VIELE HÜTE

Bekannt wurde Aya Jaff als Aushängeschild der deutschen Techszene. Doch neben jenem der Coderin trägt sie noch andere Hüte: Gründerin, Studentin, Autorin.

Seinen Anfang nahm alles mit einem Buch, das Aya Jaff in ihrer Jugend von ihrer grossen Schwester geschenkt bekam. In „Rich Dad, Poor Dad“ beschreibt Robert T. Kiyosaki, was wohl­habende Menschen ihren Kindern über Geld beibringen. Neben sinnvollen Anlagemethoden spielt dabei auch die Relevanz des Gründens und Besitzens von eigenen Unternehmen eine grosse Rolle.

Jaff verschlang dieses Buch – und war überzeugt, dass sie ein Unternehmen gründen will. „Das Buch hat das Feuer in mir entfacht.“ Doch ihre Ideen waren in der Regel technischer Natur und bezogen sich auf digitale Geschäftsmodelle. Als sie sich nach Dienstleistern umsah, die diese Ideen für sie umsetzen könnten, war klar: Das wird zu teuer. „Alle meine Ideen waren digitaler und technischer Natur. Und weil die Kosten, die Umsetzung nicht selbst zu machen, viel zu hoch gewesen wären, habe ich mir das Programmieren einfach selbst beigebracht.“

Ursprünglich als lockere Wochenend­beschäftigung gedacht, trägt Jaff den Hut der Programmiererin mittlerweile seit über sechs Jahren. Heute „spricht“ sie mehrere Programmiersprachen, etwa Java, JavaScript, Ruby oder PHP, und gilt in Deutschland als Aushängeschild der Programmier- und Techszene. Denn in der Regel sind Coder männlich und weiss – Jaff sticht aus diesem Bild heraus.

Dabei trägt Jaff noch zahlreiche andere Hüte. Sie hat ein Start-up mitbegründet, studiert an der Friedrich-Alexander-Universität Sinologie und Ökonomie und schreibt ein Buch. „Früher habe ich Programmieren komplett als Hobby gesehen. Ich durfte dann im Rahmen einer Förderung eine Zeit lang für das Tech-Unternehmen Thought Works arbeiten, habe aber schnell gemerkt, dass ich nicht den ganzen Tag im Büro sitzen möchte.“ Jaff versuchte sich als Gründerin, startete die mittlerweile umbenannte Co­Design Factory. Nun will sie ihr Studium abschliessen – bevor sie ihr nächster Schritt in die weite Welt, genauer gesagt nach China, bringt. Was will sie dort?

Aya Jaff wurde im Nordirak geboren, ihre kurdischen Eltern gingen mit der Familie nach Deutschland, als die jüngere Tochter zwei Jahre alt war. Vater und Mutter hatten studiert, der Abschluss wurde in Deutschland aber nicht anerkannt. Die beiden suchten sich „Arbeiterjobs“, der Vater etwa als Taxifahrer (später wurde er Taxiunternehmer), die Mutter als Kassie­rin. Jaff: „Ich habe viel von meinen Eltern gelernt, vielleicht auch, weil sie keinen Akademikerjob hatten. Eigentlich ganz simpel: jeden Tag früh aufstehen und zur Arbeit gehen – das stand einfach nie infrage. Es war schon in meinem Blut, dass ich hart arbeiten und um das, was mir zusteht, kämpfen muss.“

Aya Jaff, CoDesign Factory, Forbes 30 Under 30 2019, Deutschland 2

Aya Jaff
... wurde als Tochter kurdischer Eltern im Nordirak geboren. Sie kam nach Deutschland, als sie zwei Jahre alt war. Nach einem Aufenthalt im Silicon Valley studierte sie erst Wirtschaftsinformatik, dann Ökonomie und Sinologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zudem brachte sich Jaff selbstständig das Programmieren bei, gründete ein Unternehmen und schrieb ein Buch über die Börse.

Nach dem Schulabschluss ging Jaff daher erstmals ins Silicon Valley: Mit einem Stipendium in der Tasche ging sie an die Draper University, eine private Schule, die Unternehmertum unterrichten soll und vom Risikokapitalinvestor Tim Draper gegründet wurde. Sie studierte damals Wirtschaftsinformatik, wechselte 2016 aber den Studiengang, um Sinologie und Ökonomie zu studieren. Denn Jaff interessierte sich immer schon für Phänomene an der Schnittstelle von Tech und Wirtschaft, etwa die Gründe für den grossen Erfolg von Techriesen wie Facebook und Co.

2018 folgte die Gründung ihres eigenen Start-ups, der CoDesign Factory. Kurz gesagt: ein Beratungshaus, das kein Beratungshaus sein will. Denn im Gegensatz zu anderen Consultants wählt CoDesign zielgenau Experten aus, die Probleme bei Kunden lösen. Jaff verliess das Start-up operativ bereits im Februar, heute ist das Unternehmen unter anderem Namen und neuer Führung unterwegs. Doch die Wirtschaft hat es Jaff weiterhin angetan: Ihr Buch „Moneymakers“ soll Menschen, die keine Ahnung von Finanzen haben, die Börse verständlich erklären. Jaff ist gerade dabei, es fertigzustellen.

Und auch ihr Studium wird spätestens in ­einem Jahr abgeschlossen sein – bevor Jaff in den Fernen Osten will. „Ich glaube, mein nächster Schritt wird mich nach China führen. Ich will wissen, wie die Menschen dort leben, wer deren Influencer sind, wie dort Unternehmen skaliert werden.“ Sich selbst bezeichnet Aya Jaff in Bezug auf ihre Programmierkenntnisse als „in Ordnung“: „Gute Programmierer müssen nicht immer alles selbst können. Ich weiss, wie ich das Problem lösen kann, sprich: Ich weiss, was ich googeln muss. Offroad bin ich also ganz in Ordnung.“ Diese Fähigkeit, Probleme auch mit Hilfe­stellung und in Gesprächen mit anderen Personen zu lösen, sei eine Grundfähigkeit, die Programmierer haben müssten. Denn das isolierte „Denkenmüssen“ störte sie auch im Studium Wirtschaftsinformatik. Dass in Klausuren Code auf ein Blatt Papier geschrieben werden müsse, sei einfach nicht praktikabel.

Zahlreiche Experten fordern Programmieren als Fach in der Schule, um Menschen diese Kenntnisse näherzubringen. Jaff zählt nicht dazu: „Ich bin generell gegen Programmier­unterricht in der Schule als benotetes Fach“ – denn Klausuren und Noten würden den Leuten das Programmieren nicht näherbringen, so Jaff.

Dabei wäre es hinsichtlich zahlreicher Herausforderungen, die es in Zukunft zu lösen gilt, wichtig, insbesondere in Sachen Gender Diver­sity. Jaff ist ein Lichtblick in einer noch ­immer extrem männlich dominierten Branche. Zwar sind die Entwicklungen laut dem „Women in Tech“-Report 2018 des Tech-Unternehmens ­HackerRank erbaulich: Der Gender Gap schrumpfte etwa bei der Frage, ob Menschen vor ihrem 16. Lebensjahr Programmieren gelernt haben, kontinuierlich – waren es in der Gruppe der 25- bis 34-Jährigen noch fast 20 Prozentpunkte Unterschied, liegt der Gap bei den 18- bis 24-Jährigen nur noch bei rund sieben Prozentpunkten (13,9 % der befragten Frauen und 20,9 % der befragten Männer haben vor ihrem 16. Lebensjahr Programmieren gelernt). Doch dieser Vorsprung der männlichen Entwickler führt dazu, dass die meisten Senior Developer Männer sind, Frauen in der Regel in Junior-Rollen tätig sind. Das zieht sich in Tech-Unternehmen bis zur Vorstandsebene weiter, und hat noch weiter reichende Konsequenzen: Denn männliche Coder haben Biases (unbewusst oder nicht), die sie in die von ihnen programmierten Applikationen einbauen. Und je digitaler unsere Welt wird, desto grösser wird die Gefahr, dass diese Biases perpetuiert werden. Doch laut Jaff ist nicht (nur) das Geschlecht der Entwickler entscheidend, sondern vor allem auch die Datenbasis. Das zeige sich etwa im Bereich der künstlichen Intelligenz: „Künstliche Intelligenz ist immer nur so gut wie ihre Datenbasis. Daher müsste man sich die Datenbanken ansehen, mit denen unsere Codes gefüttert werden.“

Wer Jaff kennenlernt, merkt, dass ihr „das Tun“ am meisten Freude macht. Und so wechselte sie an einem Tag schon mal zwischen Programmiererin, Studentin, Autorin, Gründerin, Speakerin und Tochter hin und her. Das sei aufregend, so Jaff – aber auch nicht immer ganz einfach. „Es ist gar nicht so leicht, so viele Hüte aufzuhaben. Aber es ist den Stress immer wert und ich bin froh, in so jungen Jahren so viel ausprobieren zu können.“ Als Nächstes eben in China.

Aya Jaff ist ein Mitglied der Forbes 30 Under 30-Liste 2019. Mehr über Aya Jaff lesen.

Der Artikel ist in unserer Juni-Ausgabe 2019 „30 Under 30“ erschienen.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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