Tunnelblick

Der Bau des längsten Stadttunnels Europas, des Blanka Tunnels in Prag, sorgte sowohl für Aufbruchstimmung als auch für harte Kritik – bis heute. Ein Blick in das „Innere“ des Komplexes.

Eine Bauzeit von fünf Jahren, Kostenexplosionen über 1,6 Milliarden € – und am Ende stand in Prag ein Stadttunnel von sechs Kilometern Länge. Doch was steckt hinter einem der grössten tschechischen Bauprojekte? Zuerst einmal zu den örtlichen Gegebenheiten: Der Blanka-Tunnelkomplex führt vom Westen der Prager Burg Richtung Nordosten zur Moldau, wo eine neue, 250 Meter lange Brücke zum Stadtteil Troja führt. Der Komplex wurde parallel zur Prager Autobahn “Dálnice 0“ errichtet, welche die gesamte Stadt weitläufig umschliesst.

Der Tunnel ist Teil der unterirdischen, innerstädtischen Ringstrasse. Obwohl der Ring noch nicht vollständig geschlossen ist, wird der Tunnelbetrieb dadurch nicht gestört. Über zahlreiche Abfahrten und Verbindungsrampen gelangt man sowohl in die Stadt als auch in Richtung Flughafen. In Zukunft aber soll der Blanka Tunnel auch den letzten fehlenden östlichen Teil des Rings bilden.

Hauptziel des Tunnelprojektes ist es, den Transitverkehr in der historischen Innenstadt zu verringern und gleichzeitig die Fahrzeit zu minimieren, wenn man die Stadt mit dem Auto durchqueren will. Anhänger der Prager Bürgerinitiative Auto*Mat weisen allerdings daraufhin, dass das Verkehrsaufkommen in der Innenstadt nicht gesenkt werden konnte. Das liegt daran, dass viele Menschen aufgrund des Tunnelbaus auf öffentliche Verkehrsmittel verzichten und dennoch mit dem Auto in die Innenstadt fahren. Und: Durchschnittlich nutzen rund 75.000 Fahrzeuge täglich den Tunnel – durch diese unerwartet hohe Anzahl kommt es aber häufig zu Durchfahrstopps und Staus an den Tunneleinfahrten. Ein Teil der Autofahrer weicht somit wiederum in die Innenstadt aus, was das Verkehrsproblem dort zusätzlich erhöht.

Mediale Aufmerksamkeit erlangte das Grossprojekt insbesondere durch den mehrmals verzögerten Fertigstellungstermin sowie die Kostenexplosion. Der Tunnelkomplex wurde vom damaligen Prager Bürgermeister Pavel Bém 2006 in Auftrag gegeben. Im Juni 2007 begannen die Bauarbeiten, die aufgrund mehrerer Verzögerungen bis 2011 andauerten. Zur endgültigen Eröffnung kam es erst im September 2015. Zur Zeit der Auftragserteilung wurden die Kosten noch auf 27 Milliarden Kronen (etwa eine Milliarde €) geschätzt. Bis Fertigstellung des Grossprojekts hatten sich die Kosten jedoch auf 43 Milliarden Kronen (1,6 Milliarden €) erhöht.

Beteiligte Parteien

„Das Projekt des Blanka-Tunnelkomplexes wurde von der Stadt Prag, die als Investor agierte, in mehrere Einheiten unterteilt. Es gab einerseits mehrere bauliche Einheiten als auch eine rein technische Einheit, die von CKD Praha DIZ (tschechisches Bauunternehmen, Anm.) bereitgestellt wurde. Die Konstruktionen wurden hauptsächlich vom Unternehmen Metrostav als Generalunternehmer gebaut, ein kleinerer Abschnitt wurde von der Firma Eurovia durchgeführt. Metrostav selbst arbeitete noch mit zahlreichen Subunternehmen zusammen – wie etwa Doprastav, Subterra und Skanska“, sagt Vojtec Kostiha, leitender Pressesprecher bei Metrostrav.

Die Prager Stadtregierung als primärer Auftraggeber des Grossprojekts verfolgte die Idee eines neuen Tunnelsystems bereits seit den späten 1990er-Jahren. Während der Bauzeit fand jedoch ein häufiger Machtwechsel in der Politik statt. Zwischen dem Baubeginn und der Inbetriebnahme des Tunnels wurde etwa die Stelle des Prager Oberbürgermeisters mit Bohuslav Svoboda neu besetzt. Dieser turbulente Prozess habe die Kommunikation erschwert und zu allerlei Hindernissen mit den agierenden Bauunternehmen geführt, so Metrostav-Sprecher František Polák in einem Interview mit Radio Prag. „Während des Tunnelbaus änderte sich die politische Landschaft in Prag merklich. Während des Baus fanden mehrere Bürgermeisterwechsel nach jeweils sehr kurzen Amtsperioden statt. Die Bürgermeister nahmen sich nicht die nötige Zeit, um das Projekt zu verstehen”, sagt auch Kostiha.

Im Jahr 2011, also vier Jahre nach Baubeginn, äusserte der damalige Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda Bedenken über die inzwischen explodierenden Kosten. Metrostav rechtfertigte daraufhin den unerwarteten Kostenzuwachs mit den sich ständig verändernden Anforderungen und den nicht kalkulierbaren Schwierigkeiten der geologischen Begebenheiten. Im Jänner 2014 kam es schlussendlich auch zu einem Schiedsverfahren zwischen der Stadt Prag und dem Bauunternehmen. Mit Fertigstellung der Tunnelkonstruktion im September 2015 konnten sich die Parteien jedoch einigen.

Prag ist mit 1,3 Millionen Einwohnern nicht nur die grösste tschechische Stadt, sondern auch das finanzielle und wirtschaftliche Zentrum des Landes. Obwohl die Einwohner der Stadt an der Moldau lediglich circa 12 Prozent der Bevölkerung Tschechiens ausmachen, generierten sie 2015 fast ein Viertel des gesamten Bruttoinlandsprodukts des Landes. Darüber hinaus stellt Prag einen wichtigen Knoten- und Transitpunkt im Handel mit Osteuropa dar. Trotz der oben erwähnten Kritik, kommt es langfristig wohl zu einer Verbesserung der angespannten Verkehrssituation der Prager Innenstadt, wodurch Staus reduziert werden und Transportkosten verringert werden könnten. Wie viele Arbeitsplätze durch den Bau des Tunnels dauerhaft geschaffen wurden, können jedoch weder die am Bau beteiligten Unternehmen noch die Stadtregierung sagen.

Von den Vorteilen ist auch Kostiha von Metrostrav überzeugt: „Wir sind absolut zuversichtlich, dass der Tunnelkomplex Blanka der Öffentlichkeit zugute kommt. Der Tunnel ist mit 90.000 Autos pro Tag (dies stellt den Spitzenwert dar, nicht Durchschnitt, Anm.) beliebter als unsere verkehrsreichste Autobahn. Er hat den Privatverkehr über der Erde stark reduziert sowie auch die Emissionen, da es weniger zu Staus kommt.”

Verzögerungen des Projekts

Auf der anderen Seite aber sind die Gründe für die starke Verzögerung des Projekts sowie die Kostenexplosion vielfältig. Offensichtlich ist, dass die ursprünglichen Baupläne der Prager Stadtregierung zu ambitioniert waren. Beispielsweise erkannte man erst beim Durchstich unterhalb des Parks Stromovka die Notwendigkeit einer anderen Frästechnologie, was nicht nur das Projekt verzögerte sondern auch die Kosten stark erhöhte. Darüber hinaus sackte der Untergrund  während der Bauarbeiten zweimal ein, was zu weiteren Verzögerungen – und damit verbunden zu  Kostensteigerungen – führte. Einen weiteren Grund für die Verzögerungen begründet der zweite, während des Baus amtierende, Bürgermeister Svoboda damit, dass die Bauarbeiten aktiv verlangsamt wurden, damit die Summe über einen längeren Zeitraum abbezahlt werden könne. Kostiha wiederum macht seine Sicht der Dinge deutlich: „Ich denke, dass der Schlüssel zur Beseitigung von Problemen eine sorgfältige Planung, eine transparente Preisgestaltung und die verantwortungsvolle Beteiligung des Investors während des Baus sind.“

Trotz des ständigen Wechsels an der politischen Spitze, die in der Planung nicht berücksichtigten Schwierigkeiten beim Bau des Tunnels sowie des mehrfachen Absinkens des instabilen Erdwerks konnte eines der grössten Bauprojekte Europas 2015 fertiggestellt werden. Wenngleich es immer noch Kritik am Konzept des Tunnels gibt und der immer stärker anwachsende Verkehr in der Stadt wohl mittlerweile weitere Massnahmen nötig macht – die Einwohner Prags profitieren vom Projekt. Davon zeugen die durchschnittlich 75.000 Fahrzeuge, die täglich durch den Tunnel fahren. Nach Einholen diverser Stimmen scheint der Tunnelbau ein (erster) Schritt in die richtige Richtung gewesen zu sein.

 

Text: Simone Huber, Markus Renoldner, Nino Rohrmoser
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Forbes Editors

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