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Der Unternehmensberater Jean-Michel Germing gab alles für den Job – bis zum Burn-out, bis seine Ehe am Ende war. Es folgte eine Auszeit in Thailand, die sein Leben veränderte: Heute leitet der Schweizer auf der Trauminsel Ko Yao Noi drei Luxusresorts, zu den Gästen zählen Cristiano Ronaldo und andere Stars. Eine Story über das Suchen und Finden der Freiheit.
Da ist diese eine besondere Stelle; auf dem Hügel oben über den Villen seiner „Six Senses“. Der Blick reicht über die Hotelanlage in die Phang-Nga-Bucht mit ihren karstigen Urwaldinseln namens Pa Ko. Manche erinnern die mächtigen Felsen an versteinerte Krieger, Einheimische glauben der alten Sage vom riesigen Drachen, der unten im Meer schlafen soll. Die Inseln, so sagen sie, seien der sichtbare Teil seines gekrümmten Schwanzes.
Dieser Flecken auf dem Hilltop, dieser Aussichtspunkt mit dem phänomenalen Panorama ist für Jean-Michel Germing zum Lieblingsort geworden. „Wo ich bei mir bin und eine tiefe Ruhe verspüre“, sagt er. Es ist ein Ort des inneren Friedens für ihn, im Osten von Ko Yao Noi, jener Insel, die längst sein Zuhause ist; für den Schweizer, der vor bald 20 Jahren nach persönlichen Krisen hier ankam, ausgewandert und ausgebrannt, bevor er ein kleines Hotelimperium aufbaute und mit seiner neuen Familie sein Glück fand. Ein neues Leben in einer zweiten Heimat.
Zu Hause in Zürich hatte Germing nach dem BWL-Studium im Unternehmensconsulting gearbeitet, eine klassische Businesskarriere. Er beriet in der Touristikbranche Bergbahnen, Hotels und Restaurants, dazu auch Ingenieursfirmen und Versicherungsgesellschaften. Es ging um Kostenreduzierung, Standortoptimierung, Synergieeffizienz. „Ein Metier, das eher trocken war“, sagt der 58-Jährige heute. Vor allem aber war es sehr zeitintensiv.
Oft arbeitete er 60, 70 Stunden die Woche, manchmal auch 80. Weil er als Berater immer sein Stundenhonorar in Rechnung stellte, war die Formel ganz einfach: Je mehr Arbeitsstunden, desto voller das Konto. „Ich war getrieben wie ein Hamster in einem Rad“, sagt Germing – aber das Rad zu verlangsamen, es gar anzuhalten oder abzuspringen, das war lange nicht drin. Auch wenn der Stress zunahm, kam er nicht los von der Sucht, noch mehr zu tun. Sein Privatleben fand kaum mehr statt; eine Woche Urlaub im Jahr, mehr gönnte er sich nicht, und selbst in dieser einen Woche war das Handy nie aus. Auf Dauer wollten sie das nicht mehr mitansehen, seine Frau und seine beiden Kinder. Irgendwann war die Ehe kaputt, am Ende.
„Irgendwann bekommst du für dein Tun die Rechnung vorgesetzt“, sagt Germing. Es war eine Quittung mit einem sehr hohen Preis. Im Jahr 2003 flog er nach Thailand – ein alter Freund aus Zürich hatte um Rat und Hilfe gefragt. Auf Ko Yao Noi, der Insel in der Phang-Nga-Bucht östlich von Phuket, baute der Freund gerade ein Urlaubsresort. Einen Hotelier zu beraten, damit kannte sich Germing aus, und dazu die Auszeit, einfach mal rauskommen, ein kurzer Tapetenwechsel – das konnte ja nicht schaden. Germing konnte nicht ahnen, dass diese Reise zu einem Wendepunkt in seinem Leben werden würde. „Ich dachte erst: ‚Bleibst halt mal drei Wochen!‘“, meint Germing. „Und daraus wurden dann nun bald 20 Jahre.“
Der Partner ging zurück nach Zürich. Germing blieb. Anfangs pendelte er noch zwischen Thailand und der Schweiz, doch dann wuchs er immer mehr hinein in die neue Umgebung, in das Leben, in die Kultur, in die Bräuche, und die alte Heimat wurde immer fremder. Germing verliebte sich, heiratete wieder, gründete eine neue Familie mit zwei Kindern, heute zwölf und zehn Jahre alt, und er begann, zu entschleunigen. Der Hamster bremste das Rad endlich ab. Dabei war sein neues Leben kein frühzeitiger Ruhestand – ganz im Gegenteil. Germing verfolgte ehrgeizige Projekte. Nach der ersten Hotelanlage, dem Ko Yao Island Resort, entstand direkt nebenan das Six Senses, ein High-End-Hideaway, Luxus mit fünf Sternen.
Es ist eine Anlage mit 56 luxuriösen Fünf-Sterne-Villen, 530 € werden pro Nacht bezahlt. Cristiano Ronaldo hat hier 2012 geurlaubt und begeistert auf seinen Social-Media-Kanälen von dem Ort berichtet. Beste Thaiküche mit saisonalen und regionalen Zutaten serviert The Hilltop, das Restaurant am höchsten Punkt des Resorts; Gäste entspannen bei Yoga und Wellness oder halten sich mit Thaiboxing-Kursen fit – oder sie besuchen auf Expeditionen das legendäre Ko Yao Island Resort auf der James-Bond-Insel, Schauplatz von „007 – Der Mann mit dem goldenen Colt“.
Gleich daneben hat Germing noch das Nine Hornbills bauen lassen, eine Anlage mit famosen Zelthäusern samt Privatpool; Glamping vom Feinsten. Der Name war ihm übrigens gekommen, als er auf dem einst noch unbebauten Grundstück neun Exemplare der seltenen krummschnabeligen Nashornvögel, auf Englisch „hornbill“, erspäht hatte. Zwei oder drei auf einmal zu sehen sei schon eine Rarität, aber gleich neun? Ein magischer Ort müsse das sein.
Dazu kam noch das Soneva Kiri auf Ko Kut, einer kleinen Insel im Golf von Thailand. All das erfolgreich aufzubauen ging natürlich nur mit viel Arbeit und mit dem Einsatz von viel Kapital. Doch Jean-Michel Germing investierte noch weitere entscheidende Komponenten, die dazu beitrugen, dass ihm die Arbeit endlich wieder Spass machte und leichter fiel: Herzblut, Leidenschaft und Gelassenheit.
Ich dachte erst: ‚Bleib halt mal drei Wochen‘ – und daraus wurden dann nun bald 20 Jahre.
Jean-Michel Germing
Früher war er ein Getriebener. Heute, so scheint es, lässt er sich auch gerne treiben. Manchmal, sagt Germing, wenn er mal wieder ein Foto von sich mit Kaltgetränk am Strand verschicken oder posten würde, bekäme er von Freunden aus der Schweiz Nachrichten, ob er denn überhaupt noch arbeiten würde. Das tut er schon – nur eben anders als damals. Langsamer, weniger zerrissen. Mittiger.
Natürlich aber hat Jean-Michel Germing auch hier viele Krisen erlebt, gerade in den ersten Jahren: Der Tsunami gleich 2004, der viele Urlauber von Fernreisen erst einmal abhielt, dann die Lehman-Krise 2008, die gerade die Zielgruppe der Gutverdiener verunsicherte; dazwischen der Militärputsch 2006 und die Unruhen zwischen den Rothemden mit den Bauern, Händlern, einfachen Schichten auf der einen Seite und den Gelbhemden mit Bürgertum, Königstreuen, den Eliten ab der Mittelschicht aufwärts. All das steckten Germing und die gesamte Hoteliersbranche irgendwie gut weg.
Aber dann kam das Virus – es folgte eine Zeit, in der Germing viel Gelegenheit zum Nachdenken hatte. Über sich, über das Leben. Über den Planeten und das, was wir mit ihm treiben. Germing wirkt im Gespräch berührt, wenn er über die bewegendsten Augenblicke der vergangenen zwei Jahre spricht, in denen er meist gar keine Gäste in seinem Resort empfangen konnte; über die Momente, als bei seinen Bootsausflügen mit der Familie durch die ansonsten verwaiste und menschenleere Bucht zweimal Walhaie aufgetaucht seien, die er hier in seinen 20 Jahren sonst nie gesehen hatte. Wie schnell sich die Natur alles zurückerobert, merkte er auch nach wenigen Wochen an seinen Anlagen, als der Dschungel sich schon recht zügig anschickte, die Häuser und Villen wieder zu überwuchern. Wäre der Mensch nicht mehr, der Planet hätte ihn wohl bald vergessen.
Jean-Michel Germing hat die Pandemie gut gemeistert, die Anlagen präsentieren sich frisch und in Bestform, wenngleich die Urlauber noch auf sich warten lassen. Mit noch einer Low Season rechnet der Hotelier in den kommenden Monaten, ab dem Winter hofft er wieder auf Normalbetrieb wie vor Corona; auf Gäste, die Ruhe, Exklusivität und Stil suchen – und Unterkünfte in nachhaltigen Holzhäusern als Kontrast zu den grossen Betonbunkern für die Pauschalabfertigung drüben in Phuket oder sonst wo im Land. Hier wird man auch weiter einen stillen Rückzugsort in harmonischem Ambiente finden.
Ob die Covid-Jahre aber ganz generell im Tourismus wirklich zu einem Umdenken geführt haben, zu Rückbesinnung und Einhalt, bezweifelt Jean-Michel Germing. Lange spricht er noch über die grossen Defizite des Landes, über das mangelnde Abfallmanagement, das fehlende Bewusstsein der Menschen und darüber, weshalb man am Kiosk sein Päckchen Kaugummi immer noch in eine Plastiktüte eingewickelt bekommt.
Auch die Überfischung sei ein gewaltiges Problem, gerade hier in der Bucht, sagt er und fordert ein generelles Verbot, einen Bannkreis von 60 Kilometern ab der Küste. „Das wäre ein so wichtiger Beitrag, damit sich die Umwelt erholen kann“, sagt Germing. „Zehn Jahre, vielleicht 15, dann würden wir hier wieder regelmässig Delfine sehen.“ Und noch mehr Walhaie.
Natürlich hat er sich auch mit seiner eigenen Zukunft beschäftigt – nächstes Jahr wird er 60, „eine grosse Kugel“ würde er „noch gerne hochwerfen“, sagt er und meint damit noch ein letztes Resortprojekt auf Ko Yao Noi. Dann soll ein jüngerer Jean-Michel übernehmen, dann sei mit der Arbeit auch mal Schluss. Corona hat Germing viel zum Reflektieren über die Endlichkeit des Daseins gebracht.
Germing wirkt im Reinen mit sich, den Wert seiner drei Hotelanlagen auf der Insel taxiert er insgesamt auf gut 200 Mio. US-$. Längst sei ihm das Geld aber nicht mehr so wichtig wie früher. „Wäre ich in der Schweiz geblieben, hätte ich viel mehr verdienen können“, sagt er, aber er kennt ja auch die Geschichten von Bekannten aus der Branche, die sich in der alten Heimat aufreiben und ausbrennen – hier ein Herzinfarkt, da ein Schlaganfall, dort ein Burn-out, wie einst bei ihm selbst. Möglich, dass er eines Tages doch wieder einige Monate im Jahr in der Schweiz lebt. Er vermisst Freunde, die Ex-Frau und die beiden Kinder, zu denen er wieder ein sehr gutes Verhältnis hat, auch die Berge oder „einen Opernbesuch oder ein Jazzkonzert“.
Aber ganz zurück will Germing auf keinen Fall. Er braucht seine Insel, sein Tempo. Seinen Ruheplatz über den Six Senses. Und den Blick in die Bucht, der ihm so viel Glück und Freiheit gibt.
Jean-Michel Germing
...der ehemalige Schweizer Unternehmensberater ist Aussteiger, Hotelier und Spezialist für die Entwicklung exklusiver Resorts.
Text: Florian Kinast
Fotos: Germing Frey