Was kostet das ewige Leben?

Altos Labs ist das am besten finanzierte Start-up der Welt: Drei Mrd. US-$ pumpten Investoren aus dem Silicon Valley in das Labor. Es soll Therapien zur Verjüngung von Zellen entwickeln – und die Medizin revolutionieren. Dafür versammelt der deutsche Molekularbiologe Wolf Reik ein „All-Star-Team“ der Wissenschaft.

Wolf Reik gerät nicht allzu schnell ins Schwärmen. Der 65-jährige Molekularbiologe ist ein ­erfahrener Wissenschaftler, seit einem ­halben Jahrhundert beschäftigt er sich mit den Wundern des menschlichen ­Organismus. Doch im Frühjahr 2022 bekommt Reik die Ergebnisse einer Laborstudie zur „Verjüngung“ von Hautzellen präsentiert – und kann kaum glauben, was er sieht. „Ich wäre fast dreimal vom Stuhl ge­fallen!“, erinnert sich der Professor.

Seinem Team am Babraham ­Institut in Cambridge war Sensatio­nelles gelungen: Es hatte die Hautzellen einer 53-jährigen Frau erfolgreich verändert und dadurch um 30 Jahre verjüngt. Das ­Gewebe entsprach der Haut einer 23-Jährigen. Die Möglichkeit, Zellen neu zu programmieren und zu erneuern, um dann altes oder krankes Zell­gewebe zu ersetzen, würde die ­Medizin revo­lutionieren; viele neue Therapien und Medikamente könnten dadurch entwickelt werden, ­viele Krankheiten wären besiegt, ja ausgelöscht. Und ein Traum der Menschheit wäre Realität: ein langes Leben bei bester Gesundheit.

„Es geht uns nicht darum, ein Elixier für das ewige Leben zu finden“, sagt Reik. „Wir wollen, dass Menschen mehr Lebensqualität ­haben, während sie altern.“ Reik ist ­heute Leiter des Altos Labs Cambridge Institute of Science, einem mit drei Mrd. US-$ ausgestatteten Start-up, das zur Zellverjüngung forscht. Prominentester Investor soll Amazon-Chef Jeff Bezos sein; auch der russischstämmige Milliardär Juri Milner, der sein Vermögen mit Anteilen an Facebook und dem E-Mail-Dienst Mail.ru machte, zählt zu den Unterstützern. Altos Labs ist seit ­einem Jahr aktiv und sorgt in der Wissenschaftscommunity für
Aufsehen. Reik beschreibt die Mission der Biotech-Firma so: „Wir wollen Durchbrüche in der Medizin schaffen.“

Analysen der Investmentbank Merrill Lynch zufolge soll sich der Wert von Firmen, die zum Thema Lebensverlängerung forschen, bis 2025 auf rund 582 Mrd. € verfünffachen. Immer mehr Geld wird in die Branche gepumpt, doch schnelle Profite werden die Firmen wohl nicht abwerfen. Aber das wird von namhaften Investoren auch nicht erwartet. Viele der reichsten Menschen der Welt – neben Bezos auch Google-Gründer Larry Page oder Investor Peter Thiel – finanzieren eigene Biotech-Firmen wie eine Art private Anti-Aging-Vorsorge. Doch Altos Labs sticht in der ­Branche heraus: Noch nie hat ein Biotech-Start-up mehr ­Risikokapital angezogen.

Reik sitzt in seinem Büro südlich von Cambridge, die beiden übrigen Altos-Labore sind in Kalifornien angesiedelt. Auch in Japan soll bald eine Einrichtung eröffnen. Reik will die klügsten Köpfe der Molekularmedizin und Zellbiologie aus ihren Silos holen und ein weltumspannendes Netzwerk brillanter Forscher schaffen: Kooperation statt Konkurrenz, Zusammenarbeit statt Eitelkeit und Zoff ist das Motto.

Als Direktor des Cambridge ­Institute of Science und Mitglied des Senior Management Teams soll Reik helfen, Altos Labs erfolgreich zu machen – und die ­Investoren ­zu­frieden. Druck gebe es nicht: Die Investoren seien intere­ssiert, aber nicht am Tagesgeschäft beteiligt.

Altos hat mit üppigen Gehältern einige der besten ­Fachleute von staatlichen Universitäten und Forschungseinrichtungen abwerben können. Die Grundvergütung soll mitunter rund eine Mio. US-$ betragen, dazu gibt es Firmenan­teile. Der spanische Biomediziner ­Manuel Serrano erklärte neulich, Altos bezahle ihm das Zehnfache seines Uni-Gehalts. Reik will sich nicht zu Finanziellem äussern, sagt aber, es sei kein Geheimnis, dass die Gehälter an Universitäten nicht allzu hoch sind.

Altos ist das ­Alternativmodell einer Universität, von denen ­viele ja trotz ihrer wissenschaftlichen Kompe­tenz oft wie staatlich regulierte Forschungsbehörden wirken.Altos Labs ist dagegen wie eine Firma strukturiert: Wissenschaftler, die mit Erfolg arbeiten und Erwartungen übertreffen, können mit üppigen Bonuszahlungen rechnen. Sie bekommen auch langfristige Karriere­wege aufgezeichnet. Nicht für Ruhm, Ehre und den Dienst an der Gesellschaft allein wird geforscht, auch Geld ist ein Anreiz.    

Ähnlich verlockend wie die Gehälter könnte für viele die wissen­schaftliche Freiheit sein, die Altos verspricht: Statt mit ­langwierigen ­Forschungsanträgen ­Fördergelder einzutreiben, können sich Mitarbeiter entfalten. Ihr ­einziger Job laut Reik: „Grossartige Wissenschaft produ­zieren!“

Es gibt genug Investoren auf der Welt, die sich für unsere Arbeit interessieren

sagt Wolf Reik. Wolf Reik, Direktor des Altos Labs Cambridge

Altos ist nicht die ­einzige ­Forschungseinrichtung, die mit Geld von Ultravermögenden nach ­neuen Anti-Aging-Therapien sucht. Der umstrittene Paypal-Gründer und Investor Peter Thiel pumpt ­Millionen in Unternehmen wie Me­thuselah Foundation – dort will man „90 zum neuen 50“ machen, und zwar schon in den kommenden sieben Jahren. Man könne den Tod hinnehmen oder leugnen, sagte Thiel einmal – „ich bekämpfe ihn lieber“.

Wie derzeit Altos Labs ­sorgte schon vor zehn Jahren Calico Labs für Schlagzeilen. Die verschwiege­ne kalifornische Firma gehört zum Kosmos von Alphabet und ­wurde von Google-Gründer Larry Page ins Leben gerufen. Der Hype um ­Altos Labs erinnert an den Wirbel um ­Calico im Jahr 2013: Wie bei ­Altos wurden damals hoch­rangige Wissen­schaftler eingekauft und mehr als eine Mrd. US-$ investiert. Zehn Jahre später konnten noch ­keine revolutio­nären Therapien präsentiert werden. Auch Wolf Reik bemüht sich, die ­Erwartungen zu bremsen.

Reik wurde in Aachen in eine Wissenschaftlerfamilie geboren. ­Seine Eltern waren Physiker, später siedelte die Familie nach Freiburg um. Reik studierte in Hamburg Medizin, Arzt wollte er aber nicht werden – ihm habe ­während des Studiums die ­intellektuelle Heraus­forderung gefehlt. Bei einer Vor­lesung zur experimentellen ­Virologie von Rudolf Jaenisch, dem renommierten deutschen Molekular­biologen und Genetiker, hatte Reik einen „Aha-Moment“: Anschliessend klopfte er an die Büro­tür des Professors an und erklärte, er wolle seine Doktorarbeit über Genetik bei ihm schreiben. ­Jaenisch versuchte erst, den Studenten abzuwimmeln, mit der Ansage: „Wir wollen hier keine Medi­ziner.“ Doch Reik liess nicht locker, bis Jaenisch endlich einwilligte. Später wechselte der heute 81-jährige Jaenisch ans MIT – und Reik nach Cambridge, wo er heute mit seiner Fa­milie lebt.

Nun stürzt sich Reik ins Altos-Abenteuer. Mit seinen Kollegen hofft er, die ideale Forschungseinrichtung zu schaffen; beneidenswert gut finan­ziert, ausgestattet mit dem besten Know-how, ein einzigartiger Cluster von Kompetenz, eine Schmiede für Nobelpreisträger. Die Zukunft sieht vielversprechend aus. Reik: „Es gibt genug Investoren auf der Welt, die sich für unsere Arbeit interessieren.“

Wolf Reik wurde in Aachen geboren, studierte Molekularbiologie und arbeitet heute an der University of Cambridge. Seit 2022 ist er Direktor des ­­Biotech-Start-ups Altos Labs Cambridge.

Text: Reinhard Keck
Foto: Keith Heppell

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