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In der Opernszene ist Lydia Steier schon lange ein Begriff. 2009 schaffte sie mit nur 30 Jahren ihren Durchbruch. In Österreich inszenierte die Regisseurin zuletzt die „Zauberflöte“ bei den Salzburger Festspielen.
37,4 Meter Durchmesser, ein 27 Meter hoher Bühnenturm, 250 Scheinwerfer: Die Drehbühne der Oper Frankfurt ist nicht nur beeindruckend, sondern auch die grösste ihrer Art in Europa. Hinter ihr hängen verschiedene Kulissenteile an Seilen von der Decke. Zwischendrin ein Baum, rundherum Bühnenarbeiter, die die Ausstattung für zwei Stücke vorbereiten, die Lydia Steier zum Zeitpunkt unseres Gesprächs bald zur Premiere bringen soll.
„Zwei kürzere Opern“ seien es, sagt uns die Regisseurin. Die eine: „Oedipus Rex“, ein von Igor Strawinsky im Jahr 1924 komponiertes Stück in lateinischer Sprache, das 1928 an der Wiener Staatsoper uraufgeführt wurde. Die Zweite: „Jolanthe“, eine lyrische Oper von Pjotr Iljitsch Tschaikowski. „Was beide Stücke eint“, sagt Steier, „ist das Thema der Blindheit. Nicht nur im physischen Sinn, sondern auch, dass wir – aus welchen Gründen auch immer – Dinge nicht sehen können oder wollen.“ Die Teile der jeweiligen Bühnenbilder lassen erahnen, dass Steier den Blick der Zuseher auf Dinge zwingen will, die nicht von Wohlgefühl begleitet sein werden. Die Auseinandersetzung mit der Gegenwart sieht die US-Amerikanerin als Verpflichtung, egal wie alt die Stücke sind. „Wir leben in Zeiten grosser Unsicherheit, das sollte uns beschäftigen. Der grosse Unterschied zwischen einer Opernproduktion in den USA und in Europa ist, dass in Europa – insbesondere im deutschsprachigen Raum – eine Interpretationsebene nicht nur erwünscht, sondern als notwendig erachtet wird.“ Wer Lydia Steier kennt oder eine ihrer Inszenierungen gesehen hat, weiss: Hier werden Zuseher gefordert. Und Steier ist sich wiederum im Klaren, dass ihre Arbeit durchaus polarisiert. Ihre eigene Einführung in die Oper war Miloš Formans Film „Amadeus“. „Ich war sechs Jahre alt, als ich den Film gesehen habe – und ich war sofort besessen“, erzählt sie freudestrahlend. Über Mozart habe sie zu Bach, Barockmusik, dann zur barocken Kunst und Kultur gefunden, beginnt sie aufzuzählen. Heute gilt die Haydn-Liebhaberin aber auch als Verfechterin moderner Musik.
Ich würde gerne einen Opernfilm machen. Ein Ding, das man perfekt macht und das perfekt bleibt.
Erst einige Jahre nach dem Forman-Film habe ihre Mutter ein Abonnement für die Connecticut Opera gekauft und ihr so erste Opernbesuche ermöglicht. „Das waren die schlechtesten Produktionen, die man sich vorstellen kann“, blickt sie zurück. Ein frühes ihrer Ziele war daher, „die Ohren wie die Augen“ gleichermassen gut zu bedienen. Doch woher ihre eigene Vorstellungskraft, die Bildgewalt auf der Bühne komme, wollen wir wissen. Rückblickend betrachtet wurde ein Talent, in Storyboards zu denken, vielleicht von den vielen Comics in ihrem Elternhaus geprägt. „Meine Mutter war Feuer und Flamme dafür“, erzählt sie, eine Zeit lang habe ihre Mutter – nachdem die vier Kinder grösser waren – auch Comics koloriert. „Das hatte vielleicht wirklich Einfluss auf meine heutige Arbeit“, so Steier weiter.
Die Liebe zur klassischen Musik führte Steier jedenfalls zum Klavier- und Gesangsstudium am Oberlin-Konservatorium und zu einem Regiestudium an der Carnegie Mellon University. Und mit dem Magister-Abschluss und einem Fulbright-Stipendium war ihre nächste Station Berlin. „Ich wollte die Kulturfinanzen in Berlin erforschen“, erzählt sie. Damals habe sie auch begonnen, als Regiehospitanz und später als Regieassistentin zu arbeiten und stand Regiegrössen wie Calixto Bieito oder Barrie Kosky zur Seite. Relativ früh war nämlich klar, dass Steier ihre Gesangskarriere an den Nagel hängen wird. „Das lag an meiner Persönlichkeit“, sagt sie. „Als Sänger setzt man den Input von Gesangslehrern, Dirigenten und Regisseuren um. Ich wollte die Chefin sein.“ Die wurde sie mit nur 30 Jahren. Es war 2009, als sie für ihre Inszenierung von „Turandot“ von Ferruccio Busoni vom Deutschlandradio zur „Neuentdeckung des Jahres“ gekürt wurde.
Steier gilt als Vielarbeiterin – bis zu vier Inszenierungen setzt sie im Jahr um, zwei bis drei Jahre im Voraus werden ihre Stücke angeboten. Auf diese Weise ist die Opernregisseurin in einer Art Dauerrecherche- und Vorbereitungsmodus sowie in einem fast durchgehenden Premierenfieber. Auf ihrer Wunschliste stehe die Produktion eines Opernfilms, sagt sie. Der sei in den 1970er-Jahren – auch – wegen Placido Domingo sehr modern gewesen, grinst sie. „Wir arbeiten am Theater ja immer von Tag zu Tag. Mal fällt wer aus, mal singt die Assistentin – wir haben alles schon gehabt. Ich hätte gerne eine Art Permanenz – ein Ding, das man perfekt macht und das perfekt bleibt.“
Dieser Artikel ist in unserer November-Ausgabe 2018 „Europa“ erschienen.