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Bei Hedgefonds herrschte lange das Prinzip des „Survival of the Fittest“. Doch der Markt hat sich seit seiner Entstehung stark verändert. Gibt es überhaupt noch einen Wettbewerb unter den Stärksten?
Es ist eine der Ironien der Finanzgeschichte. Alfred Winslow Jones studierte an der marxistischen Arbeiterschule in Berlin, kämpfte gegen die Nationalsozialisten und arbeitete verborgen für eine leninistische Organisation. Im Rahmen seiner journalistischen Tätigkeit gelang er zur Erkenntnis, eine Strategie für das Geldverdienen zu finden –gleichgültig, wie sich die Börsenkurse entwickelten und gründete die kapitalistischste Form aller Fonds: den Hedgefonds. Mit George Namur, Professor für Finance an der Londoner UCL School of Management und Risikoberater für Hedgefonds, sprach Forbes darüber, wie sich die Branche seit 1949 verändert hat und ob ein vollautomatisierter Hedgefonds bald Realität werden könnte.
Der Markt im Wandel
Die Funktionsweise von Hedgefonds ist ausgeklügelt und zugleich recht einfach: Man kauft vielversprechende Aktien ein, leiht sich weniger vielversprechende und betätigt Leerverkäufe –„short selling“ genannt. So sicherten sich Hedgefonds seit ihren Anfängen zumindest teilweise gegen Rückschläge ab – auf Englisch „hedge” genannt. Dieser Mechanismus lässt sich auf viele Anlageformen wie Swaps, Obligationen und Futures anwenden und miteinander mischen. Zu den Wetten auf Kursentwicklungen wird Fremdkapital hinzugezogen, um die Rendite stärker steigen zu lassen. Geht die Prognose auf, beziehen die Kapitalgeber und Manager überproportional hohe Rendite. Durch die hohen Profite wurden Hedgefonds im Laufe der Geschichte für institutionelle Anleger immer interessanter. 2014/15 zählten laut dem Datenanalyseunternehmen Preqin öffentliche Pensionsfonds mit 25 Prozent, Staatsfonds mit 16 Prozent, Pensionsfonds aus dem Privatsektor mit 15 Prozent sowie Vermögensverwalter mit 12 Prozent (den Rest machen Family Offices, Banken und Versicherungen aus) mit über einer Milliarde US-$ Volumen zu den grössten Kapitalanlegern in Hedgefonds.
Um die benötigten Auszahlungen für Stiftungen, Grossinvestoren und Pensions- und Staatsfonds tätigen zu können, benötigten diese die Margen der Hedgefonds. Daher setzte ein Boom ein. Doch bis 1990 führten Hedgefonds ein Schattendasein am Finanzmarkt: Rund 600 Hedgefonds waren zu dieser Zeit tätig, Ende 2015 waren es bereits mehr als 10.000. Die Mehrheit des Geldes kommt jedenfalls von institutionellen Anlegern. Wird diese Zahl in Zukunft noch grösser werden? Professor Namur beruhigt – gegenwärtig würde sich der Markt konsolidieren. „Heute muss mehr denn je zwischen Hedgefonds-Managern unterschieden werden, weil sich alle überschaubaren Strategien bedienen. Fonds, die sich nicht an neue Marktbedingungen anpassen, bei denen Algorithmen eine geringe Rolle spielen und ihre Strategien nicht durch künstliche Intelligenz (KI, Anm.) ergänzt werden, werden mit Sicherheit aus dem Spiel gedrängt. Die Hedgefonds-Branche fügt immer wieder neue aufstrebende Manager hinzu und verliert unterdurchschnittliche Leistungsträger. Das erklärt, warum in jüngerer Zeit die Zahl der Hedgefonds nicht stetig steigt.” Dennoch, obwohl nur der Stärkste zu überleben scheint, wuchs die Zahl der Hedgefonds sowie das von ihnen verwaltete Geldvolumen in den vergangenen Jahren gewaltig an. Dem Datenanbieter Statista zufolge verwalteten Hedgefonds im Jahre 2000 etwas weniger als 500 Milliarden US-$ – heute sind es mehr als 3,2 Billionen US-$.
Hedgefonds-Strategien
Die vorhandenen Hedgefonds-Strategien sind überschaubar. Dabei gehört Long-Short zu den Klassikern: Man kauft unterbewertete Aktien (Long-Position) und verkauft gleichzeitig die überbewerteten leer (Short-Position). Die Global Macro-Strategie ist da schon komplizierter – und gilt als Königsdisziplin. Die Finanzexperten kalkulieren hier wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Entwicklungen in ihren Berechnungen mit ein und investieren gezielt nach oben oder nach unten – natürlich unterfüttert mit genügend Fremdkapital. Die Event-Driven-Strategie wettet auf das Momentum von Fusionen oder Übernahmen von Unternehmen – und dessen Scheitern. Bei der Trendfolgestrategie wird durch Investments in Futures auf Preisentwicklungen an den Terminmärkten für Rohstoffe, Devisen oder Agrarprodukte spekuliert.
Die marktneutrale-Strategie hingegen setzt auf Zins- und Preisdifferenzen von verschiedenen Handelsplätzen und Wertpapieren. Für die meisten dieser Strategien sind schnelle Rechner notwendig, weil ein Mensch die Faktoren und Berechnungen in dieser Geschwindigkeit nicht kalkulieren kann. Ist damit das Zeitalter der vollständig quantitativen Hedgefonds ausgebrochen? „Im Hinblick auf die Digitalisierung ist der Trend zur Quantifizierung zwar unbestritten, wird aber unterschiedliche Strategien in unterschiedlichem Masse beeinflussen. Letztendlich fliesst das Geld nicht wegen der Nutzung der Digitalisierung in einen Fonds, sondern wegen der risikoaversiven kurz- und langfristigen Performance”, sagt Namur.
Lernende Maschinen
Doch wenn es um die grösstmögliche Verringerung des Risikos geht, müssen die Strategien künftig doch eigentlich von Rechnern übernommen werden – zumal diese die Berechnungen am besten durchführen können? Denn eine lernende Maschine, die darauf programmiert ist, wann sie kaufen und verkaufen soll – und alle denkmöglichen Faktoren mit einbezieht und in Millisekunden entscheidet, könnte doch das Risiko auf Null setzen? „Das ist eine interessante Frage. Viele der bestehenden Strategien – wie Futures/CTA-Strategien, HFT (Hochfrequenzhandel, ein mit Computern betriebener Handel mit Wertpapieren, der sich durch kurze Haltefristen und hohen Umsatz auszeichnet, Anm.), Pair Trading (der Handel mit Paaren ist eine marktneutrale Handelsstrategie, die es Händlern ermöglicht, von nahezu allen Marktbedingungen zu profitieren: Aufwärtstrend, Abwärtstrend oder Seitwärtsbewegung, Anm.), Fixed Income Arbitrage (umfasst die Ermittlung und Nutzung von Ineffizienzen bei der Bewertung von Anleihen, das heisst, von Instrumenten öffentlicher oder privater Emittenten, die einen vertraglich fixierten Einkommensstrom liefern, Anm.) oder sogar Convertible Bond Arbitrage (eine Strategie, die darauf abzielt, die Preisfestsetzung zwischen einer Wandelanleihe und der zugrunde liegenden Aktie zu nutzen, Anm.) werden zunehmend quantitativ und von künstlicher Intelligenz durchdrungen werden. Unternehmungen, die auf Emotionen oder soziale Intelligenz angewiesen sind, werden am wenigsten von technologischen Fortschritten betroffen sein wie zum Beispiel bei der Risikoarbitrage (eine Handels- oder Investmentstrategie bei der der Anleger versucht, die üblicherweise positive Preisdifferenz zwischen Angebotspreis und Aktienkurs bei öffentlichen Firmenübernahmen auszunutzen, Anm.). Die jungen quantitativen Fonds, verlassen sich stark auf künstliche Intelligenz als ihre Kernstrategie bei der Risikoüberlagerung. Jedoch muss maschinelles Lernen (ein Anwendungsbereich von KI, der darauf basiert, dass Maschinen anhand von Daten selbstständig dazulernen, Anm.) erstmal beweisen, dass es einen Mehrertrag darstellt. Vielleicht muss die Art und Weise, wie Informatiker diese nutzen, weiterentwickelt werden, bevor dies zu einem Erfolg wird. Historische Evidenzen dafür gibt es noch nicht.“
„Menschenleere“ Hedgefonds
Namur ist jedenfalls überzeugt, dass durch KI neue Strategien aufkommen – und gegenwärtige Strategien ihre Relevanz verlieren werden. Aber was rät der Finance-Professor den milliardenschweren Hedgefonds konkret? „Sie sollen sich die gesamte Palette der Risiken ansehen, denen sie ausgesetzt sind. Nicht nur die Markt- und Strategierisiken, sondern auch die Gefahren zu veralten, weniger und schlechter zu arbeiten, sind relevante Faktoren.” Sollte dies wirklich so kommen, stellt sich die Frage, welche Berufstypen in Zukunft in der Branche tätig sein werden – braucht es den Menschen dann noch oder übernimmt seine Tätigkeiten ohnehin die Maschine? Namur schmunzelt kurz: „Selbst bei Strategien, bei denen die endgültige Entscheidung von einem Menschen getroffen wird, wird künstliche Intelligenz ein immer grösserer Bestandteil werden. Seit heute kämpfen nicht nur Menschen darum, risikobereinigte Renditen zu erzielen – sondern auch Maschinen.”
Geht es nach Namur, wird es dennoch verschiedene Talente in einem Team brauchen: „Ich glaube, dass der Anteil der Informatiker, Mathematiker, Statistiker, KI-Experten und Ingenieure stetig steigen wird.” Die geheime Zutat des (künftigen) Erfolgs scheint somit die ständige interne Veränderung zu sein. „Was heute funktioniert, funktioniert morgen vielleicht nicht mehr. Daher hat maschinelles Lernen im Vergleich zu regelbasierten Algorithmen so viel Potenzial. Es ist nicht so sehr der Code, der zählt – es ist das Team hinter dem Code. Aus diesem Grund zahlen Hedgefonds ihren Entwicklern viel Geld, um sie zu halten. Man wird auch weiterhin Menschen mit einem guten Händchen für Finanzen brauchen. Die Mischung der verschiedenen Disziplinen, die für den Mehrertrag nötig sind, wird den Erfolg ausmachen.” Es bleibt also abzuwarten, inwiefern Namurs Prognosen die Finanzwelt tatsächlich umkrempeln werden.
Text: Muamer Bećirović