Zählen die Sterne – zahlen die Sterne?

Wenn der Berliner Spitzenkoch Tim Raue gefragt wird, wie man in der Gastronomie am besten Geld verdient, ist seine Antwort ebenso ent­waffnend wie provokant: „Das Beste, was man machen kann, ist ein gut laufender Imbiss.“ Drei Michelin-­Sterne? Prestige, ja. Wirtschaftlich? Schwierig.

In der Branche kursiert längst die These, dass mit ­jedem Stern nicht nur die Anforderungen steigen – sondern auch die Verluste. Und tatsächlich: Viele Sternerestaurants ­kämpfen mit schwacher Marge, steigenden Kosten und einer ­ungesunden Abhängigkeit von Bewertungen. Doch ist der ­Michelin-Stern wirklich ein ­finanzieller Fluch?

Nicht alle sehen das so. „Sterne sind eine riesige Chance“, sagt etwa Andreas Caminada, der Schweizer Drei-Sterne-Koch aus Fürstenau. Für ihn sind die Auszeichnungen kein Selbst­zweck, sondern ein Katalysator für Qualität, ­Nachhaltigkeit und Unternehmertum. Was nach Widerspruch klingt, offenbart ein strukturelles ­Dilemma – und eine Branche im Umbruch.

Die Zahlen sprechen eine ambivalente ­Sprache: Studien zeigen, dass Restaurants nach der Verleihung eines Michelin-Sterns ihre ­Preise deutlich anheben – im Schnitt um 14,8 % bei ­einem Stern, um 55,1 % bei zwei und um 80,2 % bei drei Sternen. Das könnte für wirtschaft­lichen Auftrieb sorgen. Gleichzeitig zeigen andere Er­hebungen, etwa aus Japan, dass die operative ­Ren­tabilität von Sternerestaurants sinkt, je ­höher die Auszeichnung ist – weil der Aufwand überpropor­tional wächst. Viele Köchinnen und Köche berichten zudem von emotionalem Druck, Burnout und der ständigen Angst, den Stern wieder zu verlieren – bei gleichzeitiger Erwartungs­haltung, stets perfekte Gerichte und makellosen Service zu liefern.

Ein Problem dabei: Die Qualität steigt oft nicht im gleichen Mass wie der Preis. Denn während sich ein Zwei-Sterne-Restaurant noch zum Dreisterner entwickeln kann, ist mit dem dritten Stern die Reise zu Ende. Der Anspruch wird bewahrt, nicht weiterentwickelt. Das führt nicht selten dazu, dass Häuser sich auf ihren Lorbeeren ausruhen – bei gleichbleibend hoher Rechnung.

Doch es gibt Gegenbewegungen. Viele ­Küchenchefs versuchen zunehmend, sich aus der Preis- und Qualitätsfalle zu befreien; mit vertikal integrierten Lösungen: Eigene Landwirtschaften, Kräutergärten, Gemüsegärten oder Kooperationen mit kleinen Bauernhöfen ersetzen konventionelle Lieferketten. Das hat zwei Effekte: Zum einen lassen sich Qualität und Frische besser ­kontrollieren, zum anderen sinken ­langfristig die Kosten – weil Zwischenhändler entfallen und saisonale Produk­te aus eigenem Anbau verwendet werden. Andreas Caminada etwa verfolgt dieses Modell seit Jahren. Für ihn ist die Landwirtschaft nicht nur ein kulinarischer Vorteil, sondern auch ein wirtschaft­licher: „Man muss seine Kosten ­spüren“, sagt er – und meint damit: verstehen, steuern, in Balance bringen.

Der grösste Denkfehler liegt aber vielleicht ohnehin woanders: im Tunnelblick auf die Küche. Denn was nützt das beste Gericht, wenn der Service unfreundlich ist, die Einrichtung kalt wirkt oder die Atmosphäre nicht stimmt? Eine echte „Sterne-Erfahrung“ entsteht nicht nur auf dem Teller, sondern im Zusammenspiel aller Faktoren: Empfang, Licht, Taktgefühl et cetera. Das Ziel darf nicht sein, Sterne zu sammeln – sondern ­Erlebnisse zu schaffen. Wenn das gelingt, folgen die Auszeichnungen von selbst. Und wenn nicht? Dann droht eben auch Sternerestaurants ein unrühmliches Ende.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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