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Die Kreuzfahrtindustrie sorgte in den Pandemiejahren immer wieder mit Covid-Ausbrüchen für Negativschlagzeilen, und die Unternehmen beschlossen bald, ihre Schiffe lieber leer stehen zu lassen. Heute erholt sich die Branche allmählich von der Krise – die Entwicklungen, die in der Sparte im Gange sind, wurden durch die Pandemie allerdings deutlich beschleunigt.
Man sieht sie bereits, wenn sie noch weit auf dem Meer draussen schwimmen; steht man vor einem, kann man nur den Kopf in den Nacken legen, aufschauen und staunen: Kreuzfahrtschiffe dominieren jeden Hafen, sie gleichen kleinen Dörfern auf Wellen. Hunderttausende Passagiere passen auf ein einziges Schiff, hinzu kommen die Besatzung und natürlich ausreichend Wasserrutschen, Kinos, Restaurants und Bars.
Vor der Coronapandemie war die Kreuzfahrtindustrie einer der am schnellsten wachsenden Bereiche der ohnehin weltweit boomenden Tourismusbranche – 2019 verbrachten 30 Mio. Menschen Urlaub an Bord eines Kreuzfahrtschiffs. Jedes Jahr wurden Rekordzahlen geschrieben, sowohl bezüglich der Anzahl der Passagiere als auch bezüglich der Umsätze.
Doch als sich Anfang 2020 das Coronavirus auf der Welt ausbreitete, folgte ein Covid-Ausbruch auf einem Kreuzfahrtschiff dem nächsten und die Reedereien beschlossen, ihre Schiffe in die Häfen zurückzuholen. Das Wachstum der Branche wurde abrupt gestoppt. Die Reedereien mussten ohne Einnahmen ihre riesigen Schiffe instand halten und verbrauchten deshalb Millionenbeträge. Laut eigenen Angaben verlor die US-amerikanische Royal Caribbean Group, das weltweit zweitgrösste Kreuzfahrtunternehmen, bis zu 290 Mio. US-$ an liquiden Mitteln im Monat. Bei der Konkurrenz sah es auch nicht besser aus.
Zwar erholte sich die Branche recht schnell wieder – im April 2021 waren zum Beispiel wieder alle Schiffe von TUI Cruises, einem der grössten deutschen Anbieter und ein Joint Venture zwischen der deutschen TUI Group und der Royal Caribbean Group, in Betrieb (wenn auch nicht bei voller Auslastung). Doch vom Höhepunkt 2019 ist die Industrie noch ein gutes Stück entfernt. Damals betrugen die globalen Umsätze fast 27,5 Mrd. US-$. Vergangenes Jahr waren es immerhin schon wieder 18,6 Mrd. US-$, deutlich mehr als 2020, als der Markt auf unter vier Mrd. US-$ einbrach.
Dass die Krise immer noch Folgen nach sich zieht, spiegelt sich am deutlichsten in der Tatsache wider, dass weniger Kreuzfahrtschiffe gebaut werden. Zwar sollen die Flotten der verschiedenen Unternehmen in den nächsten drei bis fünf Jahren noch wachsen – alleine dieses Jahr sollen 20 neue Schiffe mit insgesamt über 33.000 Betten in See stechen –, doch viele dieser Neubauten wurden noch vor der Pandemie in Auftrag gegeben. Carnival Cruise Line, das weltweit grösste Kreuzfahrtunternehmen, plant für 2026 kein einziges neues Schiff; in den Jahren danach sind es auch nie mehr als zwei. Auch bei TUI Cruises stehen ab 2027 keine neuen Schiffe auf dem Plan.
Wybcke Meier ist CEO von TUI Cruises und während unseres Gesprächs gerade auf dem European Summit der CLIA, der Cruise Lines International Association. Trotz der eher kurzen Liste an Bestellungen gibt sie sich optimistisch: „Mit den neuen Schiffen sind wir für die deutschsprachige und europäische Kreuzfahrt erst mal da, wo wir sein wollen. Dann haben wir einen sehr guten Marktanteil und sind zuversichtlich, dass wir die Nachfrage bedienen können.“
Meier wurde nahezu für die Kreuzfahrt geboren. Sie kam auf der deutschen Insel Helgoland auf die Welt und verbrachte ihre Kindheit dort, umgeben von Wasser und naturgemäss regelmässig mit Schiffen konfrontiert. „Die Leute scherzen immer, dass Helgoland wie ein Kreuzfahrtschiff ist, weil man von überall aus das Wasser sieht“, sagt Meier. Sie startete ihre Karriere in der Touristik als Reiseleiterin und wurde später Reise- und Verkehrskauffrau bei Fischer Reisen in Hamburg. Es folgten verschiedene Positionen bei zahlreichen Unternehmen in der Tourismusbranche; seit Oktober 2014 ist sie Geschäftsführerin bei TUI Cruises und somit für die Flotten der Marken „Mein Schiff“ und Hapag-Lloyd verantwortlich. Selbst auf dem kleinsten Schiff der „Mein Schiff“-Flotte, der „Mein Schiff Herz“, könnte man Helgolands 1.200 Einwohner gemütlich unterbringen. Und die neuen Schiffe sollen alle deutlich grösser werden – ein Trend, der sich durch alle Unternehmen der Branche zieht.
Die begrenzende Ressource ist Platz – sparst du Platz, steigen deine Umsätze.
Alexis Papathanassis
Hinter der Tatsache, dass die neuen Schiffe immer grösser werden, steckt mehr als aufgeregte Presseberichte und tonnenweise Medienaufmerksamkeit, denn je höher die Anzahl der Passagiere auf einem Schiff ist, desto geringer sind die Kosten, die das Unternehmen pro Gast aufbringen muss. „Grössere Schiffe profitieren von enormen Skaleneffekten“, erklärt Alexis Papathanassis, Professor für Cruise Management und Rektor der Hochschule Bremerhaven. Gleichzeitig steigen bei mehr Passagieren die Bordumsätze, eine zunehmend wichtige Einnahmequelle für Kreuzfahrtunternehmen. Laut Papathanassis betrugen diese vor zehn Jahren rund 23 % der gesamten Ausgaben der Urlauber, heute ist der Anteil auf fast ein Drittel angestiegen.
Wie Meier glaubt Papathanassis, der seit fast 20 Jahren die Kreuzfahrtindustrie erforscht, ebenfalls, dass die Branche sich schnell vom Schock der Pandemie erholen wird. Neben immer grösser werdenden Schiffen sieht der Wissenschaftler drei weitere Trends in der Welt der Kreuzfahrten, die zwar alle vor der Pandemie schon im Gang waren, durch die Krise jedoch beschleunigt wurden.
Der erste Trend ist die Digitalisierung und Automatisierung von Geschäftsprozessen, wodurch diese effizienter gestaltet werden können. TUI-Cruises-Chefin Meier erklärt, dass die Reisebuchung durch künstliche Intelligenz und Chatbots um einiges einfacher sei als früher. Einmal an Bord, können Gäste per App Freizeitaktivitäten buchen. Auch die Routen der Kreuzfahrten werden durch künstliche Intelligenz optimiert; die Liste der Innovationen ist lang. Neben den offensichtlichen Vorteilen solcher Technologien ermöglichen sie es den Kreuzfahrtunternehmen, Personal einzusparen – und je kleiner die Besatzung, desto mehr Platz bleibt für zahlende Passagiere. Papathanassis bringt es auf den Punkt: „Auf einem Kreuzfahrtschiff ist die begrenzende Ressource Platz. Sparst du Platz, steigen deine Umsätze.“ Der erste Trend ist somit eng mit dem zweiten verknüpft – denn die Kreuzfahrtindustrie ist schon seit Jahren, aber besonders seit dem Ende der Pandemie, mit einem Mangel an Fachkräften konfrontiert, wie uns der Wissenschaftler erzählt. Besonders gering qualifizierte Stellen seien schwer zu besetzen, fügt Meier hinzu. Immer weniger junge Deutsche, Österreicher oder Schweizer wollen an Bord eines Schiffs arbeiten, was es für die Unternehmen erschwert, deutschsprachige Fachkräfte zu finden.
Die TUI-Cruises-Chefin beschreibt die Arbeit auf einem Kreuzfahrtschiff als komplexer und spannender als in vielen anderen Bereichen der Touristik, auch wenn die Arbeitszeiten deutlich länger sind. Laut Papathanassis hingegen grenze sie für den Grossteil der Besatzung an Ausbeutung, zumindest nach europäischen Massstäben. Viele Kreuzfahrtunternehmen bekommen laut ihm ihre Besatzung aus Entwicklungsländern wie den Philippinen und nutzen so die geringen Gehälter dieser Länder aus, um bei der Bezahlung ihrer Angestellten zu sparen; eine Tatsache, für die Kreuzfahrtunternehmen häufig kritisiert werden.
Meier weist darauf hin, dass die Besatzungen der „Mein Schiff“-Flotte (abgesehen vom Management und dem Kapitän) nicht bei TUI Cruises direkt angestellt sind. Stattdessen arbeiten sie mit Serviceprovidern wie Sea Chefs zusammen; die Arbeitsverträge werden mit der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF), der Gewerkschaft für den Kreuzfahrttourismus, ausgehandelt. Sie fügt hinzu: „Je nach Qualifikation kann man bei uns zwischen 1.200 US-$ und 6.000 US-$ pro Monat verdienen. Da muss jeder für sich entscheiden, ob er einen solchen Job machen möchte. Am Ende ist das eine sehr persönliche Entscheidung.“
Die dritte und vermutlich wichtigste Entwicklung sind die Bemühungen der Branche, umweltfreundlicher zu werden. Laut eigenen Angaben möchte TUI Cruises bis 2050 eine Dekarbonisierung seines Kreuzfahrtbetriebs erreichen, bereits 2030 soll es erste „Net-zero-Kreuzfahrten“ geben. Um das zu erreichen, sollen die Schiffe unter anderem grünen Landstrom nutzen, wenn sie im Hafen sind (also nicht die Dieselgeneratoren laufen lassen). Wichtiger ist jedoch der Fakt, dass die „Mein Schiff“-Flotte aus jungen, effizienten Schiffen besteht, die relativ wenig Treibstoff brauchen. Meier: „Die beste Tonne Treibstoff ist bekanntlich die, die gar nicht erst verbraucht wird.“ Ausserdem sollen die Schiffe eines Tages mit grünem Methanol betrieben werden, das deutlich umweltfreundlicher ist als der Diesel, mit dem heute noch alle TUI-Cruises-Schiffe fahren.
Falls die Kontroversen der Branche ihre Passagiere plagen, lassen sie es sich nicht anmerken: Kreuzfahrten sind im Trend, besonders bei Amerikanern, von denen 2019 knapp über 14 Millionen eine Kreuzfahrt unternahmen; Deutschland steht mit 2,5 Millionen Passagieren (ebenfalls 2019) weit dahinter, immerhin aber an zweiter Stelle. (Die Zahlen der Coronazeit sind deutlich tiefer, dieser Einbruch ist jedoch als Einmaleffekt zu sehen.) Wybcke Meier macht für die steigende Beliebtheit von Kreuzfahrten vor allem die Tatsache verantwortlich, dass Reisende zunehmend ein „All-in-one-Paket“ suchen. „Es gibt meiner Ansicht nach in der Tourismusbranche einen Trend zu Reisen, bei denen man sich nur um wenig kümmern muss und trotzdem ein tolles Erlebnis hat“, erklärt sie, und ergänzt: „Organisierte Reisen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit – und Kreuzfahrten sind eine der Reiseformen, die am genauesten organisiert sind.“
Kreuzfahrten sind nicht nur organisiert, sie sind auch profitabel. Carnival Corporation, die grösste Kreuzfahrtgesellschaft der Welt und die Firma hinter Marken wie Carnival Cruise Lines und Aida Cruises, verzeichnete vergangenes Jahr Umsätze von fast 12,2 Mrd. US-$. Das sind zwar weit weniger als die 20,8 Mrd. US-$ vor Beginn der Pandemie, doch immerhin mehr als sechsmal so viel wie 2021.
Wir waren die erste Reederei weltweit, die nach dem Stillstand wieder gefahren ist.
Wybcke Meier
TUI Cruises erholt sich sogar noch schneller als der amerikanische Riese. Im Steuerjahr 2021/22 war die deutsche Reederei mit 1,2 Mrd. € beinahe wieder beim Peak von 1,4 Mrd. € vor der Pandemie. Grund für den schnellen Bounce-back ist laut CEO Meier die Tatsache, dass ihre Flotte nach dem Fallen der Gesundheitsbeschränkungen sehr schnell wieder in See stach: „Wir waren die erste Reederei weltweit, die nach dem Stillstand wieder gefahren ist“, erzählt sie, bevor sie fortfährt: „Bereits im Juli 2020 hatten wir wieder ein Angebot, natürlich mit gewissen Beschränkungen. Wir sind aus deutschen Häfen gestartet, und da internationales Reisen noch nicht möglich war, hatten wir keinen Landgang. Aber den Menschen ging es darum, sich an Bord entspannen zu können und normale Dinge, die an Land nicht möglich waren – wie zum Friseur zu gehen –, an Bord unserer Schiffe zu machen.“ Ab 1. April 2022 („Das war kein Aprilscherz“, wie Meier sagt) waren alle Kreuzfahrtschiffe von TUI Cruises wieder in Betrieb, ab Juni schliesslich auch mit voller Kapazität.
Genaue Buchungszahlen für 2023 verrät Meier nicht. Sie gibt jedoch preis: „Wir haben für diesen Sommer sogar 30 % mehr Buchungen als im Januar 2019.“ Nach einer schmerzhaften Pause kehren die riesigen Kreuzfahrtschiffe also wieder in die Häfen Venedigs, Mallorcas und der zahlreichen anderen Destinationen zurück. Bevor sie sich in eine Sitzung über die Kooperation mit ebendiesen Hafenstädten verabschiedet, bringt es Wybcke Meier auf den Punkt: „Man kann sagen, die Kreuzfahrt ist wieder da.“
Wybcke Meier wurde auf der deutschen Insel Helgoland geboren. Ihre Karriere begann sie bei Fischer Reisen als Reiseleiterin. Nach fast 40 Jahren Erfahrung in der Touristik ist sie seit 2014 Geschäftsführerin bei TUI Cruises und leitet somit die Marken „Mein Schiff“ und Hapag-Lloyd.
Text: Erik Fleischmann
Fotos: Andreas Weiss, Tui Cruises