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Als Boxer meisterte Wladimir Klitschko zahlreiche Herausforderungen. Nun hilft er Unternehmen, ihre Probleme ähnlich erfolgreich zu lösen – und hat sich mit diesem Ansatz ein 100 Millionen US-$ schweres Imperium aufgebaut.
49 Suiten, elf Stöcke, eine Rooftop-Bar und ein Ausblick über die gesamte Stadt: Das 11 Mirrors Design Hotel gilt als eine der besten Unterkünfte in Kiew und ist in der Regel ausgebucht. Als wir den Mann hinter diesem Haus, das Teil der internationalen Kette von Marriott Design Hotels ist, zum Zoom-Interview treffen, sitzt uns jedoch kein erfahrener Hotelier oder Gastronom gegenüber, im Gegenteil: Der Eigentümer hat sein Geld fernab der Hotelleriebranche verdient. In der Lobby hat sich nämlich niemand Geringerer als der ehemalige Boxweltmeister Wladimir Klitschko seinen Laptop für das Interview zurechtgestellt. Eigentlich hätte das Gespräch in Hamburg stattfinden sollen, von wo aus Klitschko sein Leben neuerdings lenkt; dort ist nämlich sein Unternehmen Klitschko Ventures angesiedelt. Doch der 44-Jährige ist wegen des Coronavirus in Kiew gestrandet. Eine Einreise nach Deutschland wäre mit einer Quarantäne verbunden – undenkbar für einen so umtriebigen Menschen wie Klitschko.
Im Gespräch merkt man schnell, dass Klitschko Medien gegenüber weder schüchtern noch zurückhaltend auftritt. Er spricht bestimmt und klar, hat einen strengen Blick, lacht dann aber immer wieder herzlich auf, wenn er Witze in seine Erzählungen einbaut. Klitschko hat nun mal über zwei Jahrzehnte lang in allerlei Situationen Interviews gegeben, in denen er Journalisten seine Denkweise und sein Handeln erklären musste. Doch diesmal stellt er gleich zu Beginn fest: „Das Boxen habe ich hinter mir gelassen.“ Vielmehr will der Ukrainer über „die Karriere nach der Karriere“ sprechen. Umso besser, denn auch wir sind am Unternehmer hinter dem Athleten interessiert, der sich seit seinem Rücktritt ein kleines Imperium aufgebaut hat.
Im August 2017 beendete Wladimir Klitschko nach der letzten seiner insgesamt nur fünf Niederlagen (bei gesamt 64 Siegen) seine Boxkarriere mit sofortiger Wirkung. Die Pläne für sein heutiges Tun starteten aber schon früher: Bereits während seiner Karriere fing Klitschko, der einen Doktortitel in Sportwissenschaften und Philosophie hält, mit der Arbeit an seinem heutigen Portfolio an. Und das ist vielfältig: Bereits 2003 gründete Klitschko mit seinem Bruder Vitali die Sportvermarktungsagentur K2 Promotions und die Klitschko Foundation, die jungen Menschen durch Sport und Bildung einen positiven Weg in die Zukunft bieten soll. Noch vor Beendigung seiner Karriere folgte dann das bereits erwähnte 11 Mirrors Hotel, dessen Eigentümer und Ideengeber er ist.
Wladimir Klitschko
... promovierte an der Pädagogischen Universität Hryhorij Skoworoda in Sportwissenschaften. Mit 14 Jahren startete er seine Boxkarriere, wurde mehrfach Weltmeister und gründete 2003 mit seinem Bruder Vitali die Sportvermarktungsagentur K2 Promotions und die Klitschko Foundation. 2007 folgte die Klitschko Management Group, 2016 Klitschko Ventures.
Vor kurzem eröffnete er sein zweites Hotellerie-Projekt: Das Globe Runner Hostel & Hotel in Kiew, das für eine jüngere Zielgruppe gedacht ist. Auch hinter Mixsport.pro, einer 2018 lancierten ukrainischen Plattform für die Buchung von Trainingseinheiten, steht Wladimir Klitschko. 2016 erweiterte er seine Unternehmensgruppe um Klitschko Ventures, deren Geschäftsfeld die strategische Beratung und die Etablierung von Tochtermarken und Produkten ist. Nebenbei fand Klitschko noch genug Zeit, ein Buch namens „Challenge Management“ zu schreiben (in dem er Managern Lehren aus dem Profisport weitergeben will) und einen Lehrgang mit der Universität St. Gallen zum Thema Innovation and Change Management nicht nur zu entwickeln - sondern auch zu etablieren.
In allem, was der „Dr. Steelhammer“ genannte ehemalige Weltklasseboxer tut, kommt ein Prinzip zur Anwendung, das ihm bereits im Sport zu Höchstleistungen verhalf: die FACE-Methode. Das Akronym steht für die Begriffe Focus, Agility, Coordination und Endurance. „‚Face the challenge‘ war schon immer mein Motto“, sagt Klitschko. „Herausforderungen muss man schliesslich ins Gesicht blicken.“ Doch was bietet diese Methode, dass Kunden wie Porsche oder die Deutsche Telekom mit Klitschko arbeiten wollen? Und: Gehört Klitschko auch finanziell in die Schwergewichtsklasse?
Meilensteine Wladimir Klitschko
(Quelle: Klitschko Ventures)
Trotz seiner Vergangenheit als Einzelsportler versucht Klitschko im beruflichen Kontext keineswegs einen Alleingang. Vielmehr fällt auf, dass Klitschko in seiner Gruppe zwar nicht viele Personen fix beschäftigt – all jenen, die ihm zur Seite stehen, vertraut er aber blind. „Wir fokussieren uns in allem auf das Wesentliche. Die rund zehn Personen, die enger mit mir arbeiten, sind dann aber enorm wichtig“, so Klitschko. Darunter befindet sich auch Tatjana Kiel, die die Klitschko-Brüder bereits seit 2006 begleitet. Seit 2017 verantwortet sie bei Klitschko Ventures als CEO das operative Geschäft. „Meine Vision ist es, allen Menschen Willenskraft zugänglich zu machen. Mit der Entwicklung und Skalierung der Methode FACE the Challenge schaffen wir neue, zielgerichtete Formate und Produkte – für Business- und Endkunden“, so Kiel. Das Zepter bei K2 Promotions liegt bei Alexander Krassyuk, der als General Director den europäischen und den amerikanischen Markt betreut; die Hotellerieaktivitäten leitet Maryna Rymarenko.
Doch wie viel Geld macht Klitschko in seiner Unternehmensgruppe? Bei Nachfragen nach konkreten Zahlen, etwa Umsatz- oder Gewinngrössen, wird der sonst so redselige Klitschko schweigsam – um dann scherzhaft zu antworten: „Ich werde mich nicht zu Geschäftszahlen äussern, solange ich nicht 1 Milliarde US-$ an Umsatz gemacht habe”. Laut Klitschko diene die Geheimniskrämerei auch dem Schutz seiner Familie in der Ukraine; sein Bruder Vitali ist Bürgermeister der Hauptstadt Kiew. Geld ist jedenfalls vorhanden: Laut Forbes-Schätzung lag das Vermögen von Klitschko nach Beendigung seiner Boxkarriere bei rund 21,5 Millionen US-$. Je nach Kampf erhielt Klitschko eine Gage zwischen drei und fünf Millionen US-$, grosse Kämpfe – etwa jener gegen den Briten Anthony Joshua im Jahr 2017 – brachten dem Boxer laut Forbes zehn bis 15 Millionen US-$ ein.
Andere Medienberichte, etwa vom „Vermögen Magazin“, schätzten Klitschkos heutiges Vermögen auf rund 60 Millionen €. Tatsächlich liegt das Gesamtvermögen des jüngeren der Klitschko-Brüder, das in seinem Family Office namens Kliwla verwaltet wird, offenbar sogar schon im dreistelligen Millionenbereich: 100 Millionen US-$, so Klitschko auf mehrfache Nachfrage, verwalte sein Family Office. Und auch hier vertraut er einer Schlüsselperson: Kostya Kovalchuk, ein ehemaliger UBS-Manager, leitet Kliwla als Managing Director. Nicht nur Klitschko selbst, sondern auch seine Unternehmen nutzen als Arbeitsgrundlage die FACE-Methode. Klitschko: „FACE soll es jedem Menschen ermöglichen, Herausforderungen anzugehen.“ Auf Basis von Klitschkos Erfahrungen im Sport entwickelt, fokussiert sich die Methode neben der körperlichen vor allem auch auf die mentale Willenskraft. Der Prozess verläuft stufenweise: Erst muss der Fokus geschärft werden, dann muss man die eigene Agilität sicherstellen; es folgt die Arbeit an der Koordination, bevor die Ausdauer entwickelt wird. Kunden wie die Deutsche Telekom, der Softwareriese SAP oder Porsche schwören darauf. „Ich will meine Erfahrungen aus dem Boxsport und mein Wissen aus dem Studium und aus meiner Tätigkeit als Universitäts-Dozent mit Menschen aus der Wirtschaft teilen. Mein Geschäft basiert nicht auf meinem Namen oder meiner Bekanntheit, sondern auf reinem Expertise- und Wissenstransfer”, so Klitschko.
Sein Aha-Moment war der Tod seines langjährigen Trainers Emanuel Steward, der neben den Klitschko-Brüdern auch andere Grössen wie Lennox Lewis unter seine Fittiche genommen hatte. Steward gab den Athleten sein Wissen stets nur von Angesicht zu Angesicht weiter. Nach Stewards überraschendem Tod 2012 hatte Klitschko Bedenken, dass dessen Wissen verschwinden könnte und wollte daher die Weitergabe der eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse vorantreiben. Das führte auch zu einer Kooperation mit der Universität St. Gallen: Dort startete Klitschko bereits 2015 den Weiterbildungsstudiengang CAS – Change and Innovation Management, den er gemeinsam mit der Schweizer Hochschule und Wolfgang Jenewein entwickelte. Neben Klitschko selbst treten in dem 17-tägigen Kurs auch andere Dozenten auf, die in Workshops und Vorträgen Themen wie Führung und Innovation mit den Studierenden behandeln.
Doch auch in dreitägigen Camps oder bald schon auf einer E-Learning-Plattform können Interessierte die FACE-Methode kennenlernen. Ein Buch, welches im September 2020 erscheint, soll das Angebot ergänzen. Und auch mit seinem neuen Foodlabel Wyllit treibt Klitschko die Methode voran: Gemeinsam mit dem Lebensmittelhändler Rewe bringt Klitschko Nussriegel, Biotee und proteinhaltige Lunches to go unter die Menschen. Die Produkte sind auf die vier Grundpfeiler Fokus, Agilität, Koordination und Ausdauer abgestimmt. „Sie bieten stets genau das, was man gerade braucht“, sagt Klitschko. Seit März 2020 sind die Produkte in 650 Rewe-Filialen und im eigenen Onlineshop erhältlich. Dass der Start mitten in der Coronakrise schwierig werden würde, war Klitschko klar: „Die Menschen haben in Krisenzeiten eher Brot und Butter auf ihrer Einkaufsliste stehen, das haben wir in den ersten Wochen bei den Verkäufen auch deutlich gespürt. Mittlerweile fangen wir uns aber.“ Sowieso sieht der ehemalige Profisportler die Coronakrise vor allem als weitere Herausforderung auf dem Weg zum Erfolg. Er plädiert dafür, „mit dem Virus zu leben“ und unsere Gesellschaft und Wirtschaft entsprechend zu transformieren. Klitschko nennt das „Coronalisierung“. „Die aktuelle Krise ist Katastrophe und Katalysator zugleich. Die Fortschritte im Bereich der Digitalisierung gehen auf eine Schockreaktion zurück. Nun müssen wir uns darum bemühen, dass jene Massnahmen, die effektiv waren, auch nachhaltig erhalten bleiben.“
Klitschkos Unternehmen
(Quelle: Klitschko Ventures)
Klitschko kennt sich mit Herausforderungen jedenfalls aus: 1976 in Kasachstan geboren, wuchs er gemeinsam mit Bruder Vitali in einfachen Verhältnissen auf. Die Familie wechselte aufgrund der Offizierstätigkeit des Vaters oft den Wohnort. Mit 14 startete Wladimir mit dem Boxtraining – neben dem Gang in die Politik eine der Optionen, um den damaligen Eisernen Vorhang zu passieren. Der erste bedeutsame Sieg gelang ihm 1998 gegen den Newcomer Steve Pannell. Mit der Jahrtausendwende wurde auch die Ära „Dr. Steelhammer“ eingeläutet: Klitschko holt sich 2000 den WBO-Weltmeistertitel, wird 2006 auch Weltmeister der Verbände IBF und IBO und darf somit alle wichtigen Boxgürtel umschnallen. Nebenbei schloss er 2001 sein Doktoratsstudium ab. Auch der ältere Bruder, Vitali, der für Klitschko „immer ein Vorbild war“, machte sich als „Dr. Eisenfaust“ einen Namen. Insbesondere in den Nullerjahren wurden die Klitschko-Brüder zu Kultfiguren: Neben Werbedeals mit Unternehmen, die heute Geschäftspartner sind – darunter Porsche –, blieben in der Öffentlichkeit insbesondere die Werbespots für „Kinder-Milch-Schnitte“ in Erinnerung.
Nun will Klitschko jedoch etwas erschaffen, das nicht nur aufgrund seines Namens in Erinnerung bleibt: „Den Namen Klitschko trage ja nicht nur ich. Sowieso soll mein Unternehmen unabhängig von mir funktionieren.“ Sein übergeordnetes Ziel: „Ich will Menschen dabei unterstützen ihre Herausforderungen in ihrem Alltag zu meistern. Sind die Sinne nicht geschärft und hat man keinen Fahrplan, wird auch die Entfaltung des vollen Potenzials ausbleiben.“ Der ehemalige Boxer fühlt sich wohl als Unternehmer. Wobei, eine Kleinigkeit würde ihn schon noch reizen: „Falls ich wirklich in den Ring zurückkehre, dann nur aus einem einzigen Grund: um der älteste Boxweltmeister im Schwergewicht aller Zeiten zu werden.“ Rekordhalter ist seit 1994 George Foreman, der damals 45 Jahre alt war. Klitschko ist heute 44, trainiert mit jüngeren Boxern – und nutzte in der Quarantänezeit die Kältekammer. Vielleicht denkt er ja tatsächlich schon an die nächste Herausforderung?
Text: Chloé Lau
Fotos: Sergei Sarakhanov
Der Artikel ist in unserer Juni-Ausgabe 2020 „Next“ erschienen.