Wenn Information zur Waffe wird

Die Verteidigungsindustrie erlebt inmitten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine das, woran sich andere Branchen jahrelang abarbeiten: einen radikalen Image­wandel. Das Wiener Scale-up Rocfortis liefert Analysen und digitale Lösungen für Regierungen und Konzerne, die Risiken navigieren. Zwischen Business-Case und Bedenken stellt sich die Frage: Wie viel Sicherheit verträgt die Freiheit?

Das Thema Verteidigung ist zurück im öffentlichen Bewusstsein – die Profiteure dieses Wandels sind Rüstungskonzerne wie Hensoldt und Rheinmetall, deren Aktienkurse im dreistelligen Bereich zugelegt haben. Aber auch neue Akteure haben sich ihren Weg aufs Parkett gebahnt, darunter das Softwareunternehmen Helsing aus München. VC-Gelder folgen – der 2023 aufgelegte NATO Innovation Fund stellt insgesamt eine Mrd. US-$ (845,5 Mio. €) für die Investition in Start-ups zur Verfügung, die Dual-Use-Technologien entwickeln; also Soft- und Hardwareprodukte, die sowohl zivile als auch militärische Zwecke erfüllen. In dieser Welt ist auch das Wiener Start-up Rocfortis tätig: Es hilft Unternehmen, Exportlizenzen für Dual-Use-­Güter zu gewinnen. Das sei die häufigste Anfrage, die das Unternehmen erhalte, erklärt Beiratsvorsitzender Stefan Embacher.

Kunden, die diese Anfrage stellen, hoffen vor allem auf eine Ressource: Informationen. Rocfortis hat sich seit seiner Gründung 2020 darauf spezialisiert, Daten für Sicherheit und Überwachung bereitzustellen. Dafür wirkt die Unternehmenszentrale überraschend einladend: Wer sich von der unbeschrifteten Eingangstür nicht abhalten lässt, tritt in verglaste Räume; Datenströme flimmern über Monitore. Sechs Unternehmen sind hier unter dem Dach der Holding gruppiert. Sie decken unterschiedliche Komponenten eines Kreislaufs aus Informationsbeschaffung, -analyse und -verbreitung ab. „Wir nutzen den Begriff ‚Intelligence Cycle‘“, sagt Embacher. Er fungiert zusätzlich zu seiner Vorstands­funktion als General Manager des Tochter­unter­neh­mens Foreus Intelligence. Andere Unternehmen der Rocfortis-Gruppe sind u. a. das auf physische Sicherheitslösungen spezialisierte Secfortis und C 24 Advisory, das in der Sicherheitsberatung und Rüstungsbeschaffung tätig ist. Rocfortis als Holding verantwortet das Marketing, den Vertrieb und die rechtlichen Angelegenheiten. Insgesamt sind rund 70 Mitarbeiter in Berlin, Istanbul, London und an verschiedenen Standorten in Österreich für die Rocfortis-Gruppe tätig.

Die grösste Herausforderung ist es, Kunden zu finden, die unseren Ansatz verstehen.

Stefan Embacher

Am meisten Umsatz erzielt das Unternehmen damit, seine Dienstleistungen Regierungen zur Verfügung zu stellen – nach eigener Aussage 50 %. Darunter fallen die Weitergabe von Sicherheitsinformationen, Bedrohungsanalysen und die Entwicklung von Hard- und Software. Weitere 40 % des Umsatzes stammen aus dem Geschäft mit Grossunternehmen aus dem DACH-Raum. (Ein Fallbeispiel: Ein Logistikunternehmen aus der Schweiz ist in Laos aktiv, kämpft dort aber mit ­Lieferverzögerungen. Rocfortis identifiziert für das Unternehmen sichere Routen, kommuniziert mit den Zollbehörden und stellt eine digitale Tracking-Lösung auf.) Die verbleibenden 10 % sind regulatorische Kunden, darunter Steuerberater und Kanzleien. Sie benötigen zum Beispiel ­Informationen, um Insolvenzen mit länderübergreifenden Vermögenswerten zu bearbeiten.

Ab November dieses Jahres will Rocfortis auch private Endkunden erreichen. Embachers Vision? „Lücken­lose Überwachung“, sagt er. 70 Millionen ­Kameras sollen dafür in eine neue App namens Navq eingebunden werden. Es sind öffentliche Kameras, aber auch solche, die Privatpersonen ohne Passwort installieren. Sie sollen von der App ausgewertet werden, um den Nutzern eine Analyse der weltweiten Gefährdungslage in Echtzeit zu liefern. Was die rechtliche Lage betrifft, bleibt Embacher eine Auskunft schuldig. „Die Vision von Navq ist, dass wir alles, was wir im Dienstleistungsbereich seit fünf Jahren machen, kompakt in einer App darstellen“, so Embacher. Damit ist die geplante Einführung der App auch eine Rückkehr zu den Wurzeln des Unternehmens: Kurz nachdem Embacher und der jetzige Geschäftsführer der Holding, Georg Coester, das Unternehmen gegründet hatten, begannen sie, Risikoanalysen für Konzerne durchzuführen. „Dafür haben wir intern ein System aufgebaut, das schnell Standardberichte zu verschiedenen Ländern liefert, auf denen wir aufbauen können“, so Embacher. Daraus sei die Idee entstanden, eine Handy-App zu entwickeln. Nach Embachers Angaben wird sie in drei unterschiedlichen Modellen zur Verfügung stehen – mit monatlichen Kosten zwischen fünf und 70 €. „Die Hauptziel­gruppen sind Personen aus dem Militär, dem Sicherheitsbereich sowie dem Journalismus – und alle, die viel auf Reisen sind, speziell auch in Krisengebieten“, so Embacher.

Dass das Unternehmen damit einen nennens­werten Umsatzstrom generiert, scheint unwahrscheinlich. ­Vermutlich ist das aber auch gar nicht nötig. Viele Rocfortis-Kunden stammen aus der Golfregion, die dank Investitionen in Technologie und erneuerbare Energien einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Embacher gerät ins Schwärmen, wenn er von Robotik und Transportwegen spricht: „Deshalb sind wir auch eher im arabischen Raum tätig – dort gibt es Visionen mit einem Zeithorizont von 50, von 100 Jahren“, so Embacher. Die staatlichen Behörden, mit denen Rocfortis zusammenarbeitet, stammen aus Südostasien, Afrika und dem Balkanraum. EU-Regierungen zählt Rocfortis nicht zum Kundenstamm. „Die grösste Herausforderung für unser Geschäftsmodell ist es, Kunden zu finden, die unseren Ansatz verstehen“, so Embacher.

Embacher, gebürtiger Salzburger, trat nach dem Wehrdienst als Berufsunteroffizier in das österreichische Bundes­heer ein. Auf acht Jahre beim Bundesheer ­folgten drei Jahre beim Softwareentwickler ­Palantir; die Analysesoftware des US-Unternehmens wird in Teilen Deutschlands bereits für die Verbrechens­bekämpfung eingesetzt, sorgt aber auch für massive Kritik aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken. Für Embacher war immer klar, dass er etwas Eigenes schaffen möchte: „Beim Heer sind die Hierarchien glasklar, da gibt es kein links und rechts. Ausserhalb davon ist es mir immer schwergefallen, mich unterzuordnen“, erzählt er.

Sein Unternehmen ist bisher rein organisch gewachsen, doch das könnte sich mit der Entwicklung der Navq-App ändern. Ein öffentlichkeitswirksames Detail: Navq soll die Persönlichkeitsprofile von Würden­trägern weltweit analysieren. „Unsere App wird die Wahrscheinlichkeit angeben, mit der Drohungen in den Medien Wirklichkeit werden“, so Embacher. Wer sich endlich Klarheit rund um US-Präsident Donald Trumps Drohgebärden erhofft, dürfte allerdings enttäuscht ­werden – der US-Präsident ist ausgenommen. Nicht einmal Rocfortis möchte jedes Risiko eingehen, scheint es.

Anmerkung: Nach Erscheinen des Artikels teilte Rocfortis mit, dass in der Navq-App Profile über alle Staatschefs verfügbar sind – auch Donald Trump.

Fotos: Gianmaria Gava

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