ÜBER REICHTUM

Ist die Einkommenssteuer gerecht? Wenn diese Frage seltsam wirkt, zeigt sich vielleicht gerade, wie selbstverständlich Steuern auf Arbeit sind. In der Form, wie wir sie in Deutschland kennen, ist sie eine historisch vergleichsweise junge Idee. Im Gegensatz dazu ist die Besteuerung von Vermögen ein alter Hut, gängigste Praxis seit der Antike. Trotzdem wird nur bei der Besteuerung von Vermögen eine empörte Gerechtigkeitsdebatte eröffnet.

In der zweiteiligen Arte-Dokumentation „Der Staat und sein Geld – Die Geschichte der Steuern“ von Gérard Noiriel und Xavier Villetard wird von unterschiedlichen Fachleuten erklärt, dass Steuern ein Kern der Demokratie sind. Deshalb ist diese Gesetzgebung auch so umstritten. Steuergesetze sind die Anleitung für die Befüllung des öffentlichen Gruppenkontos einer Gesellschaft. Die Geldbörse nennt sich Staatshaushalt. Alle Mitglieder der Gesellschaft zahlen ein. Es ist einer der demokratischsten Akte überhaupt, Steuern zu zahlen.

Warum wehren sich überreiche Menschen so dagegen? Liegt es daran, dass sie nicht wissen, dass ihr Überreichtum strukturell an Armut geknüpft ist? Liegt es daran, dass sie nicht wissen, dass ihr Überreichtum ohne staatliche Infrastruktur nicht möglich wäre, weil die Öffentlichkeit mit Steuern für Bildung, Gesundheit, Strassennetze, öffentlichen Verkehr, Energie- und Wasserversorgung, Sozialversicherung, Polizei und Rechtsstaat sorgt? Liegt es daran, dass sie nicht wissen, dass ihr Vermögen durch das Recht auf Eigentum nur gesichert sein kann, solange es einen Staat gibt, der Recht spricht und anerkennt? Liegt es daran, dass sie nicht wissen, dass eine Demokratie eine Herrschaftsform und kein Service ist und folglich das private Interesse der Wenigen das öffentliche Interesse der Vielen nicht aushebeln darf?

Überreichtum ist unnötig und unsolidarisch. Es gibt keinen Grund, nicht zu teilen. Das Schweizer Bankgeheimnis wurde in den beginnenden 1930er-Jahren erfunden, als Folge der Steuerreformen, um die internationale Kooperation der Steuerbehörden zu vermeiden. Heute gibt es automatisierten Informationsaustausch, und trotzdem: Steuerflucht. Steuerprivilegien sind keine adäquate Antwort. Sie sind Vorrechte, aber Vorrechte sind immer Unrecht. Steueroptimierung ist ein Service für Menschen, die ohnehin Geld haben und untergräbt den Gesellschaftsvertrag: Normale Menschen müssen zahlen, die Reichen können es sich leisten, teure Rechtsexpertise zu kaufen. Dass Regierungen das zulassen, verletzt den Gleichheitsgrundsatz.

Marlene Engelhorn...
...ist die Nachfahrin des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn. Bald wird sie einen Millionenbetrag erben und will für diesen besteuert werden. 2021 gründete sie deshalb gemeinsam mit anderen die Initiative Taxmenow, die sich öffentlich für Steuergerechtigkeit einsetzt.

Die Deregulierung des Kapitalverkehrs entzieht dem Bürgertum die Finanzsouveränität, also über die Steuern bestimmen zu können. Das trifft ins Herz staatlicher Souveränität, Steuern sind ein Kern der Demokratie. Alle Mitglieder der Gesellschaft zahlen ein. Wir haben das 21. Jahrhundert. Es ist an der Zeit, Vermögen gerecht zu besteuern, damit es genauso selbstverständlich wird wie die Steuern auf Einkommen.

Illustration: Valentin Berger
Text: Marlene Engelhorn

Forbes Contributor

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