WERTE ALS WÄHRUNG

Mit der Value Balancing Alliance, einem Zusammenschluss von Grosskonzernen aus Deutschland und der Welt, hat BASF-Vorständin Saori Dubourg Grosses vor: Ihr Ziel ist es, einen neuen Reporting-Standard zu etablieren, der den Wert der Wirtschaft für die Gesellschaft besser abbildet.

Saori Dubourg hat in ihrer Karriere schon einiges gesehen. Vor 25 Jahren trat die heute 50-Jährige in den deutschen Chemiekonzern BASF ein – 1996, in dem Jahr, in dem das erste Klonschaf geboren wurde, in dem Bill Clinton als US-Präsident wiedergewählt wurde, in dem die Deutsche Telekom erstmals an die Börse ging. Ein Vierteljahrhundert später ist Dubourg noch immer bei BASF tätig, mittlerweile als Vorstandsmitglied, und dort verantwortlich für die Bereiche Agricultural Solutions, Nutrition & Health sowie Care Chemicals.

Doch die Managerin ist sich sicher, dass die nächsten 25 Jahre fundamental anders aussehen werden als die vorangegangenen. „Wir sind mitten in einem Paradigmenwechsel – vom Zeitalter der Globalisierung in eine Zeit der klugen Ressourcennutzung. Die neue Dekade bedeutet eine Transformation von Mengenwachstum in Richtung eines ganzheitlichen Wertbeitrags. Hier liegt die enorme Chance, wenn wir unseren Wert­beitrag für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft auf allen Ebenen durchdenken.“ Die vor uns liegende „Ressourcenwirtschaft“, wie sie Dubourg auch nennt, bedeute für Grosskonzerne, im bevorstehenden Wandel klug zu navigieren: „Es gibt viele Unternehmen, auch in Deutschland, die diesen Wandel sehr aktiv gestalten. Wir zumindest sind da sehr klar“, so die Vorständin.

Doch Dubourg will auch über BASF hinaus agieren: „Wir haben uns schon vor über zehn Jahren mit der Frage, welchen wahren Wert Unternehmen eigentlich schaffen, beschäftigt, und haben dann schnell festgestellt, dass dieses Thema auch viele andere Unternehmen intensiv beschäftigt. Das war der Anfang der Value Balancing Alliance.“

2019 gründete das Unter­nehmen daher gemeinsam mit namhaften Partnern – darunter der Automobilhersteller Porsche, der Industriekonzern Bosch und der Schweizer Zementhersteller Holcim – die Value Balancing Alliance (VBA). Die Initiative hat sich ein grosses Ziel gesetzt: Die VBA will einen neuen Reporting-Standard bei der Bilanzierung von Unternehmen etablieren. Dabei sollen neben finanziellen Grössen wie Umsatz, EBITDA oder Jahresgewinn auch über das eng definierte eigene Wirtschaften hinausgehende Wertbeiträge der Unternehmen abgebildet werden. Ganz konkret könnte das etwa einen Umwelt­score bedeuten, in dem die Umweltkosten, die Unternehmen ver­­ursachen, ausgewiesen sind. Auch ein Social-Impact-Score ist angedacht: Dabei berechnen Unternehmen, wie viel Kaufkraft durch die von ihnen ausbezahlten Löhne in der Gesellschaft generiert wird.

„Werte werden zu unserer neuen Währung“, sagt Saori Dubourg, Vorständin beim Ludwigshafener Konzern BASF.

Ganz neu ist das Thema freilich nicht – Unternehmen über­legen seit vielen Jahren, wie sie über den Finanzerfolg hinausgehende Aktivitäten und Wertschöpfung bilanziell abbilden können. Neben der Dokumentation der eigenen CSR-Aktivitäten in Geschäftsberichten publizieren viele Konzerne auch Nachhaltigkeitsberichte. Doch diese finden nicht unter einer gemeinsamen Definition statt, Standardisierung und Vergleichbarkeit fehlen völlig. Das führt dazu, dass quasi jedes Unternehmen seine eigenen Zahlen und Messarten verwendet. Um das zu vermeiden, ist das Ziel der VBA, vergleichbare Standards zu etablieren. Dazu wird auf stra­tegischer Ebene mit dem Inter­national Business Council (IBC) kooperiert. Während das IBC bereits Kennzahlen in diesem Bereich erarbeitet hat, setzt die VBA noch eine Ebene tiefer an und will die Standards auf monetärer Ebene abbilden. Das heisst: Der Social-­Impact-Score könnte dann ein ganz konkreter Eurobetrag pro Unternehmen sein. Auch die umweltrelevanten Aktivitäten der Unternehmen könnten dann weitreichender ausgewiesen werden: Statt nur die CO2-Emissionen zu berechnen, würden etwa auch weiterführende Kosten einbezogen. Welche finanziellen Folgen haben erhöhte CO2-Emissionen auf das Klima – und damit einhergehende Unwetter?

Dubourg erkennt jedoch an, dass diesem Ansatz auch gewisse Grenzen gesetzt sind. Themen wie die Würde des Menschen lassen sich beispielsweise nicht monetär abbilden, so die Vorständin. Doch der Effekt, den Ausbildung und Fortbildungsmassnahmen in Unternehmen auf das Humankapital einer Gesellschaft haben, sei wiederum sehr wohl quantifizierbar.

Saori Dubourg
...studierte Betriebswirtschaft an der Universität Trier. Nach ihrem Abschluss startete sie ihre Karriere bei BASF. Sie durchlief Stationen in den USA, Japan und Singapur, bevor sie 2004 an den Konzernsitz in Ludwigshafen zurückkehrte. Seit 2017 ist Dubourg Vorstandsmitglied bei BASF – sie verantwortet die Themen Agricultural Solutions, Nutrition & Health sowie Care Chemicals.

Für Dubourg könnte die Einführung des neuen Standards Vergleichbarkeit und Bewertbarkeit auf einem ganz neuen Niveau mit sich bringen. Das würde auch zu Umwälzungen an den Kapital­märkten führen: „Es geht nicht nur um die Messung, sondern damit verbunden auch um eine komplett andere Art der Kapitalallokation. Das ist wirklich radikal neu. Dieses Thema müssen wir mit Geduld und Zähigkeit weiterentwickeln.“

Zu 90 % finanziert sich die VBA aus Mitgliedsbeiträgen der Unternehmen, die pro Partner zwischen 50.000 und 100.000 € liegen; 10 % stammen aus einer Förderung der Europäischen Union. Das Geld, das von den Unternehmen kommt, sei aber weniger wichtig als das Commitment, das diese abgeben müssen – denn lediglich für ­Marketingzwecke solle niemand ­teilnehmen, so Dubourg. Vielmehr investieren die Unternehmen auch Personalressourcen: BASF stellt neben Dubourg etwa auch den CEO der VBA, Christian Heller, der zuvor als Senior Manager in der BASF-Einheit Sustainability Strategy tätig war. Und sie investieren Zeit, um die erarbeiteten Standards in Pilotversuchen zu testen. Das sei ein Alleinstellungsmerkmal, so Dubourg: „Wir sind wahrscheinlich die einzige Initia­tive, die in diesem Bereich ­echte Pilotierungserfahrung hat.“ Neben europäischen Unternehmen sollen auch globale Konzerne an Bord geholt werden. Zuletzt wurden etwa der Mischkonzern SK Group sowie der Finanzdienstleister Shinhan, beide aus Südkorea, in den Kreis der Partner aufgenommen.

Für die Mitglieder der VBA scheint klar, dass die grossen Herausforderungen unserer Zeit, allen voran die Klimakrise, Lösungen benötigen – und zwar auf allen Ebenen. „Wir können nicht mit der Betriebswirtschaft des letzten Jahrhunderts die Herausforderungen der nächsten Dekade lösen, sondern müssen über den Tellerrand blicken und neu über Impact nachdenken“, sagt Dubourg. Dass die eigene Initiative nur ein Teil­aspekt im Rahmen eines funda­mentalen Wandels ist, steht für die Managerin jedenfalls fest: „Werte werden zu unserer neuen Währung.“

Text: Klaus Fiala
Foto: BASF

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 7–21 zum Thema „Smart Cities“.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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