Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.
Das Start-up Lilium gehört zu den innovativsten und gleichzeitig umstrittensten Tech-Unternehmen der Welt. Mit seinem senkrecht startenden, elektrisch betriebenen Jet will das Unternehmen die Mobilitätsbranche ein für alle Mal revolutionieren – doch die Gründer und ihr Vorhaben geraten immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik. Eine Bestandsanalyse.
(Lilium war für Forbes trotz zahlreicher Anfragen der Redaktion nicht erreichbar.)
Seit der Gründung im Jahr 2015 ist es das Ziel von vier ehemaligen TU-Studenten aus München, einen senkrecht startenden Jet mit Elektroantrieb (eVTOL – electric Vertical Take-Off and Landing Aircraft) für eine neue urbane Mobilität zu entwickeln. Das Lufttaxi soll senkrecht starten und landen und nach eigenen Angaben das effizienteste und umweltfreundlichste Transportmittel zur Personenbeförderung überhaupt sein. Der eigens entwickelte „Lilium Jet“ ist ein vollelektrischer Transportjet, der sich seit über fünf Jahren im Prototypenstadium befindet.
Daniel Wiegand, Sebastian Born, Patrick Nathen und Matthias Meiner widmen den Namen ihres Start-ups Lilium dem deutschen Flugpionier Otto Lilienthal. Alle vier sind heute noch massgeblich an der Entwicklung des Unternehmens beteiligt – angeführt von Daniel Wiegand als CEO. Als Antriebsspezialist leistete er während seines Studiums der Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität München Pionierarbeit für die Architektur des Flugkörpers.
Lilium beschäftigt inzwischen nach eigenen Angaben um die 750 Mitarbeiter, darunter 400 Ingenieure, die am Lilium Jet arbeiten. Indem der Jet senkrecht startet und landet, die Strecke aber mithilfe von Tragflächen – wie bei konventionellen Flugzeugen – zurücklegt, soll er schneller und wirtschaftlicher sein als die Modelle der Konkurrenten. Was allgemein für die Zukunftstechnologie Flugtaxi spricht, ist, dass diese leiser und umweltfreundlicher als Hubschrauber und schneller als Autos und Züge sein sollen. So zeigt eine Studie des Fraunhofer-Instituts, die auf Liliums Website zu finden ist, dass der CO2-Fussabdruck eines klassischen Passagierflugzeuges bei 189 kg liegt, wobei ein Lilium Jet im Vergleich dazu 13 g CO2/km produziert – etwa 14-mal weniger.
Im Frühjahr letzten Jahres kündigte Lilium an, einen Siebensitzer-Jet zu entwickeln – davor war der Jet als Fünfsitzer geplant. Lange Zeit waren die Angaben für den Fünfsitzer zur geplanten Reisegeschwindigkeit und Reichweite 300 km/h bzw. 300 Kilometer; für den Siebensitzer gibt Lilium jetzt 280 km/h bzw. 250 Kilometer an. Auch an der Anzahl der elektrischen Rotoren und der damit in Zusammenhang stehenden komplexen Struktur will Lilium nun etwas ändern: „Durch ein etwas grösseres und stärkeres Motorendesign werden wir die Zahl der Triebwerke von 36 auf 30 reduzieren“, so das Start-up in einem Schreiben an die Investoren Anfang März 2022 – eine Verbesserung, da Lilium jahrelang für die hohe Anzahl an Triebwerken kritisiert worden war.
Doch mit ihrer Vision, Menschen in einem fliegenden Drohnentaxi von Stadt zu Stadt zu befördern, sind die Lilium-Gründer schon lange nicht mehr die Einzigen. Weltweit streben weit über 200 Start-ups sowie etablierte Unternehmen wie Airbus, Boeing oder Embraer in diesen Zukunftsmarkt – allen voran ist das US-amerikanische Flugtaxi-Start-up Joby Aviation.
Mit 800 Mitarbeitern und einer Bewertung von 6,6 Mrd. US-$ ist es das höchstbewertete Unternehmen für elektrische Senkrechtstarter in der Branche. Laut einer Studie des Lufthansa Innovation Hub, die in einem Artikel des Handelsblatts herangezogen wird, überzeugt das Unternehmen vor allem wegen seiner starken Kapitalisierung und seinen weltweit gut gesicherten technischen Patenten. Wenige der etwa 200 Unternehmen testen mit Prototypen – Lilium macht Testflüge, aber noch nicht mit der künftigen Modellvariante, die ab 2025 im kommerziellen Einsatz fliegen und auf Regionalstrecken eingesetzt werden soll.
In Deutschland steht Lilium in direkter Konkurrenz zum Unternehmen Volocopter. Auch Volocopter entwickelt „Zero Emission“-Flugzeuge für Passagiere; genauso wie Lilium erhofft sich Volocopter den Start eines regulären Betriebs im Jahr 2025. Das Unternehmen aus Karlsruhe wurde im Jahr 2011 gegründet und will voraussichtlich in Singapur erstmals an den Markt gehen. Volocopters Pendant zum Lilium Jet ist das Modell Volocity: Anders als der Lilium Jet ist der Volocity lediglich ein Zweisitzer, der nach einer kurzen Testphase völlig autonom fliegen soll.
Aus derzeitiger Sicht ist noch nicht klar, welches der Unternehmen sich letztendlich durchsetzen wird. Etwa das mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis? Lilium gibt 170 US-$ für einen 30-Minuten-Flug an. Aus Angaben auf der Lilium-Website geht hervor, dass das Unternehmen plant, ab 2026 mit einem einzelnen Jet fünf Millionen US-$ pro Jahr zu erwirtschaften. Doch das war vor dem Börsengang.
Im Jahr 2021 floss mehr als eine Milliarde US-$ Risikokapital in den Zukunftsmarkt, mehr als je zuvor. Lilium wiederum konnte in sechs Finanzierungsrunden insgesamt 826,4 Mio. US-$ einsammeln. Die letzte Finanzierung wurde am 15. September 2021 in einer Post-IPO-Equity-Runde aufgenommen – am selben Tag, als das Start-up an die US-Technologiebörse Nasdaq ging. Lilium ist damit das erste deutsche Flugtaxi-Start-up, das um Investorengelder aus den USA konkurriert. Die Aktie ist von rund 10 US-$ bei der Erstnotierung auf rund 4 US-$ gefallen (Stand: 3. März 2022).
In jüngster Zeit gerät das Ansehen des Münchner Start-ups aber immer wieder ins Wanken. In den Medien gingen Gerüchte um, die das finanzielle Aus des Unternehmens prognostizierten. Ehemalige Ingenieure des Unternehmens berichten, dass die Jets (anders als propagiert) extrem laut sein sollen. Zudem hat das Start-up nach dem Börsengang enorm viel Gegenwind vonseiten der Investoren erfahren. So nimmt die Firma deutlich weniger Geld ein als ursprünglich geplant; auch der Börsengang an sich, der durch die Fusion mit SPAC Qell Acquisition erst möglich wurde, kam nicht gut an: Zwei Drittel der Qell-Aktionäre gaben ihre Aktien im Jahr 2021 zurück und stiegen aus. Die Ausstiegsquote von 65 % sei kein Votum gegen das Geschäftsmodell, liess das Unternehmen damals verlauten.
Neben dem Rückzug der Investoren gibt es darüber hinaus weitere Probleme für das junge Unternehmen – denn bislang gibt es den Siebensitzer nur auf dem Papier. Offenbar hat sich der Jet noch nie länger als 90 Sekunden in der Luft befunden, doch bis Ablauf dieses Jahres sollen diese Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt sein. Ende 2022 will Lilium einen Meilenstein erreichen: Der erste Siebensitzer-Prototyp soll so weit fertiggestellt sein, dass der langwierige Zulassungsprozess gestartet werden kann. Wenn alles gut läuft, steht dem kommerziellen Start ab 2024 dann nichts mehr im Weg. Aber nur wenn …
Text: Naila Baldwin
Fotos: Lilium
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 2–22 zum Thema „Innovation & Forschung“.