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Das Pharmaunternehmen InnoMedica arbeitet an der Zulassung seiner Nanomedikamente in Onkologie, Neurologie und Infektiologie. Zur Finanzierung läuft bis Ende Mai eine Kapitalerhöhung – die letzte vor dem geplanten IPO.
Wenn Stéfan Halbherr, Country Manager Schweiz und seit 2013 Leiter der Forschung und Entwicklung der InnoMedica Holding AG, darüber spricht, neue Wege zu beschreiten, dann ist das nicht nur aus der Perspektive der medizinisch-pharmazeutischen Produkte zu sehen, sondern durchaus auch aus unternehmerischer Sicht. Im Gespräch mit dem promovierten Biochemiker und Immunologen wechseln der Forschergeist auf der Suche nach neuen, effizienten und eleganten Lösungen in der Bauart seiner Nanomedikamente und der Unternehmer, der seine Innovationen auf den Markt bringen und das Familienunternehmen mit mittlerweile über 40 Mitarbeitern weiter voranbringen möchte, einander ab.
Den sinnbildlichen Strang aber, an dem alle am Unternehmen teilhabenden Menschen bei InnoMedica ziehen, bildet im Kern die Nanotechnologie. „Der Fokus unserer Arbeit ist die Herstellung einer neuen Generation von Medikamenten mit einer gezielten und somit effizienten Wirkstoff-Logistik im menschlichen Körper“, sagt Halbherr. Das Prinzip dieses sogenannten Nanotransportsystems im Rahmen der Medikation fliesst in die Produktion dreier Stränge – in die Onkologie, Neurologie und Infektiologie. Hier wird die Relevanz der von InnoMedica patentierten biochemischen Methode deutlich: Von den mehr als 50.000 hochwirksamen pharmazeutischen Wirkstoffen, die heute am Markt zugelassen sind, erreichen weniger als 1 % den gewünschten Zielort. Allzu oft haben während einer Behandlung – man denke etwa an Chemotherapien – die Patienten unter heftigen Nebenwirkungen zu leiden.
InnoMedicas Nanotransportsystem orientiert sich – anders als andere gängige Produkte – an der körpereigenen Biologie. Heisst: Die Medikation geht mit dem Blutkreislauf punktgenau an jene Stelle, an der sie benötigt wird. Stéfan Halbherr: „Sie müssen sich das vorstellen wie eine Kugel. Wir nennen das Nanocontainer, den wir mit einem biologischen Autopiloten versehen. Der Wirkstoff gelangt dann entsprechend den gewählten Eigenschaften des Nanocontainers im richtigen Zielgewebe optimal zum Einsatz.“ Die Nebenwirkungen können so auf ein Minimum reduziert werden.
Dieses Nanotransportsystem stellt das Unternehmen – quasi von der Idee bis hin zur gebrauchsfertigen Ampulle – in der eigenen Nanofabrik in Marly bei Fribourg selbst her. Die Produktionsstätte ist GMP-zertifiziert (Good Manufacturing Practice; pharmazeutischer Herstellungsstandard nach Swissmedic) und in der Lage, grosse Marktvolumina von intravenös verabreichbaren Nanomedikamenten herzustellen. Aktuell wäre das Unternehmen imstande, rund eine Million Dosen pro Jahr endabzufüllen. Ein Kapazitätsausbau sei dabei rasch möglich, so Stéfan Halbherr weiter – man sei für die Anforderungen des Marktes gerüstet.
Um diese Ziele zu erreichen und das Unternehmen zum Break-even zu führen, bestehe nun ein Kapitalbedarf von 45,4 Mio. CHF für die kommenden zwei Jahre, so Halbherr weiter. Davon sollen rund 19 Mio. CHF in den Ausbau der Produktion und die Qualitätssicherung fliessen; weitere rund 18 Mio. CHF sind für die klinische Entwicklung in den verschiedenen Anwendungsbereichen Onkologie, Neurologie und Infektiologie sowie Marktzulassungen der Medikamente budgetiert Die verbleibenden acht Mio. CHF sind für den Aufbau einer Marketing- und Vertriebsstruktur sowie unter anderem für die Vorbereitung eines Börsengangs im Herbst 2022 vorgesehen.
Aktuell zähle man bereits mehr als 950 Aktionäre. Die Suche nach einem oder wenigen Hauptinvestoren kam nie wirklich infrage, sagt Halbherr – InnoMedica hat von Anfang an eine breite Trägerschaft angestrebt, ähnlich wie börsennotierte Unternehmen dies kennen. „Auch die InnoMedica-Mitarbeiter können im Rahmen des internen Management-Buy-in-Programms Firmenanteile erwerben“, sagt er.
Diese Breite im Aktionariat passe auch besser zur Kerntechnologie, welche ebenfalls für unzählige medizinische Anwendungen und mit einer Vielzahl von Wirkstoffen zum Einsatz gebracht werden könne, so Halbherr weiter.
Wir haben eineinhalb Jahre verschiedene Varianten von Nanoträgern gekocht und erforscht. Eine inspirierende Zeit.
So ungewöhnlich dieser Ansatz für so manchen Kenner der Pharmabranche anmuten mag, so ungewöhnlich ist auch die Entstehung des Unternehmens an sich: Im Jahr 2000 ursprünglich als Finanzgesellschaft für die Bereiche Biochemie und Medizin gegründet, entwickelte sich InnoMedica erst gut zehn Jahre später durch die Wiederentdeckung eines biomedizinischen Patents eines der heutigen Verwaltungsratsmitglieder zu einem eigenständigen Pharmaunternehmen. Dies war vor allem dank der guten Zusammenarbeit des jungen Gründerteams mit Stéfan Halbherrs Vater Peter, einem erfahrenen Entrepreneur, möglich. 2012 musste Vater Peter Halbherr aus gesundheitlichen Gründen seine Tätigkeiten für einige Monate reduzieren, erinnert sich Stéfan Halbherr, und der ältere Sohn Pascal, heute Leiter der Produktion und studierter Biochemiker (er hatte sein Studium kurz vorher abgeschlossen und wollte nicht länger in der Academia verweilen), sprang in den operativen Agenden bei InnoMedica ein. Stéfan Halbherr: „So kamen wir dann auch auf die Idee, uns dieses Patent genauer anzusehen, das von seiner Grundidee – so fanden wir – gut war. Es war ein Patent im Bereich der synthetischen Biologie, und wir haben uns überlegt, was wir damit sonst noch machen könnten.“
Pascal Halbherr begab sich auf Recherche und fand in dem japanischen Immunologen Noboru Yamazaki, seit 2013 im InnoMedica-Verwaltungsrat und Chief Technology Officer, am anderen Ende der Welt einen kongenialen Partner. Damals war Yamazaki als Gruppenleiter des Nano-Biomedizin-Technologielabors im Nanotechnology Research Institute of Advanced Industrial Science and Technology (AIST) in Japan tätig. Seine Forschung war allerdings nie zur Anwendung gekommen – die Übernahme seiner Yamazaki-DDS Co., Ltd. durch InnoMedica war demnach eine Win-win-Situation für beide Unternehmungen, so Halbherr. Nicht zuletzt hatte man durch diese Fusion gemeinsam ein umfangreiches Patentportfolio zur Verfügung, das man kommerzialisieren konnte. Yamazakis Forschung sei ein Schlüsselelement zum Erfolg des Krebsmedikaments Talidox, so Stéfan Halbherr weiter.
„Mein Bruder Pascal hat Noboru einfach angerufen und ihn eingeladen, uns sein Wissen zu vermitteln, woraufhin dieser tatsächlich für eineinhalb Jahre mit seiner Frau in die Schweiz gezogen ist. Gemeinsam haben wir Liposomen und Nanoträger gekocht und Noboru hat uns all sein Wissen rund um das Thema und seine Forschungen vermittelt.“ Eine inspirierende, aber auch herausfordernde Zeit, zumal nicht nur die unterschiedlichen Generationen bzw. deren Ansichten, sondern auch die so unterschiedlichen Kulturen für so manche Diskussion gesorgt haben, schmunzelt Halbherr – es sei aber von grossem Vorteil gewesen, dass Yamazaki die europäische Kultur durch mehrere Studienaufenthalte nicht ganz fremd war. Die Verquickung von Bewährtem mit Neuem – oder wie Halbherr es ausdrückt: „Wir haben Noborus sehr schönes, kleinteiliges Modell so weit reduziert, wie es uns möglich war“ – war nicht immer einfach, führte aber letztlich beide Seiten zum Ziel.
Stéfan Halbherr (35)
...ist promovierter Biochemiker und Immunologe. Gemeinsam mit seinem Bruder Pascal Halbherr, dem Leiter der Nanofabrik, und seinem Vater Peter Halbherr, dem Verwaltungsratspräsidenten, und dessen hochkarätigem Team arbeitet das Unternehmen daran, neueste Erkenntnisse der Nanotechnologie in Form neuer, gezielter Therapien vielen Patienten zugänglich zu machen. Die Kapitalerhöhung mit öffentlichem Angebot ermöglicht Investments bis 31. Mai 2021 noch vor dem geplanten IPO.
Rund 200 verschiedene „Kugeln“ – also Nanocontainer – habe man gebaut, erinnert sich Halbherr, und dabei wurden auch die Synergien zwischen den Produktgruppen genutzt. Ein Nanocontainer könne, so erklärt es Halbherr dem Laien, mit unterschiedlichen Wirkstoffen gefüllt und je nach Zielort anders zusammengesetzt werden– so entstand auch das Medikament für Parkinson.
Eine der Kugeln, die man konstruiert hatte („Es war die schönste!“), habe im Krebsgewebe nicht die gewünschte Wirkung erzielt, erzählt Halbherr. „Sie zeigte allerdings Wirkung im Nervensystem, weshalb wir sie mit neuroregenerativen Substanzen aufgeladen haben – und das hat dann auch funktioniert.“
Nach wie vor sei bei Parkinson vor allem die Ursache für diese Nervenkrankheit ein wissenschaftliches Enigma, dem man auch bei InnoMedica mit neuen Ansätzen auf die Spur kommen möchte. Zudem hat man festgestellt, dass dieser regenerative Ansatz auch bei anderen neurologischen Krankheiten angewendet werden kann. So hat InnoMedica von der FDA in den USA und der EMA in Europa für die Anwendung des Medikaments bei der seltenen und unheilbaren Krankheit ALS (amyotrophe Lateralsklerose) den Orphan Drug Status erhalten – ein grosser Vorteil, so Halbherr, da damit bei einer erfolgreichen Zulassung eine Marktexklusivität von sieben Jahren in den USA und von zehn Jahren in Europa einhergeht.
Beim Sars-CoV-2 Impfstoff, es wäre der erste in der Schweiz erforschte und produzierte, habe man seit Herbst 2020 einen Prototyp vorliegen, der im Serum-Neutralisationstest erfolgreich eine Immunantwort erzeugen konnte, so Halbherr weiter. Die Finanzierung der nun benötigten klinischen Studien stellt jedoch eine Herausforderung dar, da InnoMedica die Projekte in der Onkologie und Neurologie nicht gefährden will. Je nach aktueller Entwicklung des Marktes, aber auch der Viren-Mutationen werde man die Weiterentwicklung des Impfstoffs vorantreiben und anpassen.“ Man sei für vieles offen und für ebenso vieles in der Produktion gerüstet. Kooperationen mit staatlichen und industriellen Partnern werden geprüft.
Jetzt aber gehe es um die Zulassung der Medikamente – und danach um einen Börsengang. „2021 wollen wir mit der Finanzierung das erste Medikament auf den Markt bringen; der Börsengang ist auch deshalb notwendig, weil nur so die Internationalisierung und Skalierung der Produktion in einem angemessenen Tempo möglich gemacht werden können“, so Halbherr. Das sei auch das Schöne und gleichzeitig Herausfordernde in der biomedizinischen Forschung: die grosse Dynamik.
Text: Heidi Aichinger
Fotos: Kilian J. Kessler
Diese Advoice erscheint in unserer April-Ausgabe 2021 „Geld“.