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Marie Boltenstern hat die weltweit erste Schmuckkollektion aus dem 3-D-Drucker erschaffen. Die Wiener Architektin erzählt, warum Schauräume wichtiger sind als Stores und personalisierte Produkte gerade den Markt erobern.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Schmuck aus dem 3-D-Drucker zu machen?
Im Grunde war das ein mehrjähriger Prozess. Ich habe mich bereits vor acht Jahren im Zuge meines Architekturstudiums auf das Thema 3-D spezialisiert und schnell gemerkt, dass es mir Spass macht, Formen zu programmieren und Codes zu schreiben. Es hat mich fasziniert, dass man sehr viele verschiedene Designs mit einer einzigen Logik hervorbringen kann. Hinzu kommt aber auch, dass ich einen besonderen Hintergrund habe: Mein Grossvater, Erich Boltenstern, war Architekt, mein Vater, Sven Boltenstern, hat vor 60 Jahren die Schmuckmarke Boltenstern gegründet. Er war traditioneller Goldschmied. Beides liegt mir also quasi im Blut. Trotzdem war es als Architektin nie mein primäres Ziel, Schmuck herzustellen. Ich habe mich immer eher für Geometrie und Berechnungen interessiert. Als ich aber vom ersten 3-D-Drucker gehört habe, der Gold druckt, wurde ich hellhörig. Das war auch der Moment, in dem ich mich dazu entschieden habe, die Marke meines Vaters in die Zukunft zu führen und 3-D-Schmuck zu kreieren. Das war nun vor drei Jahren.
Wie ist Ihnen der Einstieg in dieses Segment gelungen?
Gerade, weil ich von der Architektur kam, hatte ich Lust daran, neuartigen Schmuck zu designen. Schliesslich hat mich Schmuck durch meinen Vater natürlich immer begleitet, aber es war nie etwas, das ich angehimmelt habe. Dieser andere Zugang führt, glaube ich, dazu, dass bei meinen Kreationen und meiner Arbeit immer eine gewisse Leichtigkeit mitschwingt. Natürlich war unser Einstieg in dieses Segment geprägt von vielen Tests, und ich habe mir die Freiheit genommen, vieles auszuprobieren. So ging es Schritt für Schritt immer weiter, von den ersten Prototypen vor zwei Jahren bis hin zum ersten Wholesale-Deal in Hongkong, den wir jetzt abgeschlossen haben. Der Einstieg in den Handel zeichnete sich bei uns durch viele Schaukollektionen aus. Wir arbeiten mit einem kleinen physischen Lager, da unser Fokus definitiv auf dem Digitalen liegt. Dort können wir auch mehr mit Personalisierung arbeiten, wie zum Beispiel bei unserer neu erschienenen „Signature“-Kollektion. Hier fertigt der Kunde eine Zeichnung an oder schreibt ein Wort auf ein Papier, und daraus generiert sich dann ein Design. Dies kann er online oder im Store machen. Das Spannende ist, dass es keine Rolle spielt, ob man zeichnen kann oder nicht. Das Design wird in jedem Fall ästhetisch ansprechend, weil der Computer die Muster daraus generiert.
Sie haben gerade den Wholesale-Deal mit Hongkong erwähnt. Wie ist dieser zustande gekommen?
Ich war in Hongkong und hatte ein Meeting mit einer grossen Juwelierkette. Die Leute waren begeistert von unserer weltweiten Innovation und haben sofort Interesse an der „Embrace“-Kollektion bekundet. Mitte November werden wir gemeinsam mit dieser Kette die „Embrace“-Kollektion in Asien launchen. Die Kollektion wird dann im ersten Store in Asien verkauft und je nachdem, wie sich der Verkauf entwickelt, wird das Angebot ausgeweitet. Die Kette hat 400 Stores, es gibt also durchaus Potenzial. Aber es ist natürlich auch eine Herausforderung, mit der Produktion nachzukommen. Das bedeutet für uns, dass wir mit dem Deal auch mitwachsen müssen und dürfen. Und das macht es derzeit sehr spannend für uns.
Marie Boltenstern
Seit 2015 ist Marie Boltenstern Geschäftsführerin des von ihrem Vater, Schmuckdesigner Sven Boltenstern, gegründeten Labels und stellt Schmuck im direkten 3-D-Druckverfahren her. Boltenstern studierte Architektur an der TU Berlin und hat einen Master in Emergent Technologies der Architectural Association in London. Der Architekt Erich Boltenstern war ihr Grossvater.
Wie stellen Sie Ihre innovativen Schmuckstücke her?
Die grösste Herausforderung bei unseren Produktionsprozessen ist immer die Frage, wie weit man gehen kann. Schliesslich haben wir weltweit die allerersten Kollektionen mit 3-D-Technologie auf den Markt gebracht. Daher brauchte es mehr Vorarbeit. Was es schon lange gibt, ist, dass man Modelle in Wachs im 3-D-Drucker druckt und diese dann giesst. Unsere Schmuckstücke hingegen werden direkt aus Gold- oder Silberpulver im 3-D-Drucker gedruckt und dort auch Schicht für Schicht zusammengeschmolzen. Das Stück selbst wird also ohne Zwischenschritte gedruckt. Das zeichnet unsere Stücke aus.
Welche Investitionen braucht man, um eine 3-D-Schmuckkollektion zu erstellen?
Die Herstellung ist auf jeden Fall sehr kostenintensiv, vor allem wegen des Materials, mit dem wir arbeiten. Auch die Drucker sind teuer: Ein 3-D-Drucker kostet derzeit etwa 160.000 €. Wir haben eine exklusive Kooperation mit den Druckerentwicklern in England, bei denen derzeit alle Drucker stehen. Wir arbeiten auch dort mit den Druckerherstellern zusammen, um immer auf dem neuesten Stand zu sein. Neben den Kosten muss natürlich auch sehr viel Zeit aufgewendet werden, um die Maschinen richtig zu programmieren, denn die Schmuckherstellung aus dem 3-D-Drucker ist alles andere als einfach. Schliesslich drückt man nicht einfach nur auf einen Knopf und dann kommt das fertige Schmuckstück raus. Hier braucht es also auch sehr viel Vorbereitung.
Wie lange dauert die Herstellung eines Stücks?
Sind die Drucker programmiert, kann man zwar mehrere Stücke gleichzeitig drucken, aber der Druck eines Schmuckstücks kann schon bis zu 13 Stunden dauern. Es ist also nicht so, dass man nur durch die Maschine eine Massenproduktion erzeugen kann. Nach dem Druck werden die Stücke dann nach Wien geliefert und dort in unserer Werkstatt in Hietzing von Hand poliert. In unserer traditionellen Werkstatt arbeiten Goldschmiede und Programmierer miteinander, um das beste Produkt zu erschaffen. Das ist ganz spannend an unserer Arbeit und unterscheidet uns, glaube ich, von anderen Betrieben. Die traditionellen, von Hand gemachten Kollektionen bleiben natürlich erhalten. Mein Fokus bei den neuen Schmuckstücken liegt aber definitiv auf dem 3-D-Druck. Hier haben wir ein Alleinstellungsmerkmal.
Wohin entwickelt sich die Schmuckbranche?
Ich sehe schon, dass es sehr stark in Richtung Individualisierung geht und dass man mit den heutigen Methoden sehr persönliche Stücke anfertigen kann, ohne ein Vermögen ausgeben zu müssen. Mir geht es hier wirklich um den Herstellungsprozess. Man könnte ein Stück in Silber oder in 18-Karat-Gold mit Diamanten ausdrucken und das eine Stück kostet 50 Euro und das andere 50.000 Euro; uns geht es hier aber um den Prozess, etwas Persönliches zu erschaffen. Unter traditionellen Betrieben herrscht eine relativ schwerfällige Stimmung, aber ich glaube, dass man da sehr viel mit neuen Methoden machen kann. Ausserdem geht der Trend, glaube ich, viel mehr in Richtung Onlinehandel. Die Stores werden kleiner und funktionieren fast wie kleine Galerien. Bestellt wird dann aber über das Internet. Unser erster Store in Wien ist auch ein Pop-up-Store. Dieser wird von uns dann im neuen Jahr als Showroom weitergeführt. An den vielen Pop-up-Stores, die auch in Wien eröffnen, sieht man, dass der Trend immer mehr zu Schaustücken geht.
Sie planen, Ihre Stücke nicht nur in Wien, sondern auch in Zürich, London und München in eigenen Shops anzubieten. Warum die Internationalisierung?
Unser Fokus liegt derzeit natürlich auf dem Store in Wien. Von hier aus möchten wir unsere Partner wie jene in Hongkong beliefern. Wir sind aber auf der Suche nach Stores, hier spielt jedoch die Lage eine wichtige Rolle. In den Städten brauchen wir nämlich nur eine ganz kleine Verkaufsfläche mit nur einem Printer, der vor Ort druckt und an dem die Kunden ihre personalisierten Stücke abholen können. Das ist das Ziel für die Zukunft. Wir sehen aber das flexible Modell als zeitgemäss und konzentrieren uns auch sehr auf den Onlinehandel. Derzeit sind wir 15 Personen, davon ein Fünftel traditionelle Goldschmiede, in der Werkstatt, dann noch zwei andere Architekten, die sich auch aufs Programmieren spezialisiert haben, und wir haben jemanden, der sich um Finanzen, und jemanden, der sich um die Wholesale-Tätigkeiten kümmert. Mit unseren Stores in Städten wie Zürich, London oder München möchten wir aber natürlich eine urbane Kundschaft erreichen, die auch onlineaffin ist.
Was zeichnet Ihre Zielgruppe noch aus?
Natürlich fällt es mir leicht, Menschen in meinem Alter, um die 30 Jahre, anzusprechen. Es ist sehr schön, wenn man sich das erste Mal etwas Wertvolleres leisten kann, und dann soll es auch etwas Besonderes sein. Gleichzeitig ist aber auch die Generation meiner Mutter an den hochpreisigen Stücken aus dem 3-D-Drucker interessiert. Die Zukunft unseres Geschäfts sehe ich darin begründet, dass die Designs im ersten Schritt materialunabhängig sind und wir dadurch die Möglichkeit haben, den Fokus in erster Linie auf den Entwurf und nicht auf den Preis zu legen.
Wie läuft der Prozess vom ersten Design bis hin zum fertigen Schmuckstück?
Grundsätzlich fertigen wir zuerst 3-D-Skizzen an. Meistens gehen wir dabei von einer Geometrie aus. Ich schaue mir zum Beispiel Bilder von natürlichen Strukturen an, die alle mathematisch aufgebaut sind, aber wo jedes Artefakt ein bisschen anders ist als alle anderen auf der Welt. Basierend darauf kann man recherchieren und mathematisch analysieren, wie man das programmiert. Dann werden die ersten Prototypen entwickelt.
Nun haben Sie bereits 3-D-Kollektionen erschaffen. Welche Ziele haben Sie für die Zukunft?
Das Ziel ist es, in einem ersten Schritt unseren Wholesale-Deal gut umzusetzen und auszubauen. Wir möchten international als erste Firma wahrgenommen werden, die mit dieser Technologie arbeitet beziehungsweise gearbeitet hat.
Text: Manuela Tomic
Dieser Artikel ist in unserer Oktober-Ausgabe 2018 „Handel“ erschienen.