Ready for takeoff

Während Airbus und Boeing mit Auftragsstaus und politischen Risiken kämpfen, setzt der österreichisch-schweizerische Zulieferer Montana Aerospace auf Expansion. Co-CEO Kai Arndt über antizyklische Investitionen, den Fokus auf das Kerngeschäft – und darüber, wie Montana nicht zum Engpass für die grossen Flugzeugbauer wird.

Das Epizentrum von Montana Aerospace liegt nicht etwa an einem Flughafen, sondern mitten in der Wiener Innenstadt: Im Varta-Haus am Getreidemarkt ­befindet sich der Sitz des Unternehmens, dessen ­grösster Anteilseigner Michael Tojner hier seine Beteiligungen bündelt. Der Standort soll auch perspektivisch eine wichtigere Rolle übernehmen – denn das Unter­nehmen ist mit ­seinen 7.600 Mitarbeitern relativ dezentral aufgestellt: Der rechtliche Hauptsitz von Montana Aerospace ist seit jeher in der Schweiz, insgesamt umfasst das Unter­nehmen 22 Standorte in 17 Ländern.

Mitten im Konferenzraum, in dem das Interview
mit Kai Arndt stattfindet, steht ein Flugzeugmodell – ein Symbol für das Kerngeschäft, das Arndt als Co-CEO verantwortet: Aerostructures, also salopp gesagt: all jene Strukturen, die Flugzeuge zusammenhalten.

Nach über 30 Jahren bei Airbus ist Arndt seit vier Jahren bei Montana Aerospace und vor allem Chef des wichtigsten Segments. Arndt ist gemeinsam mit dem zweiten Co-CEO Michael Pistauer für den massiven Umbau des Unternehmens zuständig; denn für Montana Aerospace sind in Zukunft vor allem zwei Themen entscheidend: Fokus auf das Kerngeschäft und Marge.

„Dieses Jahr wird in gewisser Weise ein Wendepunkt für uns“, sagt Arndt. „Wir haben über die letzten Jahre massiv investiert, davon alleine über 600 Mio. € in neue Werke. Jetzt ist die Zeit gekommen, dass sich diese ­Investitionen auszahlen.“

Die Entwicklung ist vielversprechend: Im ersten Halbjahr 2025 kletterte der Umsatz des Unternehmens auf 820 Mio. €, das EBITDA lag bei 101,4 Mio. €. Dass ein Unternehmen, dessen Hauptkunden Airbus und Boeing ihre Produktionsraten nicht wie geplant hochfahren, trotzdem zweistellige Margensteigerungen meldet, zeigt vor allem eines: Die vertikale Integration, die Montana seit Jahren predigt, zahlt sich aus. Parallel zieht das Energy-Segment, getrieben von der globalen Energiewende, überraschend stark an.

Dieses Jahr wird in gewisser Weise ein Wendepunkt für das Unternehmen.

Kai Arndt

Für das Gesamtjahr wurde die Guidance bestätigt: 1,6 Mrd. € Umsatz und ein EBITDA von 200 Mio. €. Für Montana ist das ein Befreiungsschlag. Während Corona und später während des Ukrainekriegs trug das Geschäft mit Kupferteilen im Energiesegment und Automotive noch durch die Krise. Doch die Strategie ist längst eine andere: „Wir entwickeln uns zu einem puren Aerostructures-Unternehmen“, erklärt Arndt. Auto­motive (E-Mobility) ist bereits verkauft, Energy soll ­abgespalten oder mit Partnern weitergeführt werden. Die Fokussierung ist für Arndt nicht nur eine strategische Entscheidung, sondern auch eine Frage der Klarheit: „Es ist für jede Firma richtig, sich auf ein Kernthema zu konzentrieren“, sagt der Co-CEO.

Dass Montana Aerospace heute überhaupt an diesem Punkt steht, ist das Resultat einer Wette: In der Krise, als die Branche auf Sparflamme lief, investierte Montana antizyklisch rund 650 Mio. € in neue Werke, vorrangig in Rumänien und Vietnam. „Wahrscheinlich waren wir die Einzigen, die diesen Mut hatten“, sagt Arndt. „Damals war es eine Durststrecke – jetzt zeigt sich, dass es richtig war.“

Die Strategie folgt einem klaren Muster: vertikale Integration. Statt einzelne Bauteile zu liefern, bietet Montana das gesamte Spektrum – vom Rohmaterial bis zum kompletten Skelett. „Ich sage es mal flapsig: Wenn Sie bei einem Flugzeug die Hülle wegdenken, dann bleibt ein komplexes System von hochbelastbaren Strukturteilen – wenn Sie so wollen: das Skelett. Alles, was dann noch zu sehen ist, können wir aus einer Hand produzieren und liefern“, sagt Arndt. Das reicht von Sitzschienen über Stringer (Längsversteifungen, die das Ausbeulen von Bauteilen verhindern; Anm.) bis hin zu ganzen Sektionen.

Ein Beispiel: Für den Airbus A 350 wurden Sitzschienen früher von fünf verschiedenen Lieferanten quer durch Europa hergestellt – insgesamt 14.000 Kilometer legten die Bauteile zurück, bevor sie ins Flugzeug eingebaut wurden. Heute fertigt Montana sie in Rumänien an einem Standort. „Die Lieferzeit ist mit uns von 15 auf drei Monate gefallen – ein toller Business Case für uns und eine Bestätigung unseres One-Stop-Shop-Konzepts“, so Arndt.

Doch so klar die Strategie wirkt, so gross sind die anstehenden Herausforderungen. Airbus und Boeing haben Schätzungen zufolge einen Auftragsbestand von mehr als 10.000 Flugzeugen, manche Experten sprechen von 14.000 Flugzeugen. Das bedeutet rund sieben Jahre Vollauslastung. Darin steckt aber auch ein gewisses Risiko: Bahnbrechende Innovationen sind deutlich schwerer umzusetzen, wenn man genau weiss, dass die nächsten sieben Jahre nur der Backlog abgearbeitet wird. „Wenn ich heute Flugzeuge verkaufe, die erst im nächsten Jahrzehnt geliefert werden sollen, ist der Druck, ein neues Modell zu bauen, vielleicht nicht so gross. Andererseits sind die Airlines gezwungen, ihre Flotten energieeffizient und ressourcenschonend aufzustellen – das ist ein Innovationsmotor für die grossen Hersteller“, so Arndt.

Dazu kommen geopolitische Risiken. Die Diskussion um US-Strafzölle machte selbst Montana kurzzeitig nervös, die Situation beruhigte sich schliesslich aber schnell wieder. Arndt: „Wir sind global aufgestellt, und zudem ist der Bereich Aviation von den US-Zöllen aus­genommen.“ Doch das Beispiel zeigt: Montana ist kein regionaler Nischenplayer mehr, sondern tief in die geopolitische Tektonik eingebunden. Politische Scharmützel und Handelskonflikte können massive Aus­wirkungen auf das Geschäft haben.

Arndt selbst bringt die Erfahrung eines Konzern­managers mit. Über zwei Jahrzehnte war er beim europäischen Flugzeugriesen Airbus tätig, hat dort unter anderem auch an Kabinenentwürfen gearbeitet. „Ich erwische mich heute noch, dass ich mir Küchen im Flugzeug genau ansehe“, sagt er. Die Leidenschaft fürs Fliegen sei geblieben, 2021 kam er als Co-CEO zur Montana Aerospace AG. Dort erlebte er eine ganz andere Dynamik: kürzere Entscheidungswege, eine stärker unternehmerisch getriebene Organisation. Hauptaktionär Michael Tojner ist durchaus präsent, wenn auch nicht im Tagesgeschäft; man befinde sich „in sehr guter Abstimmung“, so Arndt. Und obwohl Montana seit 2021 an der Schweizer Börse notiert ist, spürt Arndt weniger die Schwere eines Konzerns als die Geschwindigkeit eines Mittelständlers mit globalem Anspruch.

Montanas Chancen liegen aber nicht nur in der klassischen Luftfahrt: Der Space-Markt wächst schnell, vorrangig getrieben von US-Playern wie Space X und Blue Origin; aber auch Europa baut Kapazitäten auf. „Heute macht Space maximal 10 % unseres Umsatzes aus. Das Potenzial ist aber deutlich grösser“, sagt Arndt. Die Logik ist dieselbe wie im Kerngeschäft: ein One-Stop-Shop vom Recycling bis zum Endprodukt. Das Potenzial ist riesig: Bis 2035 wird das Marktvolumen der globalen „Space Economy“ laut dem Beratungshaus McKinsey auf 1,8 Bio. US-$ (1,5 Bio. €) wachsen. PWC sieht das ähnlich und erwartet bis 2040 eine Marktgrösse von zwei Bio. US-$. Zum Vergleich: 2023 betrug der Markt rund 630 Mrd. US-$.

Auch Defense – gerade in Europa aktuell eine ­Branche, die viel Aufmerksamkeit auf sich zieht –
spielt zunehmend eine Rolle. In Belgien ist Montana
in ­mehrere Initiativen eingebunden. Arndt betont aber: „Das wird nie unser Core-Business werden. Wir bleiben bei Aerostructures. Alles andere ist Ergänzung.“

Montana peilt mittelfristig 20 % EBITDA-Marge im Aerostructures-Bereich an. „Wir sind finanziell sehr gesund aber auch flexibel und haben nicht den Druck, schnell etwas entscheiden zu müssen“, erklärt Arndt. Das Wachstum soll vorrangig aus eigener Kraft kommen: Mittelfristig können laut Arndt zwei Mrd. € Umsatz rein organisch erreicht werden. Übernahmen seien möglich, doch er schränkt hier klar ein: „Keine ­wilden Geschichten. Wir verdienen unser Geld selbst und re­investieren es wieder ins Unternehmen oder ­zahlen es in Form von Dividenden an unsere Aktionäre.“

Auf die Frage, was ihm schlaflose Nächte ­bereitet, antwortet Arndt überraschend konkret: „Nicht die ­grossen Strategien, sondern die Frage, ob wir die ­Ratensteigerung der grossen OEMs mitgehen können – wie weit wir die Kapazitäten erhöhen, Personal rechtzeitig aufbauen können.“ Denn Boeing und Airbus wollen ihre Produktion perspektivisch um 30 bis 40 % steigern. „Das ist leicht gesagt, aber dahinter steckt auch für uns eine enorme Arbeit“, so Arndt.

Für ihn ist jedenfalls eindeutig zu sehen, dass sich die Investitionen und die harten Zeiten der ­letzten Jahre auszahlen. Der Fokus sowie die Strategie seien klar, deutliche Abweichungen davon erwartet der ­Manager nicht: „Unsere Strategie ist erfolgreich. ­Warum sollten wir die jetzt umschmeissen?“

Zum Schluss dreht sich das Gespräch um Persönliches. Steigt er nach all den Jahren noch gerne in ein Flugzeug? „Immer mit Freude“, sagt Arndt. Dass die Bauteile, die er verant­wortet, unsichtbar im Gerippe stecken, stört ihn nicht. Im Gegenteil: „ Flugzeuge mitzubauen – das ist für mich das Tollste, was es gibt.“

Fotos: David Višnjić

Klaus Fiala,
Chefredakteur

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen Sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.