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Wenn Otto E. Wiesenthal und seine Töchter Saskia und Lisa über ihr Hotel Altstadt Vienna zu erzählen beginnen, schlagen sie stets Brücken zur Geschichte des Hauses, zu ihrem Grätzel und zur Historie der eigenen Familie. Auch jedes einzelne Zimmer bekommt über ausgewählte Kunst und individuelles Design sein eigenes Narrativ – und über allem steht die Inspiration für die Menschen, die hier ein und aus gehen, und jene, die bleiben.
Grete Wiesenthal war eine seit den 1920er-Jahren berühmte Tänzerin, Schauspielerin und Choreografin aus Wien, deren Arbeit viele Jahre lang unter anderem mit dem Theater- und Filmregisseur Max Reinhardt verbunden war. Berühmt war sie auch als tanzende Botschafterin des Wiener Walzers von Johann Strauss Sohn, so heisst es. In Abbildungen der Tänzerin sieht man sie in zurückgelehnter Pose mit weit ausgestreckten Armen – „sie hat beim Tanzen oft den Blick nach oben gerichtet“, erzählt Saskia Wiesenthal über ihre berühmte Vorfahrin.
Das sei auch der Grund dafür gewesen, einen der drei Räume der Grete-Wiesenthal-Suite mit einem Deckenspiegel zu versehen. Die Architektin Antonella Amesberger zeichnet für die Gestaltung der jüngsten Suite des Hotels Altstadt Vienna verantwortlich, das von Otto Ernst Wiesenthal und seinen Töchtern Saskia und Lisa betrieben und gemeinsam mit ihrem Team (darauf legen die Wiesenthals im Interview grössten Wert) geführt wird. In der Suite sind, in Anerkennung der Künstlerin, Ballettschuhe im Regal platziert sowie Bilder zum Thema Tanz und ein Foto der Künstlerin selbst in den drei Räumen arrangiert, die auch als Seminarräume genutzt werden können. Das sei aktuell sehr gefragt, so Saskia Wiesenthal.
Insgesamt zählt das Hotel in der Kirchengasse 62 individuell gestaltete Zimmer. Sie wurden allesamt vom Eigentümer des Gebäudes gemietet und in den Hotelbetrieb des Altstadt Vienna integriert. Vergrössert wurde das Kontingent immer dann, wenn wieder Einheiten im Haus frei und an die Wiesenthals vermietet wurden. Es steckt viel Energie, Geschmack und Herz in diesem Projekt – dass es strategisch klug und kaufmännisch geschickt geführt wird, dabei leichtfüssig kosmopolitisch und gleichzeitig sehr wienerisch daherkommt, verdankt das Hotel seiner Eigentümerfamilie, die allesamt Quereinsteiger in der Hotelbranche sind.
Otto Wiesenthal war viele Jahre im Finanzwesen, in der Industrie und zuletzt als Osteuropa-Chef bei Wang Computers tätig und in dieser Funktion auch für Investitionen in Start-ups in Osteuropa verantwortlich. „Ich habe mit 22 Leuten begonnen, habe das Team auf 170 gebracht und musste es Ende der 1980er-Jahre wieder auf 100 Personen zurückbauen“, erzählt Wiesenthal von seinem beruflichen Werdegang. Das war während des weltweiten Einbruchs in der Computerbranche zu dieser Zeit – und eine für ihn so schwierige Situation, dass er beschlossen habe, danach etwas anderes zu tun und Wang Computers zu verlassen.
Etwa zu dieser Zeit habe ihn einer seiner ehemaligen Kunden aus Russland gebeten, ihn bei der Suche nach einem Objekt in Wien zu unterstützen. „Er wollte ein Hotel in Wien eröffnen“, sagt Wiesenthal; die Stadt habe es dem Mann angetan, er hielt das damals auch für „eine gute Investition“. Warum der Russe ausgerechnet auf ihn gekommen sei? „Ich war immer schon ein hotelaffiner Mensch. Im Unternehmen hatte ich stets die höchsten Hotelrechnungen, weil ich mir immer die schönsten Plätze angeschaut habe“, sagt Wiesenthal mit einem Grinsen. Irgendwann sei er auf seiner Suche auf das Objekt in der Kirchengasse 41 im siebten Wiener Bezirk gestossen – gemeinsam wurde das Haus begutachtet, das damals noch von Emigranten aus Russland bewohnt wurde, die in Wien auf ihre Ausreisepapiere für die USA, Israel oder Kanada warteten.
Das war im Jahr 1991 – eine politisch nicht nur in Europa äusserst bewegte Zeit, und das Jahr, in dem die ehemalige Sowjetunion endgültig zerfiel. Am Ende dieses Sommers versuchten konservative Kommunisten, den damaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow zu entmachten, was misslang; ein Vorfall, der als Augustputsch von 1991 in die Geschichte einging.
Für das Hotel Altstadt und Otto Wiesenthal bedeutete die Gesamtsituation in Moskau 1990/91, dass der russische In-vestor sich von dem Hotelprojekt zurückzog. „Damals“, so Wiesenthal, „bin ich durch den jetzigen Salon gegangen, habe den Blick über den Sankt-Ulrichs-Platz und die Kirche vis-à-vis schweifen lassen und habe mir gedacht: ‚Ich könnte das eigentlich selbst machen!‘ Daraufhin haben mich rundherum einmal alle für verrückt erklärt“, lacht er. Mit damals 18 renovierten von insgesamt 24 Zimmern habe er zu Ostern 1991 den Hotelbetrieb aufgenommen. „Nach Ostern haben wir wieder zugesperrt und die restlichen sechs Zimmer umgebaut.“ Es sei die richtige Entscheidung gewesen, so der Hotelier: „Es war damals ein bisschen wie zur Covid-Zeit: Der Irak-Krieg war im Gang und es wurden im Mittelmeer Rohöltanker beschossen; keine gute Zeit für den Tourismus.“ Am 12. Juni 1991, Wiesenthals Geburtstag, wurde wiedereröffnet – „und seitdem ist es eigentlich wunderbar gelaufen“, resümiert der Hotelier.
Besonders für zwei Dinge ist das Altstadt bekannt: die einzigartige Atmosphäre für Mitarbeiter wie Gäste und die Kunst, die im Haus omnipräsent ist. Beidem, und auch dem laufenden Geschäft, drücken Lisa und Saskia Wiesenthal bereits seit den 2010er-Jahren ihren Stempel auf. An der offiziellen Generationenübergabe arbeite die Familie aktuell intensiv: „Wir haben uns dafür auch Unterstützung geholt. Morgen haben wir eine Arbeitssitzung mit diesen Beratern“, so Lisa Wiesenthal, die für Finance und Sustainability verantwortlich sowie glühende „Human Potential“-Managerin ist, wie die HR-Agenden im Hotel heissen.
Die jüngste der drei Schwestern (die älteste ist Gynäkologin und nicht im Hotelgeschäft involviert) hat Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien und an der ETH Zürich sowie Kultur- und Sozialanthropologie in Wien studiert und ist nach mehreren Auslandsaufenthalten als Stadtforscherin in die Hauptstadt zurückgekehrt. Die Frage, „was Menschen mit Räumen machen“, erzählt sie über ihren Lebensweg, habe sie „von der Architektur zur Stadtforschung“ geführt. „Was ist Menschen wichtig? Welche Geschichten erzählen sie sich und wie gestalten sie ihre Räume durch Bilder, Geschichten; und was macht dieses städtische Leben eigentlich aus?“, erzählt Lisa Wiesenthal im Podcast des Altstadt Vienna ihrer Schwester Saskia. Ein Blick in das Hotel zeigt, wie viel Einfluss diese Fragen auf die Gestaltung des Hauses haben.
Im Hotelbetrieb startete Lisa als Rezeptionistin, wurde dann Frontoffice-Managerin mit Personalagenden. Immer wieder kommt das Gespräch auf die Mitarbeiter des Hotels, die zum Teil fast seit dem Beginn mit dabei sind und die von allen drei Wiesenthals sehr geschätzt werden; nicht zuletzt als essenzieller Teil der Kultur des Hauses. Saskia Wiesenthal: „Es war etwa zu Beginn des Hotelbetriebs, als sich unsere Eltern scheiden liessen – danach wurden die Hotelmitarbeiter und -mitarbeiterinnen irgendwie zu einer zweiten Familie, auch für Otto. Wir haben unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen immer sehr bedacht ausgesucht.“
Diese Art der Beziehung zum Team sei spürbar. Und der Claim des Hauses, ergänzt Saskia Wiesenthal, auch in ihrer Funktion als Marketingchefin, sei ja auch „Your Home Away From Home“. Im Altstadt Vienna habe alles eine Geschichte, sagt sie – „unsere Gäste sind bei uns sofort in Wien und leben im Haus mit Wiener Nachbarn“. Hier sei alles authentisch und irgendwie entspannter als in herkömmlichen Hotels, so Lisa Wiesenthal. Und: Für ein Hotel garni, ergänzt Otto Wiesenthal, seien 48 Köpfe bzw. 35 Vollzeitäquivalente sehr viel, wenngleich die Auslastung des Hotels zu Spitzenzeiten bei 92 % liegt; jetzt im Frühjahr liege man bei 75 % bis 80 %. „Wir versuchen nun“, sagt Lisa Wiesenthal, „mit der Auslastung etwas runter-, dafür mit dem Preis etwas raufzufahren. Wir halten es nicht für gut, immer auf vollste Auslastung zu gehen – auch wegen der Mitarbeiterbelastung.“ Mit den Umsätzen des Hauses sind alle zufrieden: „Im Augenblick verbuchen wir pro Zimmer und Jahr fast 100.000 €“, so Lisa Wiesenthal. Vater Otto fügt hinzu: „Das ist für ein Hotel unserer Kategorie wirklich sehr gut.“
Das Thema der Nachhaltigkeit – vom Personal über Profaneres wie Ökostrom bis hin zu regionalen Zulieferern von Lebensmitteln – läuft neben dem Kunstfokus eher still mit. „Wir sind kein Ökohotel“, so Lisa zu Saskia Wiesenthal im Podcast, „unser Fokus liegt auf der Kunst und dem Leben in Wien. Das Thema Umwelt war für uns dennoch immer wichtig – uns wurde als erstem Hotel in Wien das Österreichische Umweltzeichen verliehen.“ Gäste werden darüber informiert, dass sie Rad und U-Bahn fahren oder das gute Wiener Leitungswasser trinken können. Beim Wiener Lebensgefühl gehe es auch darum, „das Bewusstsein für die kleinen Dinge des Alltags in Wien zu wecken“, so Lisa Wiesenthal.
Im Fokus des Hotels steht aber eindeutig die Kunst – und die individuelle Gestaltung der einzelnen Zimmer und Suiten. Diverse Künstler, Architekten und Designer wurden mit der Gestaltung der Räume betraut; etwa Matteo Thun, Adolf Krischanitz oder zuletzt Antonella Amesberger für die Grete-Wiesenthal-Suite. Die Kunst kommt von den Wiesenthals selbst: Gemanagt wird die über 400 Objekte umfassende private Kunstsammlung von Saskia Wiesenthal, sie erweitert sie auch für das Hotel. Die Sammlung zeitgenössischer Kunst umfasst Werke von Markus Prachensky, Niki de Saint Phalle, Annie Leibovitz, Andy Warhol, Christian Ludwig Attersee, Gottfried Helnwein und vielen anderen. Ein Teil davon ist eingelagert, die Werke selbst wechseln auch die Räume – auch aus Sicherheitsgründen, so Saskia Wiesenthal. Vater Otto ergänzt: „Die Gäste können sich die Zimmer nicht nach Bildern aussuchen. Es kann sich niemand im ‚Picasso-Zimmer‘ einbuchen“, lacht er. Selbstverständlich seien die Bilder alarmgesichert – und zum Teil sind sie so gross, dass es auffallen würde, wenn sie rausgetragen würden.
Sein erstes Bild, ein Werk von Franz Ringel, sagt Otto Wiesenthal, habe er als 19-Jähriger um 1.000 Schilling (rund 73 €) gekauft. Es hänge heute bei ihm „zu Hause am Klo“. „Damals“, sagt er, „also vor 50 Jahren, haben alle gesagt: ‚Ein grässliches Bild!‘ – und 30 Jahre später dann: ‚Ein super Bild!‘“ Vor vier Wochen habe er einen weiteren Ringel gekauft, erzählt er. „Vermutlich mein letzter Ringel-Kauf. Er hat mir gut gefallen und ich finde, dass Ringel noch zu vernünftigen Preisen zu erwerben ist.“ Bei vielen anderen, so Wiesenthal, auch bei völlig unbekannten jungen Künstlern, seien die Preise oft unverschämt hoch, das interessiere ihn dann nicht mehr; auch, wenn deren Arbeiten gut seien. „Ich sehe darin oft keine Verhältnismässigkeit mehr“, sagt er.
Beim Auf- und Ausbau der Sammlung, so Saskia Wiesenthal, kontaktiere und besuche sie die Künstler am liebsten persönlich, schaue sich die Ateliers an. „Meistens sind es Begegnungen, die auch zu Freundschaften werden können“, sagt sie. Die Kunst komme über verschiedene Wege zu ihnen. Saskia Wiesenthal: „Manchmal rufen Galeristen an und berichten, sie hätten ein Werk eines langersehnten Künstlers da. Oder der Otto ist auf einer Kunstmesse unterwegs.“
Für das Hotel, wie für alle anderen Räume, gelte, so Otto Wiesenthal: „Wenn Kunst drinnen ist, fühlt es sich anders an.“ Und es gab „immer wieder Bilder, die wir aus den Zimmern rausnehmen mussten, weil sie die Gäste nicht ausgehalten haben“. Andere Kunstwerke wiederum bleiben an Ort und Stelle, wie einige des deutschen Künstlers Carsten Fock, die er direkt auf die Wände aufgetragen hat, erzählt Saskia Wiesenthal von den vielen Freundschaften, die aus der Liebe zur Kunst entstanden sind. Es seien die Beziehungen und der Austausch mit den Menschen generell – seien es die Gäste, die Künstler oder die Mitarbeiter –, die das Hotel zu einem sehr besonderen Ort machen, sagt Lisa Wiesenthal. „Wir haben auch keine Konkurrenten und pflegen mit Kollegen aus der Branche ein offenes Verhältnis“, ergänzt Otto Wiesenthal. „Ich übernachte auch gerne in anderen neuen Hotels, um mich inspirieren zu lassen; oder zu schauen, ob uns jetzt die Gäste in Scharen davonlaufen werden“, lacht er.
Ob er das Hotel Altstadt Vienna als Familienunternehmen geplant habe, wollen wir von ihm noch wissen: „Das Hotel war immer schon ein Familienbetrieb für mich, da auch die Mitarbeiter zu meiner Familie geworden sind. Später kamen dann meine Töchter dazu. Aber klar, es sind ja immer die Charaktere der Beteiligten mit einzuberechnen. Und in unserer Familie sind wir alle sehr eigenständige und eigenwillige Geister. Das heisst: Jeder denkt für sich selbst!“
Otto Ernst Wiesenthal (geb. 1949) war, bevor er 1991 das Hotel Altstadt Vienna eröffnete, in der Finanz-, Auto- und Computerbranche tätig. Über seine Mutter Helga (geb. Lauda) ist er mit Formel-1-Legende Niki Lauda (Cousin) verwandt. Otto Wiesenthals Sammlung zeitgenössischer Kunst umfasst rund 400 Werke, darunter Markus Prachensky, Brigitte Kowanz oder Annie Leibovitz. Im Jahr 2019 wurde Otto Ernst Wiesenthal als Hotelier des Jahres ausgezeichnet.
Saskia Wiesenthal (geb. 1979) ist Marketing- und Art-Managerin im Hotel Altstadt Vienna. Sie studierte Kunstgeschichte und Marketing&Sales und ist ausgebildeter Ernährungscoach. Vor ihrer Hotelkarriere war sie bei Unilever und Osram tätig.
Lisa Wiesenthal (geb. 1981) ist für Finance & Sustainability im Hotel Altstadt verantwortlich. Sie studierte Architektur und Kultur- und Sozialanthropologie in Wien und Zürich. Die ausgebildete Yogalehrerin war international als Stadtforscherin tätig.
Fotos: Philipp Horak