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Seit 1844 zählt das Baur au Lac zu den Aushängeschildern in Zürich. Als eines von ganz wenigen Fünf-Sterne-Hotels weltweit ist es noch immer in Familienhand. Mit Marguita Kracht übernimmt nun die Tochter von Andrea Kracht in siebter Generation das Ruder – und stellt gleich mal das Restaurantkonzept auf den Kopf. Dieser Bruch mit Normen gefällt nicht allen, doch die Eigentümerfamilie blickt nicht umsonst auf 180 Jahre Erfolgsgeschichte zurück.
Wer die Stadt Zürich kennt, kennt auch das Baur au Lac („Baur am See“). Direkt am Seeufer gelegen zählt das Hotel seit seiner Eröffnung vor 180 Jahren zu den Top-Adressen in Zürich, in der Schweiz und in Europa. Seit 1844 wird das Haus von der Gründerfamilie geführt – und gilt damit als eines der ganz wenigen Fünf-Sterne-Hotels der Welt, die sich noch in Familienbesitz befinden. Hinter dem Haus steht die Familie Kracht, die zwar nicht mehr den Namen des Hotelgründers Johannes Baur trägt, aber ihm direkt nachfolgt. „Wir haben sieben Generationen Geschichte“, sagt Eigentümer Andrea Kracht im Interview mit Forbes. Das ist auch nötig, denn bei Zimmerpreisen, die von 650 CHF bis 6.500 CHF pro Nacht und Person rangieren, sind auch die Ansprüche der Gäste nicht niedrig. Insgesamt erwirtschaftet das Haus so einen Jahresumsatz von rund 75 Mio. CHF, wobei davon rund 50 Mio. CHF auf den Hotelbetrieb und etwa 25 Mio. CHF auf den Weinhandel entfallen.
Bei bis zu 350 Mitarbeitern – die Zahl variiert je nach Anlass, viele Mitarbeiter kommen lediglich für Bankette oder Events zum Einsatz – erreichte das Baur au Lac zuletzt eine Auslastung von 94 % der verfügbaren Zimmer, was auch für die Familie Kracht einen Rekord bedeutete. „Die Leute wollten nach Covid unbedingt wieder verreisen“, so Kracht. „Wir spüren für 2024 diesbezüglich etwas weniger Druck, doch das Jahr entwickelt sich auch gut.“
Und obwohl das durchaus präsentable Fakten sind, stehen dem Haus grosse Veränderungen bevor. Einerseits ist mit Andrea Krachts Tochter Marguita bereits die siebente Generation in die Geschäftsführung involviert; schrittweise soll die 31-Jährige die Führung des Hauses von ihrem Vater übernehmen. Zudem passt sich das Hotel auch den neuen Gegebenheiten an, indem der grösste Umbau der jüngeren Geschichte stattfindet, im Zuge dessen das Restaurant Pavillon völlig neu konzipiert wird. Nach der Neueröffnung, die für Sommer 2024 geplant ist, soll dort unter dem passenden Namen „Marguita“ mediterrane Küche auf höchstem Niveau angeboten werden. Das Restaurant trägt nicht nur den Namen von Andrea Krachts Tochter – sondern auch den seiner Mutter. Dieses Gesamtprojekt läuft unter dem Titel „Baur au Lac Reloading“, das auch einen völligen Neuauftritt der Marke beinhaltet, für den Marguita Kracht verantwortlich zeichnet.
„Wir müssen uns anpassen und Veränderungen herbeiführen“, so Andrea Kracht zu den Neuerungen. „Wir wollen immer top sein.“
Im März 2020 erlebte die globale Hotelbranche einen Schock, der bis dahin (und seither) seinesgleichen sucht: Die Covid-Pandemie führte zu Reisestopps, Lockdowns, die Welt stand still. Hotels mussten schliessen – manche vorübergehend, manche für immer. Und die Reisegewohnheiten veränderten sich: Die Gäste buchten kurzfristiger und kürzer, was Planungen für die Hotelbetreiber erschwerte.
Auch das Baur au Lac war davon betroffen, wenn auch anders als andere Häuser. „Wir hatten auch während Covid immer geöffnet“, so Andrea Kracht nicht ohne Stolz. Doch die Pandemie führte dazu, dass auch die Familie Kracht reagieren musste: Der Umbau des Restaurants Pavillon – das mit zwei Michelin-Sternen und einer Top-Bewertung von 18 Punkten von Gault-Millau durchaus ein Aushängeschild für das Hotel war – musste verschoben werden. „2024 erschien uns schliesslich als guter Zeitpunkt“, so Vater Kracht.
Wir müssen uns anpassen und Veränderungen herbeiführen. Wir wollen immer top sein.
Andrea Kracht
Der Wunsch, das hauseigene Restaurant neu zu denken, wurde durch Covid aber noch einmal befeuert, denn die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Gäste im Baur au Lac wurde in den letzten Jahren wieder länger, was auch dazu führt, dass Besucher ein- oder mehrmals im Restaurant essen gehen. Und: Der Charakter der globalen Sternegastronomie, bei dem das Ambiente und die Stimmung oft in den Hintergrund rücken, um den Fokus auf das Essen zu schärfen, erschien der Unternehmerfamilie in gewisser Weise aus der Zeit gefallen. „Junge Gäste wünschen sich eine entspannte und leichtfüssige Gastronomie“, so Marguita Kracht. „Andächtige Restaurantbesuche mit Fokus auf das Menü passen nicht mehr zum Zeitgeist.“
Kürzere Menüfolgen und eine lockere Atmosphäre sollen her – im Gegenzug verzichtet das Hotel zukünftig auf Sterne und Gault-Millau-Punkte. Dieser radikale Schritt stiess nicht nur auf positives Feedback: Gastro-Kritiker waren durchaus verwundert, und auch verärgert. Auch die Medien schüttelten im übertragenen Sinn den Kopf: „Wie kann es sein, dass das Hotel auf Sterne und Punkte einfach so verzichtet?“, schrieb etwa die Gratiszeitung 20 Minuten, und die Boulevardzeitung Blick fragte: „Warum verzichtet ein so renommiertes Haus auf eine Küche, die jahrelang Erfolg hatte?“
Doch die Eigentümer haben diese Entscheidung keineswegs leichtfertig getroffen. Zwar will Andrea Kracht keine konkreten Zahlen nennen, doch er sagt, dass der Umbau „hohe Investitionen“ umfasst. Er argumentiert dann relativ emotionslos: „Unser Hotelgast kennt die Sterneküchen der Welt – er kommt nicht ins Baur au Lac, um im Pavillon zu essen. Unsere Gäste gehen eher in Restaurants, in denen eine gute Stimmung herrscht.“
Auch deswegen wurde erneut Martin Brudnizki die Innenarchitektur anvertraut. Der Schwede hatte bereits zuvor nicht nur die hauseigene Brasserie Baur’s entwickelt, sondern auch das Annabel’s in London oder das The Beekman in New York. „Da geht es nicht nur um die Ästhetik, sondern auch um das Layout des Restaurants, das Licht und vieles mehr“, so Kracht. Es sei essenziell, dass die Qualität stimmt –„unsere Kundschaft sieht das sofort“.
Als der gebürtige Österreicher Johannes Baur 1844 ein Hotel am Ufer des Zürichsees eröffnete, glich das einer Sensation. Er hatte sich bereits sechs Jahre zuvor mit dem Hotel Baur einen Namen gemacht, setzte mit dem Baur au Lac aber noch ein Ausrufezeichen. Es war das erste seiner Art in einer solchen Lage und setzte von Anfang an auf sehr hohen Standard. Das Hotel diente wohlhabenden Menschen als Zufluchtsort; quasi als Villa, in der sie ungestört und ungesehen nächtigen konnten. Es war das erste solche Haus am Zürichsee und zog auch internationale Aufmerksamkeit auf sich – nicht zuletzt wegen der Grösse. Die internationale Presse berichtete vielfach vom neuen „Riesengasthof“, wie etwa die Augsburger Allgemeine Zeitung das Haus bezeichnete.
Das Hotel Baur au Lac setzte von Anfang an auf höchste Qualität, profitierte aber auch von klugen Schachzügen des Gründers. So setzte sich Johannes Baur dafür ein, die Bahnhofstrasse nicht nur zu bauen, sondern diese auch bis an den See zu verlängern – praktischerweise direkt bis zu seinem Hotel. Zu den Gästen zählten früh auch zahlreiche Monarchen aus Europa und der Welt, darunter etwa die österreichische Kaiserin Elisabeth („Sisi“). Viel später kehrten auch Berühmtheiten wie Sophia Loren, Audrey Hepburn oder Brigitte Bardot im Hotel Baurau Lac ein. Zu den Legenden rund um das Haus zählt etwa auch die Anekdote, dass Bertha von Suttner im Baur au Lac den schwedischen Industriellen Alfred Nobel überzeugte, den Friedensnobelpreis ins Leben zu rufen.
Auch heute hat das Haus eine durchaus prominente Kundschaft, und auch die Eigentümerfamilie ist die gleiche geblieben. Zwar nahm die Enkelin von Johannes Baur, Emmy, nach ihrer Hochzeit den Namen ihres Mannes Karl Kracht an, doch ist das Hotel bis heute in der Hand der Familie des Gründers. Ab den 1950er-Jahren wurde in das Haus im grossen Stil investiert, zudem kam ein Fokus auf den Weinverkauf hinzu, der heute rund ein Drittel des Umsatzes ausmacht (zwei Drittel entfallen auf den Hotelbetrieb). Dass die Fortführung des Hauses in Familienhand auch für die nächste Generation gesichert ist, liegt auch daran, dass sich Marguita Kracht „nie wirklich Gedanken darüber gemacht“ habe, nicht in den Familienbetrieb einzusteigen.
„Unser Hotel hat mich von Kindestagen an sehr geprägt“, so die Jung-Hotelière. „Ich hatte dann aber zum Glück die Möglichkeit, in anderen Unternehmen meine eigenen Erfahrungen zu sammeln.“ Kracht studierte Wirtschaft in Boston und lernte die Arbeitswelt bei Moët Hennessy in den USA und London kennen. „Der Wein- und Spirituosenbereich ist der Hotellerie natürlich sehr nahe, aber eben nicht mit den Operations eines Hotels vergleichbar“, so Marguita Kracht.
Um das Handwerk von der Pike auf zu erlernen, sammelte sie anschliessend im Lanesborough Hotel und der Hotelkette Aman Berufserfahrung, bevor sie Teil des Pre-Opening-Teams des Peninsula Hotel in London wurde – also mithalf, das prestigeträchtige Haus neu zu eröffnen. 2021 folgte der Einstieg in den Familienbetrieb. „Irgendwann hatte ich dann so viele Ideen, dass ich meinem Vater schon auf die Nerven ging“, erzählt Marguita Kracht mit einem Augenzwinkern. Denn die Tochter wollte vom Vater wissen, warum gewisse Dinge im Haus so gemacht würden und nicht auf die Art, wie sie es in anderen Hotels gesehen hatte – damit war sie schon voll im Geschäft gefangen.
„Bisher war das alles sehr fluid“, sagt Kracht junior auf die Frage, wann sie ihren Vater denn endgültig ablösen würde – und mit Blick auf ihren Vater, der viele Jahre lang auch Chairman der Leading Hotels of the World war, einer Allianz von Luxushotels, der auch das Baur au Lac angehört: „Es ist doch schön, eine Passion zu haben, die man ein Leben lang ausüben kann.“
O bwohl so viel Veränderung im Haus zu sehen ist, werden sich gewisse Dinge nicht ändern – denn das Baur au Lac will sich stetig verändern, ohne dabei jedoch vom eigenen Weg abzukommen. Auf Expansionspläne angesprochen winkt Andrea Kracht ab: „Wir hatten viele Anfragen. Wenn wir unseren Standard bezüglich Service, Qualität und Lage aber halten wollten, müssten wir ein Hotel wie das Ritz in Paris, das Beau-Rivage in Genf oder das Sacher in Wien übernehmen. Und das lässt sich heute eigentlich nicht mehr bezahlen, denn die Kaufsumme wäre so hoch, dass der Ertrag dem Kaufpreis einfach nicht mehr entspricht. Wir würden das ja langfristig machen wollen und nicht kurzfristig wieder verkaufen.“
Und seine Tochter ergänzt einen weiteren Aspekt, warum eine Expansion auf mehrere Standorte nicht mit der Familienphilosophie vereinbar wäre: „Wir sind als Familie sehr präsent im Haus. Wenn wir ein zweites Haus in einer anderen Stadt hätten, könnten wir diese Präsenz nicht mehr zeigen. Dann kann man die Zeit im Haus einfach nicht verbringen, die es auch braucht, um diese langfristigen strategischen Entscheidungen zu treffen.“ Wann der Staffelstab also endgültig übergeben wird, ist somit noch nicht entschieden.
All jene, die darauf warten, dass Andrea Kracht aus dem Geschäft aussteigt – und sich vielleicht wie damals Hotelgründer Johannes Baur nur noch um seinen Gemüsegarten kümmert –, müssen sich also noch gedulden. In jedem Fall ist die Zukunft des Luxushotels am Zürichsee durch den Eintritt von Marguita Kracht und die Tatsache, dass das neue Restaurant ihren Namen tragen wird, gesichert. Und: Die achte Generation der Hoteliersfamilie hat auch schon das Licht der Welt erblickt.
Das Hotel Baur au Lac wurde 1844 vom Österreicher Johannes Baur in Zürich gegründet. Heute führt Marguita Kracht das Haus mit ihrem Vater Andrea Kracht in siebter Generation.
Fotos: Dirk Bruniecki