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Daten und Informationen führen zu Empowerment – behauptet zumindest Lea von Bidder. Die Mitgründerin des Start-ups Ava hilft Paaren, ihren Kinderwunsch zu erfüllen – mit einem Bracelet.
„Unsere Vision ist es, Frauen in all ihren Lebensabschnitten zu begleiten. Wir wollen ihnen mehr Wissen und Kontrolle über ihren Körper sowie ihre Gesundheit geben.“ Es ist ein klar verständliches und ansprechendes Mission Statement, das Lea von Bidder gleich zu Beginn unseres Gesprächs in nur zwei Sätzen formuliert. Was jedoch auch eine NGO im Medizinbereich von sich sagen könnte, wird durch den nächsten Satz zur Strategie eines Technologieunternehmens: „Wir versuchen, mithilfe von auf Daten basierenden Erkenntnissen das Leben von Frauen zu verbessern.“
Denn Lea von Bidder ist mit ihrem Start-up Ava in einem neuen Markt unterwegs, den sie selbst als „Digital Women’s Health“ bezeichnet. Das Unternehmen entwickelte ein Bracelet, das Frauen helfen soll, ihre fruchtbaren Tage zu prognostizieren, um so den Zeitpunkt für eine Schwangerschaft besser timen zu können. Zu den mithilfe des nachts getragenen Bracelets gemessenen Parametern gehören die Körpertemperatur, der Ruhepuls, Atemfrequenz, Schlaf, Wärmeverlust, Durchblutung, Bewegung, Herzfrequenz und Pulsrate. Diese Daten werden gesammelt, ausgewertet und für eine genaue Prognose der Zyklusphase der Frauen genutzt.
Dabei nutzt von Bidder gemeinsam mit ihren drei Mitgründern einen Rückstand des Marktes: „Die am Markt erhältlichen Produkte für Schwangerschaft und Verhütung waren altmodisch und mühsam in den Alltag zu integrieren.“ Dazu gehören etwa die morgendliche Temperaturmessung, die für Frauen nicht nur schwierig umsetzbar, sondern auch ziemlich ungenau ist – oder Urintests, die noch umständlicher sind.
Die von Ava auf der eigenen Homepage ins Rennen geführten Zahlen sind jedenfalls beeindruckend: „Ava erkennt mit einer Genauigkeit von 89 Prozent nachweislich 5,3 fruchtbare Tage pro Zyklus.“ Auch deswegen sagt von Bidder, dass hier grosser Bedarf bestehe: „Wir haben eine echte Forschungslücke in diesem Bereich.“
Lea von Bidder
…studierte Betriebswirtschaft und Management in St. Gallen, Lyon, China, Montreal und den USA. Nach ihrem Studienabschluss gründete sie im indischen Bangalore ein Unternehmen, das sich der Schokoladeproduktion widmete. 2014 starteten von Bidder und ihre drei Mitgründer Ava, heute lebt und arbeitet die Zürcherin in San Francisco.
Die Idee zu Ava kam Pascal Koenig gemeinsam mit Peter Stein, heute Forschungschef, 2014. Die beiden hatten bereits Erfahrung im Bereich Wearables und wollten – auch wegen persönlicher Erfahrungen – das Feld der Fruchtbarkeitsmessung erobern. Das Gründerteam komplettierten sie mit Philipp Tholen (Product und Operations) und eben Lea von Bidder, die neben Marketingaufgaben heute auch President von Ava Science ist.
Während Koenig, Stein und Tholen im grössten Ava-Büro in Zürich tätig sind, ist von Bidder die einzige Gründerin, die in San Francisco lebt und das dortige Büro mitverantwortet. Überhaupt sind die USA der grösste Absatzmarkt für Ava, Europa müsse man in dieser Hinsicht noch „etwas wachrütteln“, so von Bidder. Obwohl das auch an der Grösse der Märkte liege: „Wir sind stark am US-Markt vertreten, weil er einfach riesig ist. Beim Pro-Kopf-Konsum sind wir aber sogar in einigen europäischen Ländern stärker.“
Zahlen veröffentlicht das Zürcher Start-up keine, Umsatz, Gewinn, Verkaufszahlen bleiben also unbekannt. Die Grösse des Unternehmens lässt sich lediglich an der Mitarbeiterzahl ablesen: Insgesamt – in Zürich wie in San Francisco – sind rund 85 Mitarbeiter tätig. Die einzige Zahl, die von Bidder preisgibt, ist eine etwas ungewöhnliche Kennzahl für unternehmerischen Erfolg: „Wir haben kürzlich unser 1.000. Ava-Baby gefeiert.“ Damit meint die Wahlamerikanerin Geburten, die mithilfe des Ava-Bracelets ermöglicht wurden. Doch trotz der Erfolge weiss auch von Bidder, dass noch viel Forschung notwendig sein wird: „Je länger wir den Menstruationszyklus erforschen, desto mehr sind wir überrascht, wie wenig wir eigentlich darüber wissen.“
Der Markt für Ava ist jedenfalls da: Laut dem US-Beratungsunternehmen Frost & Sullivan dürfte der globale Markt für Women’s Healthcare bis 2025 auf über 50 Milliarden US-$ Volumen anwachsen. Welcher Anteil davon explizit auf digitale Lösungen – oft als „Femtech“ bezeichnet – entfällt, ist nur schwer zu messen. Doch die Investitionen stiegen an: Seit 2014 wurde rund eine Milliarde US-$ in solche digitalen Gesundheitslösungen für Frauen investiert, zudem nutzen Frauen laut der Studie gegenüber Männern mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit digitale Tools, wenn es um ihre Gesundheit geht.
An diesem wachsenden Kuchen will Ava natürlich mitnaschen. Denn neben der Prognose von fruchtbaren Tagen will sich das Start-up auch in anderen Geschäftsbereichen etablieren. Erste Priorität auf von Bidders Liste: Verhütung. Denn die heute als am sichersten geltende Variante – die Antibabypille – kommt wegen ihres massiven Eingriffs in den Hormonhaushalt von Frauen zunehmend in die Kritik. Auch Ava sieht hier eine grosse unternehmerische Chance – und will eine schonendere Lösung entwickeln: „Wir sind im Bereich Digital Women Health tätig, also ist es wohl keine grosse Überraschung, dass wir uns dieses Feld ansehen. Alle Verhütungsmittel, die heute auf dem Markt sind, haben Trade-offs, weshalb auch viele Frauen unzufrieden damit sind.“ Denn der wachsende Wunsch vieler Frauen, nicht hormonell zu verhüten, ginge aktuell zumeist auf Kosten von Sicherheit und Genauigkeit. „Wir wollen genauer und ‚more convenient‘ als andere nicht hormonelle Alternativen sein. Wir werden aber garantiert nicht genauer als die Antibabypille sein. Unsere Vision ist vielmehr, dass wir diesen Trade-off schmälern können.“ Ava will Frauen also eine sinnvolle Alternative zu hormonellen Verhütungsmethoden bieten.
Doch auch die Phase der Wechseljahre von Frauen oder andere Themen in diesem Bereich könnten für das Start-up ein Geschäftsfeld werden. Den Vorwurf, dass mit den Produkten von Ava einer der letzten romantischen Bereiche des Lebens messbar gemacht und optimiert wird, will von Bidder nicht gelten lassen. „Damit Paare einen Kinderwunsch entwickeln, müssen ganz viele verschiedene Faktoren gleichzeitig zusammenpassen. Und wenn das dann nicht gleich klappt und die Paare nicht informiert sind, geben sich die Menschen oft selbst die Schuld.“
Denn rund 40 Prozent der unerfüllten Kinderwünsche könnten trotz aller Tests nicht erklärt werden, bei den restlichen 60 Prozent fehle es trotz eines Grundes oft am tatsächlichen Verständnis bei den Betroffenen. Somit sieht von Bidder den eigenen Ansatz als einen Schritt zu mehr Selbstbestimmtheit – und formuliert gleich eine Erweiterung der eingangs erwähnten Mission von Ava: „Daten und Informationen führen zu Empowerment.“
Text: Klaus Fiala, Mona Saidi
Dieser Artikel ist in unserer September-Ausgabe 2018 „Women“ erschienen.