Was kommt

Nicht einen Traumjob, sondern ganz viele. Jannike Stöhr macht 30 Zukunftsjobs in einem Jahr.

Sie haben als Personalerin in einem grossen deutschen Automobilkonzern gearbeitet – und beschlossen, auszusteigen. Warum?
Mein Ausstieg hatte weniger mit meinem damaligen Arbeitgeber zu tun als mit mir. Der Arbeitgeber war gut. Ich habe dort eine Ausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation gemacht und neben dem Job Wirtschaftswissenschaften studiert. Insgesamt war ich acht Jahre dort, habe mich aber letztlich doch immer fehl am Platz gefühlt.

Sie haben aber nicht einfach den Job gewechselt, sondern beschlossen, sich viele Jobs anzusehen. Ein Projekt, das in Ihrem Buch „30 Jobs in einem Jahr“ gemündet ist. Wie kommt man auf so eine Idee?
Die Idee stammt aus einem Ratgeber. (lacht) Ich habe sehr viele Ratgeber gelesen und sehr viele Dinge ausprobiert – noch bevor ich das Projekt angegangen bin. Ich wusste nur, ich wollte raus und andere Berufe ausprobieren. Ich wollte einmal Kassiererin sein und in der nächsten Woche Schaffnerin. Meine Freunde haben das nach einer Zeit schon be­lächelt und gesagt: „Warte mal bis nächste Woche …!“

Wie haben Sie sich Ihre Jobs ausgesucht?
Zunächst habe ich mir überlegt, was ich als Kind werden wollte oder was mir andere Menschen geraten haben, dann wurde ich von einem zum nächsten Arbeitgeber empfohlen, und zum Schluss wurde ich bei der Jobwahl schon freier und habe versucht, auf der Landkarte Strecken abzubilden, damit ich weniger reisen muss.

In welche Berufe haben Sie hineingeschnuppert?
Ich war Erzieherin, Architektin, Karriereberaterin, Pastorin, Politikerin, Hebamme …

Haben Sie Ihren Traumjob gefunden?
Ich finde, den einen Traumjob gibt es nicht. Heute bin ich selbstständig und habe viele Jobs, ich habe einen selbst gebastelten Traumjob mit Tätigkeiten, die mich erfüllen.
Ich finde, es muss nicht alles in nur einem Job abgedeckt sein, die Interessen und Präferenzen ändern sich ja auch im Laufe des Lebens.

Heute machen Sie u. a. Workshops zum Thema „Wie finde ich den Traumjob?“. Wie erleben Sie junge und auch ältere Menschen hinsichtlich ihrer Orientierung am Jobmarkt?
Die Besucher meiner Workshops sind zwischen 25 und 50 plus und ihre Zugänge und auch Ängste sind unterschiedlich. Ich erlebe viele Junge orientierungslos. Sie wissen nicht, was sie machen wollen, sind starr und gelähmt, unzufrieden und wollen das verändern. Die Älteren wollen – weil die meisten auch finanzielle Verpflichtungen und Familie haben – eher wissen, wie man „safe“ umsteigt.

Woran, denken Sie, liegt diese Orientierungslosigkeit?
Das liegt wohl daran, dass es heute viele Optionen gibt, und dann ist der Druck da, dass man DIE perfekte Entscheidung treffen muss. Es muss alles perfekt sein, in den Medien gibt es viele Geschichten über den Traumjob, den man haben muss. Wenn der Druck steigt und die ­Optionen vielfältig sind, passiert es oft, dass wir uns von uns selbst entfremden.

Jannike Stöhr
Jannike Stöhr (1986) ist Autorin und Coach für berufliche Neuorientierung. Die ehemalige Personalerin beschäftigte sich intensiv mit der Suche nach dem Traumjob, über die sie den Bestseller „Das Traumjob-Experiment“ schrieb. Innerhalb eines Jahres testete sie dafür 30 unterschiedliche Berufe. Aktuell startet sie in ihr neues Projekt „30 Jobs der Zukunft“, in dem sie sich auf die Suche nach den zukunftsträchtigsten Jobs begibt.

Wie meinen Sie das?
Das heisst für mich, dass die Gesellschaft, unsere Erziehung, die Schule und viele andere uns nicht uns selbst sein lassen. Sondern uns einen Weg vorgeben, der nicht unser eigener ist. Wie oft wird von den Eltern oder den Lehrern empfohlen, „etwas Sicheres“ zu machen? Man wird von seinem eigenen Weg immer abgebracht, sodass man die Ziele, die einem vorgegeben werden, nicht mehr von seinen eigenen unterscheiden kann oder gar nicht in die Situation kommt, darüber nachzudenken.

Ist das auch Anlass für Ihr nächstes Projekt „30 Zukunftsjobs in einem Jahr“?
Ich bin über mein letztes Projekt in diese „New-Work-Szene“ hineingerutscht – über Konferenzen, an denen ich teilgenommen habe, oder über Workshops, die ich gehalten habe, bin ich in ein Netzwerk gekommen, das mich veranlasst hat, mehr über Arbeit nachzudenken und weniger über Berufe.

In welcher Form?
Im Zusammenhang mit der Digitalisierung hört man ja oft, dass Roboter uns die Jobs wegnehmen werden und wo das hinführen könnte. Da dachte ich mir: Das ist keine positive Aussicht. Warum bewerten wir das alles gleich ­negativ, anstatt zu schauen, was da kommt?

Was haben Sie sich dieses Mal vorgenommen?
Ich habe viele Jobideen auf meiner Liste. Zum Beispiel habe ich bei einer Konferenz einen Menschen getroffen, der eine Firma für
After-Life-Design gegründet hat.

Was ist das genau?
Da geht es um das Simulieren des Weiterlebens im virtuellen Raum. Du gibst der Firma alle deine Daten und die bauen einen Algorithmus, der dich nach deinem Tod simuliert und mit den Hinterbliebenen kommunizieren kann. Aber ich möchte mir auch „normale“ Jobs wie in der Pflege anschauen. Wir werden immer älter, das Thema wird relevanter, und ich möchte sehen, wie viel der Pflegearbeit an Roboter abgegeben wird. Japan ist in diesem Gebiet schon weit voraus. Und dann stehen noch Virtual-­Reality-Designer, aber auch Berufsberater – das ist für mich auch ein wichtiger Zukunftsjob – auf der Liste, so wie Data-Blurrer, jemand, der deine Datenströme im Internet verwischt, und Roboter-Warter.

Das heisst, Sie weiten Ihr Einsatzgebiet aus …
Ja. Das nächste Projekt wird internationaler sein, es ist auch schon rechercheintensiver und ist deshalb auch auf zwei Jahre geplant. Ich werde auch länger brauchen, um diese Jobs zu verstehen und zu begreifen, wie die Menschen dort ticken. Aus diesem Grund habe ich auch schon einen Coding-Lehrgang gemacht, damit ich schneller in das Denken der Programmierer reinfinde.

Viele andere arbeiten über Plattformen. Was halten Sie von dieser Gig-Economy?
Für mich sind diese Plattformen – so, wie ich sie erlebt habe – definitiv gefährlich. Auch ich habe darüber gearbeitet und erfahren, dass die Bezahlung in der Regel wirklich ­unterirdisch ist. Mir ist wichtig, dass ich mit Menschen arbeite, die ich kenne. Ich finde aber schon, dass man Dinge auslagern kann, die man selbst nicht gut kann oder nicht tun möchte.

Was erwarten Sie für sich als Ergebnis Ihres neuen Projekts?
Ich hoffe, dass es für mich so gut bleibt wie jetzt, und, dass die Zukunft mit Erkenntnissen wie den meinen auch für andere gestaltbarer wird. Es gibt viele Entwicklungen, die auch ich argwöhnisch betrachte. Das will ich alles verstehen und schauen, wo man das beeinflussen kann, nämlich so, dass es gut wird.

Dieser Artikel ist in unserer November-Ausgabe 2017 „Next“ erschienen.

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

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