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Vor zehn Jahren gründeten Christian Bezdeka und Marcus Ihlenfeld ein Unternehmen, das ausschliesslich Fahrräder für Kinder herstellen sollte. Heute ist Woom der grösste Anbieter in der DACH-Region, 2022 schrieb man 100 Mio. € Umsatz – und mit dem Ex-Henkel- und -Adidas-Chef Kasper Rorsted kam ein international erfahrener Manager ins Team.
Das Woom-Headquarter liegt rund 30 Minuten vom Wiener Stadtzentrum entfernt. Viele der Angestellten bestreiten ihren Arbeitsweg jedoch auf zwei Rädern, liegt das Büro in Klosterneuburg doch direkt am Donauradweg. Kommendes Jahr soll das Start-up aber wieder nach Wien zurückziehen, was so manche Mitarbeiter auch beklagen: „Da fällt mein täglicher Radsport weg. Ich weiss nicht, wie ich den dann unterbringen werde!“, sagt einer.
2013 wurde Woom, heute der grösste Hersteller von Kinderfahrrädern im deutschsprachigen Raum, in einer Wiener Garage gegründet. Davon ist im heutigen Büro nichts mehr zu erkennen – stattdessen vermittelt die offene Arbeitsfläche, auf der zahlreiche Tische frei von Trennwänden stehen, klassisches Start-up-Flair. Christian Bezdeka und Marcus Ihlenfeld, die beiden Gründer, zogen sich letztes Jahr aus dem operativen Geschäft in den Beirat zurück; zum Gespräch erwarten uns Paul Fattinger, der 2020 als Beiratsmitglied ins Unternehmen kam und seit 2022 CEO ist, und der ehemalige Henkel- und Adidas-Chef Kasper Rorsted, der seit Anfang Mai Vorsitzender des Beirates des Woom Advisory Board ist und die Geschäftsführung beraten soll. „Bereits vor rund drei Jahren merkten Christian (Bezdeka, Anm.) und Marcus (Ihlenfeld, Anm.), dass ihr Unternehmen eine Grösse erreicht hatte, bei der ein erweitertes Management Sinn macht“, so Fattinger. „Bei einem so schnell wachsenden Unternehmen wie Woom gibt es viele Veränderungen. So wird das auch in Zukunft sein.“
Seit der Gründung konnte Woom bis 2023 ein durchschnittliches Jahreswachstum von 50 % hinlegen – und das anfangs ganz ohne Investoren. Erst Ende 2020 wurde die erste Finanzierungsrunde abgeschlossen (den genauen Betrag veröffentlichte Woom nicht, es handelte sich aber um einen zweistelligen Millionenbetrag). Bereits drei Jahre zuvor konnte das Start-up schwarze Zahlen schreiben, 2022 knackte es die Umsatzgrenze von 100 Mio. €. (in den USA ist das Unternehmen aufgrund der Expansion zurzeit nicht profitabel), 400.000 Fahrräder verkaufte Woom dafür, was in Österreich und Deutschland einem Marktanteil von 40 % bzw. 20 % entspricht. „In Österreich haben wir das Potenzial so gut wie ausgeschöpft. In Deutschland gibt es noch Luft nach oben, aber wir schauen uns vor allem in anderen Märkten um“, so Fattinger. Die Expansion richtet sich in Europa eher nach Frankreich, Italien und in die Niederlande – und auch in die USA, wo Woom unter Mathias Ihlenfeld (der Bruder von Marcus Ihlenfeld) bereits seit 2014 aktiv ist. Doch kann das neue Management unter Fattinger und Rorsted das Wachstum des letzten Jahrzehnts aufrecht halten? Und was macht die Kinderfahrräder, die mit Preisen bis zu 3.000 € deutlich über den meisten Kinderrädern liegen, eigentlich so begehrenswert?
Vor zehn Jahren starteten Christian Bezdeka und Marcus Ihlenfeld mit einer Idee: Sie wollten besonders gute Fahrräder für Kinder machen. Fattinger erklärt: „Die meisten Kinderfahrräder sind einfach nur geschrumpfte Erwachsenenräder. Wir entwerfen unser Produkt wirklich für Kinder und gehen auf ihre Bedürfnisse ein.“ Die Woom-Modelle sind leichter als die meisten anderen Kinderfahrräder, was besonders kleinen Kindern dabei hilft, das Fahren zu erlernen. Ausserdem sind bei den Rädern der Wiener Marke einige smarte Designmerkmale zu finden: Die Geometrie des Rahmens ist bei Woom-Rädern etwas anders; die Pedale sind länglicher, da Kinder oft mit den Füssen vor- und zurückrutschen; die Lenker sind blau und rot, damit Eltern „Mit Rot bremsen!“ rufen können, anstatt ihre Kinder mit links und rechts zu verwirren; die Liste ist lang. „Wir haben immer auf das Feedback unserer Kunden gehört, und so haben sich diese Merkmale angesammelt“, so Fattinger. Genau diesem Ansatz des Feedback-Sammelns soll im neuen Wiener Headquarter im 19. Bezirk Rechnung getragen werden: „Wir bringen dort Kunden und Mitarbeiter noch näher zusammen“, so Rorsted, der naturgemäss über die Zukunft des Unternehmens mehr zu sagen hat als über die Vergangenheit. Hier soll gefahren, ausprobiert und getestet werden. Das Feedback der Kinder und Eltern soll direkt an die Mitarbeiter gebracht und ins Produkt integriert werden. Ob das etwa nur an bestimmten Wochentagen oder zu Events möglich sein soll, bleibt noch offen.
Auch der Kaufprozess selbst ist so einfach wie möglich gestaltet. Anstatt die Fahrräder in Zoll zu bemessen, wie es in der Industrie üblich ist, gibt es die Woom-Räder in Grössen. Das Modell Woom Original 1 ist für Kinder ab eineinhalb Jahren, die Nummer 6 (das grösste Woom-Fahrrad) für Kinder ab zehn Jahren. „Den Eltern ist es egal, ob das Fahrrad ein 16- oder ein 20-Zoll-Rad ist. Hauptsache, es passt“, sagt Fattinger, bevor er fortfährt: „Bei uns steigst du ganz vorne bei Nummer 1 ein, und wenn das zu klein ist, probierst du die Nummer 2.“ Manche Modelle, etwa das Mountain- oder das E-Bike, gibt es nur in den grösseren Grössen. Das System eignet sich auch gut für den Onlinehandel, über den Woom in Europa rund ein Drittel der Verkäufe abwickelt (in den USA bietet Woom ausschliesslich D2C-Verkäufe an).
Anfangs bauten die Gründer Bezdeka und Ihlenfeld jedes Fahrrad selbst in einer Garage zusammen. Schon bald wurde jedoch klar, dass das so nicht weitergehen konnte; zu gross war die Nachfrage bereits damals schon. Sie holten sich Verstärkung an Bord, zuerst durch Familie und Freunde. So wuchs auch die Marke, wie Fattinger erklärt: „Es gab nie viel Geld für teures Marketing – deshalb war von Anfang an klar: Das Produkt muss für sich sprechen. Unser bestes Werbemittel ist bis heute das Fahrrad am Kinderspielplatz, wo andere Eltern es sehen und davon begeistert werden.“
Das organische Wachstum des Start-ups spiegelt sich auch in der Finanzierung von Woom wider: Bis 2020 entwickelte sich das Unternehmen ganz ohne grosse Investoren organisch und durch kleinere Privatkredite von Bekannten der Gründer. Erst 2020 kamen die ersten institutionalisierten Geldgeber an Bord, darunter die Familie Brenninkmeijer, die auch Eigentümer von C&A ist, sowie Runtastic-Co-Founder Florian Gschwandtner. „Damals setzten die beiden Gründer die ersten Schritte, um sich aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen. Der Gedanke war und ist immer noch, neben Kapital Erfahrung ins Unternehmen zu bringen“, sagt Fattinger. 2022 investierte auch die Hongkonger Jebsen Group einen zweistelligen Millionenbetrag (15 % der Unternehmensanteile hält der Investor somit), wodurch Woom auch einen Fuss im asiatischen Markt hat. Die Expansion dorthin ist aber noch einige Jahre entfernt, auch wenn es bereits erste Verkäufe in Japan und den Arabischen Emiraten gibt.
In Asien gibt es zwar noch enorm viel Wachstumspotenzial, die primäre Herausforderung bestand aber zunächst darin, die heimische Nachfrage zu decken. Anfang 2022 befanden sich rund 70.000 potenzielle Kunden auf der Warteliste. Eltern erzählen, wie ihnen andere Eltern die kleinen Aluräder auf der Strasse abkaufen wollten. Der Preis für gebrauchte Woom-Fahrräder überstieg Berichten zufolge zeitweise den Originalpreis, so begehrt – und schwer zu bekommen – war das Produkt. Um künstliche Verknappung handelte es sich laut Fattinger aber nicht; heute müssen sich Kunden auch kaum noch auf die Warteliste setzen lassen. Fattinger: „Wir haben eine Grösse erreicht, mit der wir unseren Herstellern zusichern können, dass wir auch die nächsten Jahre mit ihnen zusammenarbeiten können und werden.“ Das ermöglicht der österreichischen Firma auch die Produktion grösserer Volumina. Diese erfolgt zu zwei Dritteln in Asien, hauptsächlich in Kambodscha und Bangladesch. Das Assembling findet in Polen statt. Und obwohl Bezdeka und Marcus Ihlenfeld letztes Jahr in einem Interview sagten, sie wollen die Produktion stärker nach Europa verlagern, hebt Rorsted die Schwierigkeiten davon hervor: „Wir haben in Europa immer noch mit einem Arbeitskräftemangel zu kämpfen. Langfristig ist die Verlagerung der Produktion nach Europa zwar noch ein Ziel, aber das werden wir eher über neue Technologien wie fortschrittliches 3D-Drucken machen müssen.“
Die meisten Start-ups werden mit dem Vorhaben gegründet, eines Tages einen erfolgreichen Exit abzuschliessen. Auf die Frage, ob auch bei Woom in Zukunft ein Exit ansteht, antwortet Rorsted: „Ich glaube, das ist die falsche Denkweise für uns. Das Ziel muss sein, dass wir in den Ländern, in denen wir operieren, die bekannteste und begehrteste Fahrradmarke sind. Wie die Ownership-Struktur aussieht, ist sekundär.“
Paul Fattinger wurde 2020 Mitglied des Woom-Beirats, ein Jahr später stieg er als CFO auch in das operative Geschäft ein, bevor er 2022 Co-CEO wurde. Seit Juni 2023 ist Fattinger CEO von Woom.
Kasper Rorsted war seit 2016 CEO von Adidas, seit Mai 2023 berät er als Vorsitzender des Beirates von Woom die Geschäftsführung.
Text: Erik Fleischmann
Foto: David Visnjic
Infografik: Emin Hamdi, Valentin Berger