TECHNOLOGISCH SOUVERÄN

Für den österreichischen Investor Hermann Hauser ist die Wahrung technologischer Souveränität eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben Europas. Er geht das Problem auf zwei Ebenen an: Mit dem European Innovation Council will er 10 Milliarden € in Deeptech-Start-ups investieren, und mit der Initiative Spin-off Austria will er helfen, in Österreich 1.000 universitäre Aus­gründungen zu ermöglichen. Einfach wird das jedoch nicht.

„Souveränität war früher stets eine ­militärische, eine geopolitische Frage“, erklärt Hermann ­Hauser gleich zu Beginn unseres Gesprächs die Situ­ation. „Aber die Coronapandemie und die Trump-Ära haben uns gezeigt, dass in Zukunft das Kon­zept der technologischen Souveränität für Europa entscheidend sein wird.“ Während die USA mit Google, Facebook, Netflix und Co einige Technologieriesen vorweisen können und China mit Alibaba, Baidu und Tencent ähnlich relevante Spieler hervorgebracht hat, gibt es in Europa heute laut Hauser lediglich zwei global rele­vante Techno­logiekonzerne: die deutsche SAP und den britischen Chiphersteller ARM. Doch Zweiterer, bereits seit 2016 im Eigentum des japanischen Telekomunternehmens Softbank, soll für 40 Milliarden US-$ an den US-Technologiekonzern Nvidia verkauft werden. Wie es dann mit der Eigenständigkeit des Unternehmens aussieht, ist unklar.

Das Problem sei jedoch grösser als dieser Einzelfall, so Hauser. Europa müsse im Rennen um Technologieführerschaft schnell in Bewegung kommen. Dabei ist die Ausgangslage keineswegs schlecht. Für ihn liegt die Lösung in der Förderung von Deeptech-Unternehmen, die Vorreiter in (Nischen-)Technologien werden können. Es seien alle Puzzlesteine da: „Wir haben in Europa noch immer herausragende Universitäten und Forscher. Und wir haben genügend Start-ups, sogar mehr als die USA, das wissen die wenigsten. Was uns jedoch fehlt, ist die Übersetzung dieser herausragenden Forschung in Grossunternehmen.“

Doch verzweifeln will Hauser, der sein Geld als Seriengründer gemacht hat und es heute mit seinem Risikokapitalfonds Amadeus Capital mit Mitgründerin Anne Glover investiert, keineswegs. Denn obwohl einige Rennen entschieden sind, ­kämen quasi täglich neue dazu. „Wir sind ­heute in gewissen Bereichen abhängig von den USA, etwa bei Suchmaschinen. Das Gute am techno­logischen Fortschritt ist aber, dass er so schnell passiert, dass ständig neue Technologien aufpoppen. Wir haben das Rennen um ‚Search‘ also vielleicht verloren, aber in Bereichen wie Quantencomputing, Wasserstoff, Klima­­techno­logien oder 5G ist es noch keinesfalls entschieden. Da hat Europa gute Chancen.“

Hermann Hauser
...wuchs in Tirol auf, studierte Physik in Wien und Cambridge und gründete 1978 den Com­puterhersteller Acorn, dem später der Chiphersteller ARM entsprang. Heute ist Hauser mit seinem Risiko­kapitalfonds Amadeus Capital als Investor tätig.

Doch solche Technologien zu entwickeln und dann in einem Unternehmen zu skalieren kostet nicht nur Zeit, sondern vor allem viel Geld. Und da sieht es in Europa düster aus. Zwar wuchsen die Venture-Capital-Investitionen in den letzten Jahren stetig (2020 auf einen Rekord von 46 Milliarden US-$), doch die Zahl in den USA – obwohl die Region nur rund die Hälfte der Einwohner Europas hat – ist um das Dreifache höher. Auch China rüstet in Sachen VC-Investments kräftig auf. So kommt es, dass die für hochtechno­logische Gründungen notwendigen Finanzierungs­runden über 50 oder gar 100 Millionen US-$ in Europa oft nicht finanziert werden können.

Diese Lücke will Hauser nun mit öffent­lichem Geld füllen. Im Rahmen des European Innovation Council (EIC), dem Innovationsrat der Europäischen Union, in dem Hauser als stellvertretender Vorsitzender aktiv ist, sollen im grossen Stil Gelder für Deeptech-Unternehmen bereit­gestellt werden. Im Jänner 2021 wurden erstmals 42 Investitionen in Start-ups in der Höhe von insgesamt 178 Millionen € getätigt. Die Summen beliefen sich auf jeweils zwischen 500.000 € und 15 Millionen € pro Start-up, wofür Anteile zwischen 10 und 25 % übernommen werden. Für Hauser ist das aber erst der Anfang: „Wir werden wohl 100 Milliarden € benötigen: 50 Milliarden €, um unabhängig von China zu werden, und die anderen 50 Milliarden €, um unab­hängig von den USA zu werden.“ Das Geld lockerzumachen wird nicht ganz einfach. Der EIC agiert als Teil des Programms Horizon Europe, das die Forschungs- und Innovationsförderung in der EU verantwortet. Die Budgets für den nächsten Planungszeitraum wurden nach der Coronavirus-Pandemie von 94 auf 80 Milliarden € gekürzt; auch hinter den bis 2027 eigentlich für das EIC zugesagten 10 Milliarden € steht ein grosses Fragezeichen.

In gewisser Weise will das EIC sich damit ein Mitspracherecht oder eine Beteiligung an strategisch wichtigen Technologien sichern. Damit soll ein „Ausverkauf“ – wie er 2018 nach dem Verkauf des deutschen Roboterbauers Kuka an den chinesischen Mischkonzern Midea befürchtet wurde – im Bereich der Start-ups verhindert werden. Doch es gibt auch kritische Stimmen: Dass der Staat bzw. die EU nun als Investor auftritt und auch Anteile an Start-ups erwirbt, statt Förderungen zu vergeben, gefällt nicht allen.

Das Gute am techno­logischen Fortschritt ist, dass er so schnell passiert. Es gibt genug Rennen, die noch nicht entschieden sind.

Um auch die Anzahl an investitionswürdigen Start-ups zu steigern, setzt Hauser vor allem auf universitäre Spin-offs. So startete er gemeinsam mit dem Investor Herbert Gartner die Initiative Spin-off Austria – denn die Ausgründung von Forschung und ihre Monetarisierung hat in Österreich keine grosse Tradition. Nur 20 Spin-offs entspringen den österreichischen Universitäten pro Jahr; alleine an der ETH in Zürich sind es jedes Jahr rund 30. Das Ziel von Hauser und Gartner: 1.000 Ausgründungen bis 2030. Dazu wollen sie (neben der Forschung und der Lehre) den unternehmerischen Erfolg als dritte Säule im Universitätsgesetz verankern. Hauser: „Österreich ist so weit hinterher, dass wir eigentlich nur kopieren müssen, was andere Länder vor fünf oder zehn Jahren vorgemacht haben.“

Hauser weiss, wovon er spricht. Der Unternehmer wurde in Wien geboren und wuchs in Tirol auf, bevor er an der Universität Wien Physik studierte und später an der University of Cambridge in Lasertechnologie promovierte. Er dozierte an der Universität, als er 1978 vom Forscher zum Gründer wurde: Gemeinsam mit Chris Curry startete Hauser das britische Computerunter­nehmen Acorn, das Mikrocomputer herstellte und aus dem 1990 die Prozessorsparte ausgegründet wurde, die heute als ARM Limited bekannt ist. So wurde er Teil des „Cambridge Phenomenon“, das die zahlreichen Tech-Unternehmen beschreibt, die ab 1960 aus dem Dunstkreis der Universität entsprangen. Hauser definiert den Begriff „Spin-off“ jedoch relativ breit: „In der engen Definition muss das Unternehmen intellektuelles ­Eigentum der Universität haben. Doch das Cambridge Phenomenon, das ich intensiv untersucht habe, basiert auf rund 4.500 Hightech-Unternehmen; nur etwa 300 davon wären laut dieser strengen Definition Spin-offs.“ Was die 4.500 Unternehmen vereine, sei, dass in allen von ihnen ein Cambridge-Alumnus in einer Schlüsselposition aktiv sei. Das sei auch seine Definition: Start-ups, die von Alumni gegründet und im Ökosystem der Universität aufgebaut wurden. Es sei letztendlich nämlich nicht das intellektuelle Eigentum, sondern die Qualität an Studenten, die den Universitäten wirklich nutzt. Hauser hat die Rechnung für Cambridge angestellt: Das Verhältnis des Gesamteinkommens von intellektuellem Eigentum der Universität gegenüber der Ertragskraft der Studenten, die von Cambridge abgehen, sei eins zu hundert. „Es ist für eine Universität somit hundertmal wichtiger, ausgezeichnete Studenten auszubilden als intellektuelles Eigentum zu produzieren.“

 

HAUSERS ZIELE
(Quelle: Hauser)

Ein Blick in die Welt zeigt, dass sich im ­Zentrum erfolgreicher Spin-off-Aktivitäten stets eine herausragende Universität findet. ­Beispiele sind Cambridge oder Oxford in Grossbritannien, Stanford, Harvard oder das MIT in den USA, die ETH Zürich sowie die EPFL in Lausanne in der Schweiz oder die TU München und die RWTH Aachen in Deutschland. Österreich kann solche Universitäten nicht ins Rennen führen – die Universität Wien als beste österreichische Hochschule kommt im QS World University Ranking gerade mal auf Platz 150. Sind die Anstrengungen ohne Eliteuniversität umsonst? Hauser schüttelt den Kopf: „Obwohl sich die Universitäten in Österreich in den Gesamtrankings nicht in den Spitzenplätzen befinden, gibt es Exzellenz in Nischen. In einzelnen Bereichen haben wir Forscher, die sich mit den Besten der Welt messen können.“ Hauser nennt etwa Innsbruck und seine zwei weltweit führenden Forschungsgruppen im Bereich Quantencomputing (eine davon, jene rund um Wolfgang Lechner und Hausers Nichte Magdalena Hauser, die 2018 auf der Forbes-„30 Under 30“-Liste vertreten war, hat mit Parity QC ebenfalls ein Spin-off gegründet, an dem Hauser beteiligt ist). Auch an der TU Wien, der TU Graz oder rund um das Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) am AKH Wien gebe es ähnlich erfolg­reiche Forschung.

10 Milliarden € Investitionen der EU in Start-ups bis 2027, 1.000 Gründungen aus Universitäten in Österreich bis 2030: Hausers Ziele, um einen Beitrag zu Europas Technologiesouveränität zu liefern, sind ambitioniert. Doch er ist zuversichtlich: „Ich bin ein ewiger Optimist und denke daher, dass wir das durchaus schaffen können.“

Text: Klaus Fiala
Fotos: Amadeus Capital

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 1/2–21 zum Thema „Innovation & Forschung“.

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