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Von der Kinderärztin zur Unternehmensgründerin eines globalen Medtech-Unternehmens: Diesen Sprung schaffte Claire Novorol. 2011 gründete sie die KI-gesteuerte Plattform Ada Health mit, welche nicht nur Krankenhäuser und Ärzte, sondern auch Patienten zu Hause bei der Diagnose von Krankheiten unterstützt. Heute ist Ada die beliebteste Symptomanalyse-App weltweit.
Man weiss, man soll es nicht tun, trotzdem hat es wahrscheinlich jeder von uns schon einmal getan: Krankheitssymptome zu googeln endet meist in Verwirrung und Panik, denn das Internet diagnostiziert gerne eine schlimme Krankheit, obwohl es sich vielleicht bloss um einen Schupfen handelt. Zahlreiche Anbieter haben diese Marktlücke bereits für sich entdeckt und bieten medizinische Symptomanalyse-Tools an – darunter auch Ada Health: Die medizinische Plattform, gegründet von Ärztin Claire Novorol, Unternehmer Daniel Nathrath und Neurowissenschaftler Martin Hirsch, bietet ein durch künstliche Intelligenz gesteuertes Assessment-Tool, welches sowohl Ärzten und medizinischen Institutionen effizientere Arbeit ermöglicht als auch Personen zu Hause berät. Das Tool analysiert durch Fragen an Patienten deren Symptome und Beschwerden und kann so wichtige Vorarbeit für den zuständigen Arzt leisten. Seit 2016 gibt es Ada als App für Patienten. Während Symptomanalyse-Apps durchschnittlich zu 38 % die richtige medizinische Einschätzung liefern, zeigt Ada zu 70 % den korrekten Symptomverursacher an – so die Ergebnisse einer von Ada eigens durchgeführten Studie. Circa 80 % Erfolgsquote erreichen Ärzte in der Praxis – kann die KI, die Ada Health zur Ermittlung der Krankheiten entwickelt hat, also bald den Arzt ersetzen?
Nein – diese Frage beantwortet Claire Novorol, Mitgründerin von Ada Health, glasklar. „Bei Ada geht es nicht darum, den Arzt zu ersetzen, sondern darum, den Patienten zu unterstützen. Wenn wir zu Hause sind und uns krank fühlen, fragen wir uns: Muss ich einen Arzt aufsuchen? Zu welchem Arzt muss ich und wie dringend ist es? Ada ist ein zuverlässiger Weg, individuelle Informationen zu erhalten“, erzählt die 43-jährige Gründerin über Zoom aus ihrem Berliner Office. In den vergangenen Jahren pendelte die Britin zwischen den beiden Standorten London und Berlin, in Zukunft wird sie jedoch viel Zeit in den USA verbringen – dort wächst das Unternehmen am schnellsten. Wenn Claire Novorol erzählt, wie Ada funktioniert, betont sie einen Aspekt besonders vehement: Bei Ada wird nie von Diagnosen gesprochen, denn eine 100-prozentige Diagnose kann man meist nicht erstellen, auch nicht in der Praxis, so Novorol. „Beim Diagnostizieren geht es um Wahrscheinlichkeiten und genau so funktioniert Ada auch. Ähnlich wie ein Arzt versucht Ada durch dynamische Fragenden Symptomsursprung einzugrenzen und hilfreiche Informationen zu liefern.“, so die ehemalige praktizierende Kinderärztin. Ein besonderes Augenmerk legt Ada auf die Abdeckung von seltenen, schwer diagnostizierbare Krankheiten; aus diesem Feld stammt auch die eigentliche Idee für das Unternehmen.
Nachdem Claire Novorol einige Jahre in Londoner Spitälern als Kinderärztin tätig gewesen war, begann sie, in der klinischen Genetik zu arbeiten und sich intensiv mit seltenen Krankheiten und deren Diagnose zu beschäftigen. Es folgte ein PhD in Cambridge; neben ihrer Forschung belegte sie auch noch Vorlesungen an Wirtschaftshochschulen. Inspiriert durch ihre Mitstudenten entstand der Wunsch, selbst ein Medtech-Startup zu gründen. Im Zuge ihrer Arbeit sah Novorol immer wieder, wie lange es dauerte und wie schwierig es für viele ihrer Kollegen war, seltene Krankheiten zu diagnostizieren, und entwickelte einen Prototyp für eine Plattform zum Austausch von Ärzten. „Zur selben Zeit traf ich meine Mitgründer, die an einer ähnlichen Mission, Diagnoseprozesse zu vereinfachen, arbeiteten. Ihr Plan war es, dafür eine KI zu bauen, und so haben wir uns zusammengeschlossen.“ Gemeinsam gründeten Claire Novorol, Daniel Nathrath und Martin Hirsch 2011 Ada Health und entwickelten mit einem Team aus Ärzten und Wissenschaftlern das Ada-Assessment-Tool. Während sich das Unternehmen anfangs noch darauf fokussierte, Fachärzte bei der Diagnose seltener Krankheiten zu unterstützen, stellte sich schnell heraus, dass die Technologie auch in der Primärversorgung hilfreich sein kann. So baute das Team das Assessment so aus, dass es nicht nur Ärzte, sondern auch Patienten bei der Selbsteinschätzung unterstützt und so am Beginn der Diagnostik ansetzt.
„Heute ist Ada eine Plattform, die sich auf die medizinische Selbsteinschätzung von Patienten fokussiert, um erste Orientierung zu bieten und Prozesse im gesamten Gesundheitssystem zu verkürzen.“, so Novorol. Das Ada-Assessment kann über die App durchgeführt werden und wurde bereits auch von zahlreichen Versicherungen und Gesundheitsinstitutionen in ihre Website integriert. Zu Adas Partnern zählen unter anderem der französische Versicherungskonzern Santéclair, der US-Klinikbetreiber Sutter Health oder die internationalen Pharmakonzerne Novartis und Bayer.
Mittlerweile ist Ada in elf Sprachen und mehr als 150 Ländern verfügbar und zu einem globalen Medtech-Unternehmen gewachsen. Über 400 Mitarbeiter arbeiten in den Büros in Berlin, London und New York. Sein erstes Funding (40 Mio. US-$) erhielt das Unternehmen 2017; in der aktuellen B-Series-Finanzierungsrunde konnten 120 Mio. US-$ aufgestellt werden, unter anderem von Farallon Capital, Red River West und Bertelsmann Investments. Trotz seiner Beliebtheit ist Ada lange nicht alleine in der milliardenschweren Healthcare-App-Branche: 2020 soll das Marktvolumen laut Fortune Magazine ganze 24,9 Mrd. US-$ umfasst haben, bis 2028 wird ein Volumen von 314 Mrd. US-$ prognostiziert. Der Mitstreiter Web MD, eine Symptomanalyse-App, die auch Informationen über Ärzte und Apotheken bietet, wurde 2017 um 2,8 Mrd. US-$ verkauft, Konkurrenten wie Your MD und Babylon Health verwenden ebenfalls künstliche Intelligenz, um Menschen bei der Selbstdiagnostik zu unterstützen. Mit einer Diagnosegenauigkeit zwischen 23,5 und 35 % können alle drei Mitstreiter in dieser Hinsicht aber bei Weitem nicht mit Adas 70 % Erfolgsquote mithalten.
Der Erfolg des Produkts bleibt nicht unbemerkt: 2021 schaffte es Novorol, die neben ihrer Rolle als CMO auch im UK Digital Health Council sitzt und Expertin für Unternehmertum an der University of Oxford ist, auf die „Top 50 Women in Tech Europe“-Liste von Forbes. Trotz hauptsächlich positiven Feedbacks von anderen Medizinern (laut einer von Ada eigens durchgeführten Studie empfinden es 90 % der Ärzte als hilfreich, wenn Patienten vor der Untersuchung Ada genutzt haben) gab es anfangs auch Skepsis aus der Branche: „Ärzte sind in erster Linie sehr auf Sicherheit bedacht und haben naturgemäss viele Fragen zu jeder neuen Technologie. Bei der Nutzung von KI im Gesundheitswesen gab es im ersten Jahrzehnt der Entwicklung dieses Bereichs viel Hype, der eine gesunde Portion Skepsis bei Ärzten hervorgerufen hat“, so Novorol. Prinzipiell sieht die Ärztin allerdings weiterhin viel Potenzial für KI in der Medizin, auch wenn die richtige Integration und dadurch auch die spürbare Wirkung der Unterstützung durch KI länger dauert, als von vielen aus der Branche erwartet wurde.
Persönlich sieht sich die Gründerin in den nächsten Jahren weiterhin im Unternehmertum. Die Patienten und die Arbeit in der praktischen Medizin fehlen der 43-Jährigen nicht, denn durch das konstante Feedback der Ada-Nutzer fühlt sich die Ärztin permanent mit ihnen in Verbindung, wie Novorol selbst sagt.
Claire Novorol
...studierte Medizin und Pathologie an der University of Bristol und schloss einen PhD in Neurowissenschaften an der University of Cambridge ab, bevor sie Ada Health gründete.
Text: Sophie Ströbitzer
Fotos: Jasmin Schuller
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 3–22 zum Thema „KI“.