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Seit dem ersten Höhenstreben, dem Turmbau zu Babel, sind architektonische Utopien wichtig, sind sie doch dafür da, gesellschaftliche Entwicklungen in der Zukunft räumlich zu skizzieren, und ein besseres – vielleicht auch spannenderes – Leben zu ermöglichen.
Wir Architekten bekommen leuchtende Augen, wenn unsere Gedanken utopisch werden dürfen. Schwebende Bauteile, Lichtsimulationen, Spannweiten, die eingezogene Himmel suggerieren, Freiheit, glückliche Menschen, in allen Ebenen sattes Grün. Unserer Generation kommt die dringliche, wenngleich gestalterisch vorerst wenig romantische Aufgabe zu, das Problem der Energieversorgung und Nachhaltigkeit zu lösen. Alle Utopien müssen sich dieser Forderung ernsthaft unterordnen.
Und fast alle visionären Renderings haben eines gemeinsam: grüne Optik in hochragenden städtischen Strukturen. Aber das begrünte, nahrungsautarke Hochhaus ist ein Widerspruch in sich. Es hat einen gewaltigen Energiebedarf, grosse Erschliessungskerne und sehr hohe Errichtungs- und Betriebskosten. Fällt an heissen Sommertagen die Bewässerungsanlage der grünen Fassade aus – und kommt nicht der Techniker und Gärtner auf dem Fahrrad herbeigeeilt, ist das Grüne Haus Geschichte. Urban Farming in luftiger Höhe? Pflanzen wachsen doch ganz einfach im natürlichen Boden.
Christian Heiss
...ist Architekt und leitet das gleichnamige Atelier Heiss in Wien. Die Projektschwerpunkte liegen in den Bereichen Wohnbau, Hotel und Office. 2014 erhielt Atelier Heiss den österreichischen Staatspreis für Architektur.
Generell haben viele Segnungen unserer Zeit einen hohen Energiebedarf. Hatten wir früher alle Informationen im Kopf, sind sie heute ins Smartphone ausgelagert. Das Smart Home, mit Computern, Streamingdiensten, Standby & Co. steht am Anfang seiner Entwicklung. Wir alle schätzen diese Annehmlichkeiten und es gibt wohl keinen Weg zurück. Damit werden unsere Ressourcen nachvollziehbar knapper. Der Beitrag der Architektur zur Ressourcenschonung sollte vor diesem Hintergrund mehr denn je den Anspruch haben, dass Gebäude hunderte Jahre bestehen bleiben und für ihre Benutzer da sind. Ein gut durchdachtes Bauwerk, anpassbar durch klare Strukturen kann fast ewig bestehen. Der energetische und ökologische Supergau ist, ein Gebäude nach 30 Jahren wieder abzubrechen und neu zu errichten.
Die Stadt als Ausdruck des gebauten Fortschritts ist sehr attraktiv. Es leben heute mehr als 50 % der Bevölkerung in Städten, Tendenz steigend. Die meisten Utopien versuchen zu Recht dies zu lösen. Vielleicht braucht es aber mehr Ideen für das Leben am Land, im Einklang mit der Natur. Und ein Paradigmenwechsel ist tatsächlich in Sicht: So wie erst die Erfindung des Aufzugs die Utopie des Wolkenkratzers Realität werden liess, sind es abermals technische Errungenschaften, die uns in eine ganz neue Richtung zu denken erlauben. Homeoffice, die Akzeptanz von Videokonferenzen und der positive Aspekt von Zustelldiensten bilden neue Bausteine für attraktive ländliche Arbeits- und somit auch Wohnformen.
Apropos, unlängst wollte ich den Baum fragen: Was ist deine Utopie für die nächsten 200 Jahre? Von seiner Antwort konnte ich nur „grosszügig“ verstehen.
Gastkommentar: Christian Heiss
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Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 6–21 zum Thema „NEXT“.