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Der "Vater" von Opera über seine Browser-Neugründung Vivaldi und die Zukunft des Internets.
Über 20 Jahre ist Jon von Tetzchner nun schon im Internet-Business. Als Gründer von Opera Software hat er ein Stück der Geschichte des Webs mitgeschrieben. Warum er dem Unternehmen den Rücken kehrte und wie er über das Ökosystem heute denkt, hat uns der Isländer am Rande des Web Summit in Lissabon erzählt.
Auf den ersten Blick wirkt Jon von Tetzchner zurückhaltend. Die 20 Jahre Erfahrung, die der 50-jährige, gross gewachsene Isländer und Web-Pionier auf dem Buckel hat, lässt er nicht raushängen. Einige Male wird unser Interview in Lissabon unterbrochen, weil ihn Besucher der Tech-Konferenz erkennen und ihm ihre Wertschätzung für das von ihm Geleistete aussprechen wollen. 1995 gründete von Tetzchner gemeinsam mit Geir Ivarsøy Opera Software, den Entwickler eines der erfolgreichsten „alternativen“ Browser (siehe Grafik Seite 75). Vor allem die mobile Version verhalf Opera vor rund einer Dekade zu grosser Bekanntheit – sie beschleunigte Downloads durch ihre Kompressionstechnologie. Damals war von Tetzchner CEO. 2004 ging das Unternehmen dann an die Osloer Börse. „Opera ist weit gekommen und eine Börsennotierung wird uns mehr Flexibilität verleihen, unsere Position als ein führendes Unternehmen auf dem Internetmarkt auszubauen“, sagte von Tetzchner damals dazu.
2010, nur sechs Jahre später, stellte Opera überraschend einen neuen CEO vor: Lars Boilesen. Aus der Firmenzentrale hiess es, von Tetzchner werde sich ab sofort um die langfristige strategische Ausrichtung der Firma kümmern. Boilesen sollte ihn als zahlengetriebener Manager ergänzen. 2011, nur ein Jahr später, verliess von Tetzchner überraschend das Unternehmen. Der Grund: Auffassungsunterschiede mit dem Vorstand. Er und das Management-Board vertreten unterschiedliche Werte, schreibt er damals in einer E-Mail an die Mitarbeiter. Das Board hätte eine stärkere Ausrichtung auf die Quartalskennzahlen; er hingegen auf die langfristige Zukunft der Firma. Damals hält von Tetzchner rund zehn Prozent der Aktienanteile. Heute, sagt er, hat er keine mehr. 2016 bot ein Konsortium chinesischer Internetunternehmen rund um die Sicherheitsfirma Qihoo 360, Golden Brick Silk Road Fund Management, den Mobile-Games-Hersteller Beijing Kunlun Tech und Yonglian Investment an, Opera für 1,2 Milliarden US-$ zu kaufen. Seit 2015 war der Softwarehersteller auf der Suche nach einem Käufer – seitdem schrieb das Unternehmen auch hohe Verluste. Vorstand, Management und grössere Shareholder hielten damals 33 Prozent und sprachen sich – trotz Bedenken – für den Kauf aus. Im Juli 2016 wurde der Deal aber sowohl von China als auch den USA abgesagt. Regulatorische Fristen konnten nicht eingehalten werden. Die Investoren waren enttäuscht. Opera und das Konsortium reagierten, indem sie einzelne Teile des Geschäftes herauslösten. Schliesslich übernahmen die chinesischen Käufer das Browser-Geschäft.
All das beschäftigt von Tetzchner mittlerweile nicht mehr. Nach einer zweijährigen Auszeit von 2011 bis 2013 entschloss er sich, wieder zu gründen und wieder einen Browser
zu veröffentlichen: Vivaldi. Momentan steht das Unternehmen bei rund einer Million Usern und nimmt pro User rund einen US-Dollar jährlich ein.
Sie haben wieder ein Unternehmen gegründet, das einen Browser anbietet. Warum?
Seit ich denken kann, mache ich Browser. Nach meinem letzten Unternehmen dachte ich, dass ich mit dem Thema abgeschlossen hätte. Aber die Dinge haben sich seither geändert. Ich hatte das Gefühl, es gibt Bedarf für einen Browser wie Vivaldi, einen, der uns User als Individuen und nicht als Zahlen betrachtet. Das Prinzip von Vivaldi ist es, Software zu entwickeln, die Usern dabei hilft, das zu tun, was sie tun möchten. Wir bekommen sehr viel Feedback und arbeiten eng mit unserer Userbase zusammen, die dann wiederum hinausgeht und über Vivaldi spricht.
Wie hat sich Vivaldi entwickelt und wie funktioniert Ihr Geschäftsmodell?
Wir haben erst begonnen, zählen aber schon eine Million aktive Nutzer. Über Lesezeichen und die integrierte Suchfunktion machen wir rund einen Dollar Umsatz pro User. Das ist nicht sehr viel, aber solange wir genug User haben, ist das in Ordnung. Drei bis fünf Millionen brauchen wir, um die Gewinnschwelle zu erreichen. Danach können wir unsere Kraft ausschliesslich in Wachstum und Beliebtheit investieren. Das hat schon bei Opera funktioniert und wir hoffen, das wieder zu schaffen. Unsere Vision ist weniger finanziell getrieben. Wir wollen ein grossartiges Produkt entwickeln und profitabel sein.
In einem hart umkämpften Browsermarkt, der mehr zur Konzentration neigt (siehe Grafik, Anm.), wird das bestimmt eine der grössten Herausforderungen sein.
Ja, es ist nicht einfach. Wäre es das, gäbe es viel mehr Unternehmen in diesem Geschäft. Aber ich habe es schon einmal geschafft. Wir hatten damals (bei Opera, Anm.) jedes Jahr 40 bis 50 Prozent Umsatzwachstum und am Ende 350 Millionen User. (Das Unternehmen war auf Platz fünf der Browseranbieter und ist es auch heute mit rund fünf Prozent Marktanteil weltweit noch, Anm.). Ich glaube, es wird auch dieses Mal klappen.
Was braucht es, um ein guter Unternehmer zu sein?
Sturheit, in meinem Fall. Ich werde das oft gefragt, wie ich es mit den „Big Guys“ aufnehmen konnte und wie man erfolgreich sein kann. Ich halte das auch für eine vernünftige Frage, weil es ja nicht so viele Mitbewerber gibt, und wenn, sind diese dafür gross. Gleichzeitig heisst das aber auch nicht, dass wir diesen Wettbewerb gewinnen müssen. Nur weil ich ein Café eröffne, nehme ich es nicht gleich mit Starbucks auf. Diese Firmen nehmen uns ernst; Microsoft erwähnte uns in ihren Berichten als Gefahr in der Zukunft und Google hat versucht, uns zu stoppen. Irgendetwas haben wir richtig gemacht.
Sie haben sich schon sehr früh – seit Mitte der Neunziger – mit Browsern beschäftigt. Woher kommt diese Leidenschaft?
Es begann schon 1992. Ich nahm damals in einem Forschungslabor der norwegischen Telekommunikationsfirma Telenor eine Stelle an. Unser Job war es (mit Opera-Mitgründer Geir Ivarsøy, Anm.), nach interessanten Technologien Ausschau zu halten. Eines unserer letzten Projekte war es, ein Textverarbeitungsprogramm zu entwickeln. Wir fanden aber, einen Browser zu bauen wäre die bessere Idee – Telenor gab uns die Möglichkeit dazu und liess uns bei unseren Entwicklungen freie Hand. So konnten wir Opera starten. Wir waren damals wirklich bei den Anfängen des Webs dabei. Ich meine wirklich bei den Anfängen! Wir haben den ersten Webserver in Norwegen installiert – einer der ersten 100 weltweit. Wir haben auch ein Intranet eingerichtet, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Wir taten all diese Dinge, die man fürs Web braucht, und hatten immer den Kern im Auge: den Browser. Das hat sehr viel Spass gemacht. Wir hatten die Einstellung, dass wir einen besseren Browser als alle anderen machen können. Wir hielten sie damals nicht für besonders ausgeklügelt – sie waren okay. Natürlich haben wir nicht diese Entwicklung hingelegt wie andere, aber wir haben überlebt. Mosaic (der vierte Browser seiner Art, 1993 vom National Center for Supercomputing Applications veröffentlicht, Anm.) ist ein gutes Beispiel: Damals hatte der Browser 95 Prozent Marktanteil. Heute weiss niemand mehr, was Mosaic ist. Oder Netscape. In der Zeitspanne von unserem Start bis zu unserer ersten Finanzierungsrunde hat Netscape von anfänglicher Unbekanntheit über massive Beliebtheit an der Wall Street bis hin zum Untergang alles durchgemacht. Da kann man sich dann natürlich fragen, welche Firma man sein möchte … Ich habe lieber die mit kontinuierlichem anstatt exponentiellem Wachstum und Langlebigkeit anstatt einem schnellen Ende.
Die Urväter des Internets waren Überzeugungstäter. Mit zunehmendem Alter scheint sich dieses Ökosystem aber zu verändern. Was ist Ihre Motivation, nach wie vor daran teilzunehmen?
Das Internet ist essenziell; genauso, jedem Zugang dazu zu verschaffen. Das Wichtigste daran ist, sich an Menschen anzupassen. Wissen Sie, mein Vater war Psychologieprofessor mit einer Spezialisierung auf Kinder mit Behinderung. Also liegt es mir sehr nahe, jemanden verstehen zu lernen und etwas anzupassen. Das begleitet mich schon seit meiner Kindheit. Ich glaube, Technologie muss genau das leisten. Wenn wir Technologie entwickeln, müssen wir verschiedenste Bedürfnisse von unterschiedlichsten Menschen berücksichtigen. Es gibt nicht den einen richtigen Weg, sondern viele – bei Opera bedeutete das etwa, dass wir Opera Mini gebaut haben, um Menschen in Afrika und Indien dabei zu helfen, online zu gehen (Opera ist heute bei Browsern Marktführer in Afrika und der drittpopulärste in Indien, Anm.). Für die Menschen dort war das das Internet. Darauf bin ich nach wie vor sehr stolz. Man muss sich immer darauf ausrichten, dass Technologie dabei helfen soll, was man tun möchte.
Facebook und Google möchten auch die Menschen online bringen und Gutes tun …
Facebook kommt vielleicht woanders her. Teil des Problems bei Facebook ist ihr Geschäftsmodell. In vielerlei Hinsicht verbinden sie Menschen auf ganz wundervolle Art und Weise. Das Problem daran ist jedoch, dass sie die Informationen über uns verkaufen, die so nützlich dabei sind, uns zu vernetzen.
Gibt es eine Alternative zum omnipräsenten Sammeln und Verkaufen von Informationen?
Diese Modelle, die Facebook und Google verwenden, sind neu. So war es früher nie. Ganz am Anfang haben Nutzer einfach ein wenig Geld dafür gezahlt, um Software nutzen zu können. Das Modell, das wir jetzt haben, bedeutet, du bekommst die Software gratis und zahlst mit deinen Daten. Vivaldi ist auch kostenlos, trotzdem sammeln wir keine Daten. Wir müssen keine Daten sammeln. Google müsste das auch nicht, um die eigenen Dienste anbieten zu können. Google ist hauptsächlich die Suchfunktion – zumindest ist es das, was wir darüber wissen, denn die Haupteinnahmequelle ist Werbung. Google ist der grösste Werbeanbieter – und es würde reichen, Werbung einfach in Kombination mit dem Standort anzubieten; zumindest ist es das, was wir tun. So haben Apps früher funktioniert. Nun basieren sie aber auf dir, auf deinen Interessen, sie folgen dir, wo auch immer du hingehst. Das ist eine schlechte Entwicklung, weil es uns unserer Privatsphäre beraubt. Die Frage, die sich stellt, ist: Nur weil es gut für ihr Geschäft ist, muss das auch heissen, dass es gut für die Gesellschaft und uns ist? Ich würde Nein sagen. Ich glaube auch, Facebook sollte sein Geschäftsmodell etwas adaptieren. Sie könnten die Werbungen, die sie schalten, ein wenig losgelöster von uns Usern ausspielen; anders, als sie es heute tun. Sie könnten sich zum Beispiel am Kontext orientieren. Wie zum Beispiel: Man besucht eine Website und bekommt Produkte angeboten, die zu dieser Website passen. Auf der Website einer Zeitung bekommt man dann Tech-Werbung, wenn man im Tech-Ressort liest.
Seit den Anfängen des Webs hat sich viel verändert. Wohin wird es sich Ihrer Meinung nach in Zukunft entwickeln?
Viele der Entwicklungen heute sind legal passiert. Unternehmen brauchen Informationen über Kunden, um Services bereitstellen zu können. Aber sie zu benutzen und zu verkaufen, auf die Art und Weise, wie das heute passiert, ist nicht in Ordnung. Ich glaube, von gesellschaftlicher Perspektive aus betrachtet ist es mehr als wichtig, dass unsere Informationen nicht verkauft werden. Sie gehören uns. Ich würde eher sagen: Okay, wir haben hier ein paar Fehler gemacht, lasst sie uns wieder richten. Besinnen wir uns darauf zurück, diese fantastischen Services zu nutzen und uns trotzdem frei bewegen zu können. Wir brauchen sie, aber wir wollen nicht rund um die Uhr verfolgt werden. Das würde auch bedeuten, dass Anbieter aufhören, Informationen zu sammeln, die sie nicht brauchen. Gleichzeitig würde ich mir das Internet of Things (IoT, Anm.) genauer anschauen. Es hat sich in der letzten Zeit viel zu wenig entwickelt, dabei ist es eine unheimlich nützliche Technologie. IoT sollte nicht von bestimmten Firmen okkupiert, sondern standardisiert werden, sodass möglichst viele Unternehmen daran arbeiten können, auch kleinere. Aber auch hier sollten nicht alle Daten hinter einer grossen Mauer verschwinden.
Letzte Frage: Wie war es damals für Sie, Opera nach 17 Jahren zu verlassen?
Es war nicht leicht. Das Schwere daran war eigentlich, dass es nur um Profitabilität ging. Bei dem Versuch, die Firma zu verkaufen, wollten die Verantwortlichen ihren Wert auf dem Papier steigern und haben Leute gefeuert, dabei habe ich meine Mitarbeiter als Freunde gesehen. Sie gehen zu sehen war schlimm. Es war auch schlimm, zu sehen, was mit der Firma passiert. Da habe ich auch realisiert, dass ich den Schauplatz wechseln muss. Deswegen bin ich nach Boston in die USA gezogen. Ich habe überlegt, was ich jetzt machen soll. Ich begann, in Start-ups zu investieren, und dachte noch nicht wieder daran, Software selbst zu entwickeln. Das hat sich dann geändert. Mein Leben wurde also ein paar Mal auf den Kopf gestellt. Und ich bin froh darüber. Sonst wären wir nicht da, wo wir jetzt stehen.
Dieser Artikel ist in unserer Dezember-Ausgabe 2017 „Kapitalismus“ erschienen.