Teil der Lösung

Der CEO von Borealis sagt der Umweltverschmutzung durch Plastik den Kampf an.

Es sind insgesamt nur fünf Länder, die aber für ganze 60 Prozent der Verschmutzung durch Plastik in den weltweiten Ozeanen verantwortlich sind. Insgesamt acht Millionen Tonnen Kunststoff pro Jahr wandern aus China, Indonesien, den Philippinen, Thailand und Vietnam in die Weltmeere. Und das Problem dürfte in Zukunft noch grösser werden, denn bis 2025 wird der Plastikverbrauch in Asien laut Prognosen um 80 Prozent steigen – und die genannten fünf Länder liegen ja ebendort.

Und obwohl Mark Garrett eigentlich nicht direkt für dieses Problem verantwortlich ist, will der Australier dennoch einen Teil zur Lösung beitragen. „Die Hersteller sollten Teil der Lösung sein – nicht Teil des Problems.“ Garrett ist nicht nur Australier, sondern auch Schweizer – und CEO des in Wien ansässigen Kunststoffherstellers Borealis. Garrett will also etwas tun. Und das, obwohl – und das wird Mark Garrett beim Gespräch nicht müde, zu betonen – Borealis eigentlich keines jener Unternehmen ist, die das tatsächliche Problem verursachen, nämlich die Herstellung von Wegwerfprodukten aus Plastik. Viel eher verdient das Unternehmen sein Geld vor allem mit der Produktion von hochwertigen Kunststoffen. Dabei ist „hochwertig“ für Garrett das Schlüsselwort, denn der Australier muss sich wegen des schlechten Images von Plastik und Kunststoffen regelmässig rechtfertigen.

„Unser Hauptgeschäft sind Kunststoffe. Wir arbeiten nicht im Commodity-Bereich, sondern setzen sie in hochwertigen Applikationen ein. Das kann etwa die Ummantelung von Hochspannungskabeln oder die Produktion von wiederverwertbaren Kaffeebechern sein. Diese hochtechnischen Anwendungen sind jene, die uns wirklich interessieren.“ Um das zu demonstrieren, holt der CEO plötzlich einen ebensolchen Kaffeebecher aus seiner Tasche – und bittet uns um einen Schluck Tee. Nach dem Einschenken drückt uns Garrett den Becher in die Hand – und fragt, ob man das Gefäss denn halten könne oder ob es zu heiss wäre. Antwort: Kann man; zu heiss ist es nicht. Garrett fühlt sich bestätigt. Der Kunststoff sei deutlich besser geeignet als die oft verwendeten Kaffeebecher, die man etwa bei Starbucks bekomme. Zudem sei das Material zu 100 Prozent wiederverwertbar.

Dennoch will Garrett wie erwähnt das Problem, das durch die Verschmutzung unserer Erde entsteht, mitbekämpfen. Und setzt dabei mit Borealis an der Wurzel an: „Den grössten Anteil an der Verschmutzung der Ozeane haben Länder mit einer hohen Einwohnerzahl und einer grossen Küstenfläche. Indonesien ist ein perfektes Beispiel. Wir haben dort also ein Projekt mit der Regierung gestartet, um einen Kunststoffkreislauf aufzubauen.“

Biokunststoff ist keine Lösung. dann pflanzen wir Mais und Zuckerrohr an, während manche Menschen nichts zu essen haben.

Doch trotz der Schwierigkeiten, die in der Öffentlichkeit durch die Diskussion rund um Plastik entstehen, hat Borealis derzeit eigentlich allen Grund zum Feiern, denn die jüngsten Ergebnisse können sich durchaus sehen lassen. 2017 betrug der Umsatz 7,6 Milliarden €, der Netto­gewinn betrug 1,095 Milliarden €. Was für viele Unternehmen ein Ausreisser wäre, ist bei Borealis jedoch Routine: 2016 lag der Gewinn bei 1,107 Milliarden €, im Jahr davor waren es 988 Millionen €. Dieses hohe Niveau verdankt Borealis vor allem dem deutlichen Sprung, den der eigene Nettogewinn von 2014 auf 2015 machte – von 571 Millionen auf eben 988 Millionen €.

Garrett: „Wir sind das rentabelste Unternehmen in Österreich – egal, ob gemäss jährlichem Nettogewinn oder durchschnittlichem Nettogewinn über die letzten drei Jahre. Das liegt primär daran, dass wir anscheinend die richtigen Entscheidungen getroffen haben. Wir versuchen zudem, antizyklisch zu denken. Andere Unternehmen mussten grosse Abschreibungen vornehmen.“ Und tatsächlich ist Borealis, gemessen an seiner Gewinnmarge von fast 15 Prozent, ein hochprofitables Unternehmen. Halbwegs mithalten können in Österreich lediglich die Grossbank Erste Group und der Energieversorger Verbund. 2016 betrug die Marge von Borealis 15,3 Prozent; jene von Erste Group und Verbund 15,2 Prozent.

Wie dem auch sei: Borealis verdient gutes Geld; vor allem weil das Unternehmen im Bereich der petrochemischen Kunststoffe tätig ist. Diese Stoffe bieten hohe Margen, sind aber, gemessen an ihren Ausgangsmaterialien – Öl und Gas –, nicht unbedingt die nachhaltigsten Ressourcen. Wie passt das mit dem zuvor erwähnten Fokus auf Recycling und Nachhaltigkeit zusammen? Denn es gäbe ja auch die Möglichkeit, Kunststoff aus biologischen Ressourcen herzustellen und die Umwelt dadurch zu schonen. Dass die Margen dann geringer wären, liegt aber auf der Hand. Doch das ist nicht der Grund, warum Garrett von dem Ansatz nicht besonders viel hält. Ihm bereitet etwas anderes Kopfzerbrechen: „Wir sehen Biokunststoff nicht als Lösung des Problems. Denn dann pflanzen wir Mais oder Zuckerrohr an, um Kunststoff herzustellen, während manche Menschen nichts zu essen haben. Das ergibt für uns keinen Sinn. Wir setzen daher verstärkt auf mechanisches oder chemisches Recycling.“

Überhaupt seien petrochemische Kunststoffe sowieso nur ein Nebenprodukt und würden lediglich einen minimalen Anteil in den Raffinerien ausmachen: „Solange die Menschheit Öl und Gas benötigt, wird es petrochemischen Kunststoff geben. Die Herstellung macht in den Raffinerien nur vier oder fünf Prozent aus.“
Immer wieder kommt das Gespräch auf das Thema Recycling zurück. Denn folgt man Garretts Gedankengängen, ist es der Schlüssel, um den Planeten in Zukunft zu schonen, gleichzeitig aber nicht auf nützliche technische Neuerungen – insbesondere im Kunststoffbereich – verzichten zu müssen. Doch dazu braucht es laut dem Manager einen Dreiklang aus Anreizen vonseiten der Regierungen, einer Sammlung des anfallenden Mülls – und dann natürlich auch einer entsprechenden Trennung dieses Mülls. Um in diesem Bereich selbst stärker aktiv zu werden, kaufte Borealis 2016 die beiden deutschen Recycler Mtm Plastics und Mtm Compact, die mit dem Recycling beide rund 20 bis 30 Millionen € pro Jahr umsetzen.

Einen perfekten Kreislauf sieht Garrett aber in naher Zukunft nicht: „Vielleicht haben wir irgendwann einen, in dem zu 100 Prozent recycelt wird. Doch zu glauben, dass wir in fünf oder zehn Jahren einen vollständig geschlossenen Kreislauf haben werden, ist eine Illusion.“ In Westeuropa, wo man bereits auf dem richtigen Weg sei, könne man durchaus eine Recyclingrate von 50 oder 60 Prozent anstreben.
Während Borealis im Markt für Wiederverwertung also noch wachsen will, ist man im „Virgin Business“, wie das neu erzeugte Plastik bezeichnet wird, durchaus ein relevanter Spieler. Wenn man das von Borealis und der Abu Dhabi National Oil Company als Joint Venture geführte Unternehmen mitzählt, ist Borealis die Nummer fünf auf dem Weltmarkt. Andere grosse Konkurrenten sind etwa der Chemieriese Dow Chemical, der Ölkonzern Exxon Mobil oder die deutschen Chemieunternehmen BASF und Lanxess. Und obwohl Garrett behauptet, dass Borealis gerne unter dem Radar fliegen würde und in guten Zeiten bescheiden, in schwierigen aber entschlossen ist, ist sein Arbeitgeber auch in Sachen Performance einer der dominierenden Akteure. So outperformte Borealis, gemessen am Shareholder Return, über die letzten zehn Jahre alle seiner „Industry Peers“.

Nicht nur durch das Joint Venture Borouge, sondern auch anderweitig ist die Beziehung zu den Vereinigten Arabischen Emiraten und Abu Dhabi für Borealis eine wichtige. Denn mit 64 Prozent ist die Regierung des Landes über die Holdinggesellschaft Mubadala Investment Company, die wie ein Staatsfonds agiert, an Borealis beteiligt. Die restlichen 36 Prozent hält der österreichische Ölkonzern OMV. Die Geschichte, im Besitz von zwei Grossaktionären zu stehen, hat bei dem Unternehmen übrigens Tradition. Doch Unternehmens­vater und -mutter waren nicht immer Mubadala und OMV. 1994 aus der Fusion der finnischen Neste Oil und der norwegischen Statoil entstanden, wurde Borealis ursprünglich in Dänemark gegründet. Der Sitz war Kopenhagen, der Firmenname spielt auch heute noch auf den Norden und sein Polarlicht an – Aurora borealis. 1998 übernahmen dann OMV und die International Petroleum Investment Company (IPIC, ging 2017 in Mubadala über) 50 Prozent der Anteile von Neste Oil, 2005 schnappte sich das Duo schliesslich auch die zweite Hälfte des Unternehmens. Die Folge: Borealis stand nun im Eigentum von IPIC (heute Mubadala) und OMV und siedelte nach Wien um.

Wenig später, im April 2007, kam Mark Garrett zu Borealis, Ende 2007 wurde er CEO. Der Mann hatte bereits zuvor einige Erfahrung in der Chemiebranche gesammelt: Nach seinem Studium an der Universität von Melbourne (Economics) und dem Royal Melbourne Institute of Technology (Applied Information Systems) stieg der Australier beim Schweizer Chemiekonzern Ciba AG ein. Er bekleidete bei diesem Unternehmen mehrere Managementpositionen und blieb – mit Ausnahme eines einjährigen Gastspiels beim Chemieriesen DuPont –, bis er 2007 die Führung von Borealis übernahm.
Elf Jahre später ist für Garrett trotz der soliden Zahlen jedoch nicht alles perfekt. Denn während das Geschäft mit den Polyolefinen hervorragend läuft, sorgt das zweite Standbein von Borealis – Düngemittel – aktuell eher für Sorgenfalten. Die Fabrik in Linz hatte Borealis ursprünglich von der OMV geerbt. Doch aktuell sind die Margen niedrig, die Kapazitäten in der Fabrik in Linz zudem ausgeschöpft. Auf die Nachfrage, ob denn das Düngemittelgeschäft in den nächsten Jahren verkleinert werden könnte, schüttelt Garrett den Kopf: „Der Markt für Düngemittel ist ein zyklisches Geschäft. Vor vier Jahren haben wir noch gutes Geld verdient. Ab 2019 oder 2020 werden die Preise auch wieder steigen, weil weniger Angebot auf den Markt kommt. Es ist schwierig, hier ein Nischenspieler zu sein. Wir bauen daher eine neue Anlage in den USA, die auf günstigem Gas basiert. Wir wollen wachsen und grösser werden.“

Die Anlage in Texas soll beim Erreichen dieser kritischen Masse helfen. Überhaupt hat Borealis in den nächsten Jahren viel vor: Während aktuell eine Zwischenphase laufe, in der Grossprojekte bereits abgeschlossen und zukünftige noch nicht in Angriff genommen wurden, erwirtschaftet das Unternehmen viel Cash. Doch Garrett will das Geld nicht mehr an seine Aktionäre abliefern, sondern lieber vernünftig investieren: In Abu Dhabi wird daher gerade die neue Anlage für Borouge gebaut – Borouge-4. Borouge stellt Polyolefine her, also teilkristalline Thermoplaste (siehe S. 17, Bild unten), die sich besonders leicht verarbeiten lassen. Das Material zeichnet sich durch gute chemische Beständigkeit und elektrische Isoliereigenschaften aus. Auch deswegen werden Polyolefine unter anderem auch in komplexen Maschinen verarbeitet, etwa Robotern oder E-Autos. Zudem wird im belgischen Kallo eine Propan-Dehydrierungs­anlage errichtet, mit deren Hilfe Polypropylen hergestellt wird, das zumeist in Verpackungen verwendet wird. „Die neuen Grossprojekte beginnen nun, etwa in den USA, Antwerpen oder Borouge-4. Sie benötigen ab sofort Cash.“ Um diese Grossprojekte umzusetzen, benötigt Borealis angesichts der Gewinnmarge kein externes Kapital. Dennoch liegt insbesondere das Thema eines Börsengangs schon lange auf dem Tisch – eigentlich, seit OMV und Mubadala das Unternehmen übernommen haben. 2015 sagte Garrett noch, ein IPO sei eine Option, wäre jedoch für die nächsten 18 Monate kein Thema.

Damals wollte der Australier abwarten, bis OMV-CEO Rainer Seele die Restrukturierung des Ölkonzerns abgeschlossen hatte. Heute, drei Jahre später, ist Garretts Antwort auf unsere Nachfrage recht unverändert: „Momentan ist ein Börsengang kein Thema, wir benötigen ja auch kein Kapital, um zu wachsen.“ Zudem sagt Garrett, dass er mit der derzeitigen Konstellation eigentlich ganz glücklich sei. „Ich bin froh, nicht so oft mit Analysten sprechen zu müssen. Es ist schwierig, stets zu erklären, dass man über einen Zehnjahreszyklus im Düngemittelgeschäft eine Rendite von elf Prozent verdient, in einzelnen Jahren aber vielleicht nur zwei Prozent.“ Und: Dass die Aktionäre auf die fette Dividende, die sie in den letzten Jahren bekommen haben, verzichten wollen, ist unwahrscheinlich. Seit 2007 bezahlte Borealis 2,4 Milliarden € an Dividenden an seine Aktionäre, alleine 2017 waren es 700 Millionen €.

Wie lange Garrett noch selbst über solche Fragen entscheidet und ob er die anstehenden Grossprojekte noch selbst umsetzen wird, ist unklar. Nach elf Jahren bei Borealis liebäugelte der CEO im Februar 2018 in der Neuen Zürcher Zeitung überraschend offen mit seinem Abgang. Ob er Borealis tatsächlich bald verlassen wird und welche Herausforderung ihn erwarten könnte, wollte Garrett auf Nachfrage jedoch nicht verraten. Auf eine andere Frage bekommen wir dann aber eine Antwort: Was muss ein Borealis-CEO können? „Mit grossen Aktionären umgehen. Zudem befinden wir uns in ­einem Geschäft mit Grossprojekten. CEOs wollen oft auch die kleinen Sachen machen. Ein CEO muss aber fünf Jahre in die Zukunft blicken, er muss die anderen also ihre Arbeit machen lassen.“ Klingt einfach. Ob der Nachfolger an die Erfolge anschliessen und die anstehenden Herausforderungen meistern kann? „Only time will tell“, wie der Australier sagen würde.

Dieser Artikel ist in unserer März-Ausgabe 2018 „Food“ erschienen.

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