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Die „Ciudad de las artes y las ciencias“ sollte als Symbol für den spanischen Wirtschaftsboom in Valencia stehen. Doch die einstmalige Vorzeigeregion schlitterte mit Bauprojekten wie diesen in eine finanzielle Krise.
Der Beginn sollte eigentlich ganz gut laufen: Im Jahr 2007 wurde die „Ciudad de las artes y las ciencias” (im Deutschen: Stadt der Künste und der Wissenschaften) in der drittgrössten spanischen Stadt Valencia als einer der „Zwölf Schätze von Spanien” (im Spanischen: 12 Tesoros de España) gewählt. Dabei handelt es sich um eine Art Gegenkonzept zu den „Sieben Neuen Weltwundern” für spanische Kulturwerke. Damit hatte der aus sieben futuristisch anmutenden Bauten bestehende kulturelle und architektonische Gebäudekomplex seinen Zenit vorerst erreicht. Denn auf dieser Liste standen beispielsweise bereits spanische UNESCO-Weltkulturerben wie die Kathedrale von Santiago de Compostela und die maurische Stadtburg Alhambra in Granada.
Symbol für den spanischen Wirtschaftsaufschwung
Die Wurzeln des ambitionierten Projektes liegen im spanischen Wirtschaftsboom Mitte der 1990er-Jahre, die jedoch mit der globalen Finanzkrise 2007/2008 („Subprime-Krise“) enden sollte. Die Region Valencia, vor allem bekannt für ihre Zitrusfrüchte, galt damals als Musterbeispiel für den spanischen Wirtschaftsaufschwung und als Zentrum des Immobilienbooms. Deshalb sollte die gleichnamige Hauptstadt der Region optisch aufpoliert werden. Bis dahin befand sich die an der Mündung des Flusses Turia gelegene Stadt – kulturell betrachtet – im Schatten der Städte Barcelona und Sevilla. 1992 fanden beispielsweise die olympischen Sommerspiele in Barcelona statt und die Expo in Sevilla. Mit einer Reihe von ambitionierten Bauprojekten in Valencia sollte sich das ändern und sich die Stadt endlich ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit rücken. Eines der Projekte sollte die „Ciudad de las artes y las ciencias“ werden. Ziel war es, den „Besuchern kulturelle und wissenschaftliche Themen in einer einzigartigen architektonischen Umgebung näherzubringen“, so Maria José Garcia, Pressesprecherin des Komplexes.
Das Projekt wurde von der „Generalitat Valenciana“, der Regierung der autonomischen Region Valencia, in Auftrag gegeben und von den beiden bekannten Architekten Santiago Calatrava und Félix Candela konzipiert. Die Planungsarbeiten zu dem Mammutprojekt begannen im Jahr 1994 – den offiziellen Namen „Ciudad de las artes y las ciencias“ erhielt das Projekt 1996. Mit der Eröffnungsfeier des „L‘Hemisféric“, einem Planetarium und IMAX-Kino, öffnete die „Stadt der Künste und der Wissenschaften“ am 16. April 1998 zum ersten Mal. Nach und nach kamen weitere architektonische Elemente dazu: Das „Umbracle“, eine Grünanlage (3. November 2000), das Wissenschaftsmuseum „Museu de les Ciénces“ (12. November 2000), das „Oceanográfic“ (2003), mit 110.000 Quadratmetern das grösste Aquarium Europas, das Opernhaus „El Palau de le Arts“ (2005) sowie die Schrägseilbrücke „Pont de l'Assut de l'Or“ (2008). Das bis dato jüngste Bauwerk der Stadt der Künste und der Wissenschaften war die „L’Àgora“ (2009), ein Austragungsort für kulturelle und sportliche Veranstaltungen. Insgesamt erstreckt sich der moderne Gebäudekomplex heute auf einer Fläche von 350.000 Quadratmetern. „Die Stadt der Künste und der Wissenschaften hatte einen direkten Einfluss auf den Anstieg des Tourismus in Valencia. Denn damit war der Tourismus nicht mehr so stark vom saisonalen Tourismus abhängig“, sagt Garcia. Dabei beruft sie sich auf Daten der valencianischen Tourismusstelle „Turismo Valencia“. Während Valencia im Jahr 1992 noch 372.205 Besucher verzeichnete, waren es im Jahr 2006 bereits rund 1,6 Millionen. 2017 besuchten über zwei Millionen Touristen die Stadt an der Südostküste Spaniens.
„Stadt der Verschwendung“
2007 brach die Finanzkrise aus und Spanien schlitterte in in eine tiefe Rezession. Diese traf Valencia, das Epizentrum des spanischen Baubooms, besonders schwer. Die Immobilienblase platzte, die Folgen waren weitreichend: hohe Verschuldung der Region Valencia und eine rasant steigende Arbeitslosigkeit. Noch im Jahr 2013, also sechs Jahre nach der Finanzkrise, hatte die autonome Region Valencia laut der deutschen Tageszeitung Die Welt ein Haushaltsdefizit von 3,5 Milliarden Euro und war die höchstverschuldete Region im kriselnden Spanien. Ausserdem betrug die Arbeitslosenquote 28,1 Prozent – zwei Prozent über dem landesweiten Durchschnitt. Parallel dazu wurde – zum Unmut der Bevölkerung – allmählich publik, was für ein enormes Loch der Bau grosser öffentlicher Projekte in die Haushaltskasse der Region Valencia gerissen hatte. Am Beispiel der Stadt der Künste und Wissenschaften lässt sich gut darstellen, wie locker die in Valencia damals mit absoluter Mehrheit regierende konservative Partei „Partido Popular” (PP) mit öffentlichen Geldern umging: Laut den damaligen Recherchen von Marga Sanz, Abgeordnete der Esquerra Unida (Vereinigte Linke), erhielt allein Santiago Calatrava, einer der beiden Architekten des Projektes, für sein Engagement ein Honorar von 94 Millionen €.
In diesem Zusammenhang machte oftmals das Schlagwort „despilfarro“ (spanisch für „Verschwendung“) in den nationalen Medien die Runde. Im selben Atemzug genannt: Valencia. Das Bild vom Musterbeispiel des spanischen Wirtschaftsaufschwung verblasste – Valencia galt nunmehr als Symbol der Verschwendung und Zügellosigkeit der politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen, allen voran die Regierungspartei PP. Letztendlich verlor die Partei, die seit 1999 Valencia regiert hatte, 2015 bei den Kommunal- und Regionalwahlen aber ihre absolute Mehrheit. Die hohen Stimmenverluste waren laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vor allem auf die aufgedeckten Finanzskandale und Fälle von Veruntreuung öffentlicher Gelder in der Vergangenheit zurückzuführen. Besonders in Kritik geriet die finanzielle Sinnhaftigkeit teurer Vorhaben wie der Stadt der Künste und der Wissenschaften. Das damals von der PP abgesegnete Budget für das Projekt von umgerechnet 300 Millionen € wurde während der Bauphase bei weitem überschritten: Die finalen Baukosten betrugen am Ende etwa 1,2 Milliarden €. Die Betriebskosten der Sehenswürdigkeit belaufen sich laut der britischen Tageszeitung Telegraph noch heute auf jährlich 40 Millionen €.
Langsame Erholung
Für die Stadt der Künste und der Wissenschaften bedeutete dies natürlich einen riesigen Reputationsverlust. Laut Pressesprecherin Garcia wurde die Reissleine gezogen und die Verantwortlichen, oftmals mit politischem Hintergrund, ausgetauscht. „Es kam zu einer Restrukturierung des Managements. Dafür wurde eine Belegschaft eingesetzt, die mit professionellem Management agieren kann und weniger aus politischen Kreisen kommt“, so Garcia. Laut Garcia war es eines der strategischen Ziele, die Reputation wieder herzustellen – und zwar mit „seriöser, ehrlicher und effektiver Arbeit.“ Das habe man mittlerweile erreicht. „Der Ruf der Stadt der Künste und Wissenschaften wurde durch Transparenz in der Verwaltung und durch die Diversifizierung der Kanäle und Kommunikationsmittel nach und nach wieder verbessert“, so Garcia.
Der fragwürdige Ruf als spanische „Hauptstadt der Verschwendung und Korruption“, wie es die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) auf den Punkt brachte, wird dennoch wohl noch einige Zeit an Valencia haften. Auch wenn die Stadt laut einem Bericht der deutschen WirtschaftsWoche seit 2015 eine 180-Grad-Kehrtwende vollzogen hat und die Wirtschaft wieder erstarkt – die Schulden aus der Vergangenheit sind noch lange nicht getilgt.
Immerhin aber scheint der Touristenandrang in Valencia heuer an die Zeiten vor der Krise anzuknüpfen. Vergangenes Jahr besuchten wie bereits erwähnt zwei Millionen Touristen die Stadt – ein neuer Rekord. Gleichzeitig wurden laut Garcia 2,6 Millionen Tickets für die Stadt der Künste und der Wissenschaften und damit acht Prozent mehr als im Jahr 2017 verkauft. Wie es scheint kann sich die Sehenswürdigkeit nun darauf konzentrieren, was es eigentlich schon immer hätte sein sollen: ein Besuchermagnet. Ob die futuristische Kunst- und Wissenschaftsstadt im trockengelegten Flussbett des Turia aber jemals ihren Ruf als „Monument der Verschwendung“ abstreifen kann, bleibt abzuwarten.
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