Treibende Kraft

Mehr als doppelt so gross wie alle seine Konkurrenten und mit allerbester Liquidität ist Enterprise eines der am besten geführten privaten Unternehmen in den Vereinigten Staaten. Unter Chrissy Taylor, die den Autovermietungsriesen in dritter Generation leitet, soll das auch so bleiben.

Chrissy Taylor reisst gerne Witze – auch frühmorgens, wenn sie vor acht im Büro der Auto­vermietung ihrer Familie ankommt, die kürzlich in Enterprise Mobility umbenannt wurde. Todernst ist ihr aber, neue Technologien zu testen und sie ihren Kunden dabei nicht zu früh anzubieten, vor allem Elektrofahrzeuge: Nachdem Enterprise von Mietern gehört hatte, dass sie wegen Bedenken zu Ladezeiten, Batterielebensdauer und Infrastruktur zögern würden, Elektrofahrzeuge zu nutzen, verlangsamte das Unternehmen seine Einführungsstrategie. „Wir begrüssen den Übergang zur Elektromobilität, aber wir müssen sicherstellen, dass die Kunden im gleichen Tempo mit uns gehen“, sagt Taylor, 48, die das Grossunternehmen in dritter Generation leitet.

Beim Konkurrenten Hertz sei man 2021 und 2022 zu radikal vorgeprescht – 25 % der gesamten Flotte sollten bis 2024 elektrifiziert werden. Aber trotz aggressiver Preisnachlässe ging die Vermietung nur schleppend voran; im März wurde der CEO entlassen und Hertz gab bekannt, dass man mit einem Verlust von 440 Mio. US-$ rechne und die Hälfte seiner Elektroflotte abzustossen gedenke.

„Das ist eine Evolution, keine Revolution“, sagt Taylor über die EV-Strategie von Enterprise – und beschreibt damit eigentlich das gesamte Unternehmen: Seit 67 Jahren lässt Enterprise seine Konkurrenten hinter sich, was vor allem der Fähigkeit der Familie Taylor zu verdanken ist, den Blick auf die Zukunft zu richten. Ungewöhnlich für ein Unternehmen dieser Grösse ist, dass Enterprise nach wie vor zu 100 % im Besitz der Gründerfamilie ist, die zusammen über ein Nettovermögen von rund 21 Mrd. US-$ verfügt. Enterprise ist das siebtgrösste private Unternehmen in Amerika und hat im vergangenen Jahr 35 Mrd. US-$ Umsatz erwirtschaftet – hauptsächlich aus der Autovermietung, aber auch aus kleineren Geschäftsbereichen wie Autoverkauf und -leasing sowie Lkw-Vermietung.

Der Umsatz von Enterprise stellt den der börsen­notierten Konkurrenten Hertz (9,4 Mrd. US-$) und Avis Budget Group (zwölf Mrd. ­US-$) in den Schatten. Doch trotz seiner Stärke im Inland beherrscht Enterprise nur einen Bruchteil des Autovermietungsgeschäfts ausserhalb der USA und einen noch kleineren Teil seiner globalen Nebengeschäfte. Für Chrissy Taylor, die im Januar 2020 den Chefposten übernahm, wird es entscheidend sein, die internationale Präsenz des Unternehmens zu vergrössern und seine Nebengeschäfte auszubauen – und dabei Avis und Hertz laufend Marktanteile abzunehmen.

Tatsächlich könnte ihre grösste Heraus­forderung darin bestehen, neue, profitable Orte zu finden, an die sie ihr Unternehmen verlegen kann. Erfolgsentscheidend dabei: „Die meisten privaten Unternehmen haben den Vorteil, dass sie in langfristige Ziele investieren können, statt ihre Gewinne vierteljährlich öffentlich zu verwalten“, sagt Byron Trott, Vorsitzender und Co-CEO der Handelsbank BDT & MSD Partners und seit 2000 im Vorstand von Enterprise. „Aber die Taylor-Familie reinvestiert immer und immer wieder, um das Geschäft auszubauen und für Jahrzehnte statt für Quartale planen zu können. Enterprise ist wirklich eines der besten privaten Unternehmen der Welt.“

Trott muss es wissen: Jahrzehntelang hat er in inhabergeführte Unternehmen – die von Namen wie Koch, Pritzker, Mars und Cox kontrolliert werden – investiert und diese beraten, zuerst bei Goldman Sachs und später in seinem eigenen Unternehmen. Sein berühmtester Kunde, Warren Buffett, versuchte einst, Enterprise von Jack Taylor (2016 verstorben), Chrissys Grossvater, zu kaufen – und wurde kurzerhand abgewiesen.

Jack war Kampfpilot der U.S. Navy, der im Zweiten Weltkrieg zwei Distinguished ­Flying Crosses und die Navy Air Medal erhielt. Im Jahr 1957 gründete er die Executive Leasing Company als Unternehmen mit sieben Fahrzeugen. Ab den späten 1960er-Jahren verlagerte er seinen Schwerpunkt vom Leasing auf die Autovermietung und benannte das Unternehmen nach der USS Enterprise um, dem Flugzeugträger, auf dem er während des Kriegs diente. Sein Sohn Andy, der von 1991 bis 2013 CEO war, kam 1973 dazu. Da ihn die etablierten Unternehmen der ­Branche von den lukrativen Flughafenmärkten ausgeschlossen hatten, begann Jack, Autos an Kunden in Vororten zu vermieten, deren Fahrzeuge in der Werkstatt waren, und erfand damit den sogenannten „Heimatstadt-Markt“ und den „Versicherungsersatz-Markt“. Als Andy übernahm, lag der Umsatz bereits bei über einer Mrd. US-$.

Chrissy wuchs ausserhalb von St. Louis auf und war eine hervorragende Feldhockeyspielerin. Ihre Zwillingsschwester Patty, die sich für Pferde interessierte, besitzt heute einen Stall mit einem Pferd und einem Reiter, die auf der Olympia-Shortlist stehen. Nur Chrissy und ihre Cousine Carolyn Kindle stiegen in das Familienunternehmen ein, aber jeder im Clan kam schon früh mit Enterprise in Berührung.

Etwa zu der Zeit, als Taylors Vater CEO wurde, verschickte er das erste von vielen ausführlichen Memos, in denen er alle zu regel­mässigen Familientreffen einlud. „Ich wollte den Kindern vermitteln, dass es ein Privileg ist, ein privates Familienunternehmen zu haben, und dass man es auch so behandeln sollte“, sagt der 76-jährige Andy, der mittlerweile Executive Chairman ist und sechs Tage die Woche in sein Büro neben dem von Chrissy geht. Es gibt Tausende Unternehmen, die den Generationswechsel nicht gut hinbekommen haben – „wir haben versucht, aus diesen Beispielen zu lernen“.

Die Treffen, bei denen oft externe ­Redner wie der Autor John L. Ward auftraten, ­dessen Forschungen ergeben haben, dass Familien­unternehmen regelmässig in der dritten Gene­ration auseinanderbrechen, wurden anfangs nicht gut aufgenommen. „Wir kamen am Thanksgiving-Wochenende vom College nach Hause und am Samstagmorgen um acht Uhr gab es ein Fa­mi­lientreffen. Und die dauerten den ganzen Tag. Wir sagten immer: ‚Papa, was machst du da eigentlich?‘“, ­erinnert sich Chrissy Taylor.

Nach ihrem ersten Jahr an der Universität machte Taylor ein zweimonatiges Praktikum in derselben Enterprise-Filiale, in der auch ihr Vater angefangen hatte. Im Jahr 2000 kehrte sie als Management-Trainee auf Einstiegsebene zu Enterprise zurück. Jeder im Unternehmen, auch die Taylors, fängt ganz unten an, putzt Autos und hat Kundenkontakt. Niemand wird befördert, wenn er nicht im internen Service Quality Index (SQI) des Unternehmens, der vor 30 Jahren von Andy ins Leben gerufen wurde, um die Kundenzufriedenheit zu messen, eine hohe Punktzahl erreicht.

Taylor gelang dies, und sie arbeitete sich bei Enterprise weiter nach oben – sie entwickelte den Verbrauchermietmarkt in Europa, strukturierte das Leasinggeschäft um, leitete die Autoverkaufsabteilung und beaufsichtigte bis 2013 alle nordamerikanischen Aktivi­täten. „Chrissy hat sich freiwillig für alles gemeldet und es immer gut gemacht“, sagt Andy. „Als ich 2013 bereit war, weiterzugehen, wussten wir: Chrissy ist die logische Nachfolgerin. Aber sie war so jung – also beschlossen wir, Pam Nicholson die CEO-Rolle zu geben, was sich als perfekte Brücke erwies.“ „Pam war der erste CEO von ausserhalb der Familie, aber sie war wie ein Familien­mitglied – und sie hat Chrissy wirklich ­gefördert und betreut“, sagt Tricia Griffith, CEO des Versicherungsgiganten Progressive, der einer der grössten Kunden von Enterprise ist. Taylor hat jahrzehnteang auf den Spitzenjob hingearbeitet, aber auf die Pandemie war sie nicht vorbereitet. Im Januar 2020 übernahm sie die Geschäftsführung, Mitte März befand sich Enterprise im Krisenmodus – aufgrund der Lockdowns blieben allein in den USA fast eine Million Autos stehen. „Es gab kein Drehbuch für die Pandemie“, sagt Taylor heute rückblickend.

Dank seiner starken Bilanz und seiner beherrschenden Stellung auf dem Markt abseits der Flughäfen, der weniger von Reisebeschränkungen betroffen war, musste Enterprise seine Flotte nicht so stark verkleinern wie seine Konkurrenten. Aber das Unternehmen musste einen Weg finden, schnell viele Autos zu verkaufen, und entschied sich dafür, seine B2B-Kunden zu priorisieren. Zu diesen Kunden zählen 50 der grössten Versicherungsunternehmen und Firmenkunden wie Walmart. Selbst als die Nachfrage nach Urlaubsreisen schnell wieder anzog und Fahrzeugknappheit im Sommer 2022 die Mietpreise im Einzelhandel auf Rekordhöhen steigen liess, hielt Enterprise an seinen grösseren Kunden fest und liess sich die Chance auf unerwartete Gewinne weitgehend entgehen. „Das war eine langfristige Entscheidung“, sagt Taylor. Mitte 2021 brauchte Enterprise wieder mehr Fahrzeuge – zu einer Zeit, als Lieferkettenengpässe zu einem landesweiten Automangel geführt hatten. Dabei half die dezentrale Betriebsstruktur von Enterprise: „Alle unsere Leute vor Ort hatten sich auf ihre Beziehungen zu lokalen Händlern und Auktions­häusern gestützt, um uns beim Autoverkauf zu helfen“, sagt Russ Willey, CFO von Enterprise. Ein Jahr später kauften sie Autos von denselben Leuten, an die sie erst kürzlich verkauft hatten.

Und die Not machte erfinderisch: Niemand wollte sich in der Schlange vor einem Mietwagen­schalter mit Covid anstecken, also stellte Enterprise ein System vor, mit dem Kunden ihre Autos abholen und zurückgeben konnten, ohne eine Filiale physisch betreten zu müssen. „Wir wussten bereits, dass die Kunden sich weniger Reibungsverluste beim Mietvorgang wünschten“, sagt Chrissy Taylor, „aber plötzlich kam die Sicherheit ins Spiel. Daher war es wichtiger denn je, diesen Prozess zu rationalisieren und die Sicherheit der Kunden zu gewährleisten.“

Enterprise ist mit einem Umsatzplus von 35 % seit 2019 aus der Pandemie hervorgegangen. Den Konkurrenten ging es nicht so gut. „Hertz ging 2020 in Konkurs, als Covid zuschlug, und die Kreditwürdigkeit von Avis Budget wurde ­herabgestuft“, sagt Betsy Snyder, die die Branche drei Jahrzehnte lang für S&P Global Ratings beobachtet hat. „Enterprise hat in dieser Zeit seine Bilanzstärke und Kreditwürdigkeit aufrecht­erhalten. Ich denke, das sagt alles.“

Da das Unternehmen floriert, hat Taylor neue Horizonte im Blick, vor allem im Ausland – wo die Marke allerdings weniger bekannt und die Konkurrenz grösser ist. Seit 2012 sind Franchises in 80 Ländern hinzugekommen, die nicht viel Umsatz bringen. In zwei Schlüsselmärkten, China und Brasilien, hat Enterprise anstelle von Franchiseunternehmen Minderheitsbeteiligungen an zwei der grössten Autovermietungen übernommen.

Taylor legt ausserdem mehr Wert auf die Nicht-Autovermietungsgeschäfte. Sie hofft, dass der neue Name des Unternehmens ab Oktober, Enterprise Mobility, den Leuten hilft, zu verstehen, wie sehr sich das Unternehmen über die Auto­vermietung hinaus entwickelt hat. „Enterprise Mobility beschreibt besser, was wir tun“, sagt sie. „Aber es ändert nicht, wer wir sind.“

In viel fernerer Zukunft stellt sich die Frage, wer ihr schliesslich als CEO nachfolgen wird. Bisher besteht die vierte Generation der ­Taylors aus vier Mitgliedern, alles Mädchen, und die ­Älteste, eine von Chrissys beiden Töchtern, ist erst 13 Jahre alt. Noch nimmt keines der Kinder an ­Familientreffen teil. „Aber sie wissen, dass ihr ­Urgrossvater, ihr Grossvater und ich zusammen gearbeitet haben“, sagt Taylor. „Meine ältere Tochter beobachtet mich auf jeden Fall, ich kann es sehen und ich kann es fühlen. Sie weiss, dass ich jeden Morgen in einem Blazer und Stiefeln zur ­Arbeit gehe – und sie weiss, dass ich CEO bin.“

Text: Matt Durot
Fotos: Jamel Toppin für Forbes, Taylor

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.