Wachstum der beiden Unternehmen über die letzten Jahre unfassbar schnell war. Insgesamt sind fast drei Millionen Menschen Kunde bei N26 oder Revolut, beide Fintechs haben wie bereits erwähnt knapp 400 Mitarbeiter. Bis Jahresende will Revolut sein Team auf 800 Mitarbeiter verdoppeln, bei N26 sollen es 2018 noch 600 Leute werden. Der Bedarf an den angebotenen Services scheint also durchaus vorhanden.

Doch auch hier gibt es ein Unterscheidungsmerkmal: Denn während N26 sich darauf fokussiert, „klassische“ Bankdienstleistungen – Bankkonto, Überweisungen, Kredite etc. – besser als die anderen anzubieten, deckt Revolut ein deutlich grösseres Spektrum ab. Weber sieht das jedoch als Stärke des eigenen Unternehmens an. „Uns geht es darum, die richtigen Sachen zu machen – und diese dann schnell umzusetzen. Das Wichtigste ist, an den richtigen Dingen zu arbeiten – also nicht einfach 80 Stunden arbeiten, um 80 Stunden zu arbeiten.“

Das zeigt sich auch an der In­ternationalisierung. Denn N26 ex­­pandiert 2018 zwar stark, die wichtigsten Kernmärkte bleiben dennoch europäisch: Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien – und ab Sommer Grossbritannien. Revolut geht wiederum einen etwas anderen Weg. Der Arbeitgeber von Scholz bietet nämlich neben „klassischen Services“ auch die Möglichkeit, Kryptowährungen zu wechseln oder Fiatwährungen umzutauschen. Das Ziel? „Wir wollen, dass Kunden nie wieder ihr Bankkonto wechseln müssen – auch, wenn sie in ein anderes Land umziehen.“ Um den eigenen Kunden also ein möglichst breites Einzugsgebiet bieten zu können, launcht Revolut seine Services in einem Land nach dem anderen, neben den USA auch (oder bald) in Singapur, Hongkong, Australien, Neuseeland, Süd­afrika, Kanada, Mexiko etc. Birgt das nicht die Gefahr, sich zu verzetteln? Scholz verneint: „Wir haben extrem viel aus unserer bisherigen Expansion gelernt.“

Das Ziel bleibt trotz der unterschiedlichen Herangehensweisen ein sehr ähnliches: Nutzer gewinnen, indem frustrierten Bankkunden bessere Lösungen angeboten werden. Doch wie schon besprochen wird das kein Selbstläufer. Während Amazon und Co. nämlich noch nicht aktiv in die Finanzbranche expandieren, launchte der französische Telekomkonzern Orange bereits eine eigene Banktochter. Alleine in Frankreich greift die „Orange Bank“ auf 21 Mil­lionen Mobilkunden zu, Ziel sind laut CEO André Coisne zwei Millionen Kunden in zehn Jahren. Die Entwicklung wird von der 2018 in Kraft tretenden EU-Richtlinie Revised Payment Service Directive (PSD2) unterstützt, die einen von Experten als „Open Banking“ bezeichneten Zustand schafft, wonach auch Nichtbanken Zahlungsdienstleistungen anbieten können. Was uns wiederum zum Anfang bringt: Denn das könnte es für Grosskonzerne noch einfacher machen, N26 und Revolut Konkurrenz zu machen.

Um sich dafür zu rüsten, haben sich beide Unternehmen kürzlich satte Finanzspritzen geholt. Bei N26 klingelten im März die Kassen, als unter anderem Tencent und Allianz X 160 Millionen € investierten. Bei Revolut war es im April so weit: Das Start-up erhielt in einer von Yuri Milners (russischer Milliardär, Anm.) Fonds DST Global angeführten Finanzierungsrunde 250 Millionen US-$. Die Bewertung betrug 1,4 Milliarden US-$ – das nächste Einhorn war geboren.

Den Kunden kann das übrigens egal sein. Denn der Wettbewerb, den N26 und Revolut mitprägen, verbessert in der Regel Produkte, senkt Preise und steigert Qualität. Was passiert, wenn Amazon wirklich einen auf Bank macht? Für die Antwort haben Alexander Weber und Valentin Scholz wohl keine Zeit mehr. Denn: Die Arbeit ruft.

Dieser Artikel ist in unserer Juni-Ausgabe 2018 „30 Unter 30“ erschienen.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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