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Glencore aus der Schweiz ist einer der grössten Rohstoffkonzerne der Welt. Seit einiger Zeit betont das Unternehmen seinen Beitrag zum Klimaschutz – doch den gibt es nicht sofort.
Raus aus der Kohle – nur bitte nicht so schnell: So kann man die Klimaschutzstrategie des Rohstoffgiganten Glencore zusammenfassen, der von der Schweiz aus ein weltumspannendes Netz an Förderunternehmen betreibt. Bis 2050 will Glencore emissionsfrei werden, bis 2035 den CO2-Ausstoss um 40 % gesenkt haben. Bevor das erreicht werden kann, soll der Kohleabbau aber weiterhin Profite bringen – daher vergrössert das Unternehmen ihn zunächst, um ihn dann abzuwickeln.
Kürzlich kaufte Glencore seinen Ex-Partnern BHP und Anglo American ihre Anteile an der grössten offenen Kohlemine der Welt für insgesamt rund 100 Millionen US-$ ab. Das war aufgrund eines starken Kohlejahrs viel weniger als die ursprünglich avisierten 588 Millionen US-$. Nun sind die Schweizer alleinige Besitzer der Mine El Cerrejón in Kolumbien. Von hier aus exportiert Glencore Kohle in die ganze Welt.
Eine enorm komplexe Situation habe er bei seinen Reisen in die kolumbianische Provinz Guajira vorgefunden, sagt Stephan Suhner von der Schweizer Organisation Multiwatch. So weit das Auge reicht, ist die Grenze zu Venezuela von riesigen Kohleflözen durchzogen. Glencore fördert in El Cerrejón rund 30 Millionen Tonnen Kohle im Jahr. Cerrejón ist eine Firma mit kolumbianischem Management, die Verantwortung liegt aber bei den Schweizern. In der Gegend um die Mine wohnen vor allem afrokolumbianische und indigene Gemeinschaften, darunter Angehörige der Wayú. Immer wieder kommt es zu Konflikten mit den Anwohnern und Gewerkschaften, weil die Luft verschmutzt ist; Familien klagen über Krankheiten. Für die Mine mussten Zehntausende Menschen in den letzten Jahrzehnten ihr Zuhause aufgeben – wie im Bergbau üblich organisieren die Unternehmen die Umsiedlung. Die entspreche nicht immer dem, was die lokalen Gemeinschaften wollen und brauchen, sagt Suhner. So hätten Menschen, die bislang von Viehzucht gelebt hätten, nichts davon, wenn man ihnen eine Umschulung zum Motorrad-Taxifahrer anbiete. Auch die neuen Wohnungen für die Umgesiedelten hätten ihren Gewohnheiten und Bräuchen nicht entsprochen. „Manche haben sich dann neben der neuen Wohnung eine Hütte gebaut“, sagt der Aktivist. Für den Kohlebergbau wurden Flüsse umgeleitet, die früher die Dörfer mit Wasser versorgten – heute ist Wasserknappheit eines der grössten Probleme der Menschen.
Suhner erinnert sich daran, wie er bei einer Besichtigung der Mine neben dem ehemaligen Glencore-Chef Ivan Glasenberg im Bus gesessen habe. Der habe ihm gesagt, die Menschen hätten früher in „Dreckslöchern“ gelebt, ihnen gehe es heute viel besser. Heute wird das Unternehmen von Gary Nagle geleitet; viele Kritiker bescheinigen Glencore eine verbesserte Kommunikation. Umsiedlungsprojekte würden in enger Abstimmung mit den indigenen Gemeinschaften durchgeführt, betont der Konzern. Vorletztes Jahr schaltete sich auch David Boyd, UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, in die Diskussion um El Cerrejón ein: Die kolumbianische Regierung müsse mehr tun, um die Bevölkerung vor Umwelt- und Luftverschmutzung zu schützen. Boyd forderte, dass die kolumbianische Regierung Teile der Mine schliessen müsse. Angehörige der Wayú hatten beklagt, dass die Wiederinbetriebnahme der Kohleförderung während der Pandemie ihre Gesundheit gefährde.
Die riesige Kohlemine in Kolumbien ist nur ein Beispiel für den hohen Preis, den die Bevölkerung vor Ort für den Rohstoffbedarf der ganzen Welt zahlt. Glencore betreibt ein weltumspannendes Netz von Minen; neben Kohle baut man Kupfer, Kobalt, Zink oder auch Gold ab – in Australien, Südamerika und mehreren afrikanischen Ländern. Einst war der Konzern vor allem für seine Verschwiegenheit bekannt: Berichte über Korruption und Steuerhinterziehung in armen Ländern wie Sambia bestimmten das Image – seit dem Börsengang 2011 bemühte man sich um mehr Transparenz. Heute veröffentlicht das Unternehmen Nachhaltigkeitsberichte, wehrt sich jedoch gegen grössere staatliche Eingriffe. Dementsprechend erleichtert war man in der Zentrale in Baar wohl, als kürzlich eine Initiative, internationale Grossunternehmen stärker zu regulieren, scheiterte. Diese „Konzernverantwortungsinitiative“ hätte es Gemeinschaften wie in Kolumbien unter anderem ermöglicht, vor Schweizer Gerichten zu klagen.
Wäre es möglich, selbst Minen nachhaltiger zu betreiben? Natürlich. Das kostet dann auch mehr.
Gernot Wagner, New York University
Von politischer Seite hat Glencore in der Schweiz wenig zu befürchten – Ärger gibt es dagegen mit Investoren. Immer wieder kehren grosse Shareholder dem Unternehmen den Rücken. Im Herbst letzten Jahres zog sich der niederländische Rentenfonds ABP zurück und verkaufte seine Anteile im Wert von 57 Millionen €. Das Rohstoffunternehmen sei zwar „offen für Input und hat einige Verbesserungen vorgenommen“, hiess es seitens des Fonds – um alle Bedenken auszuräumen, habe das aber nicht gereicht. Die Investition in Glencore bedeute „signifikante Risiken im Bereich Nachhaltigkeit, darunter Bestechung, Korruption, Konflikte mit lokalen Communitys, Umweltverschmutzung und schlechte Arbeitsbedingungen“. Die Diskussion um Kinderarbeit im Kongo spielte für den Rentenfonds ebenfalls eine Rolle. Zwar gebe es keine Hinweise darauf, dass Glencore Kinderarbeit direkt nutze, in kleineren Minen im Kongo finde sie beim Kobaltabbau aber noch statt.
Der norwegische staatliche Vermögensfonds geht einen ähnlichen Weg. Im Jahr 2020 setzte er neben Unternehmen wie RWE und Anglo American auch Glencore auf eine schwarze Liste, weil die Investitionen den Klimaschutzzielen des Landes zuwiderliefen. Der aktivistische Investor Bluebell wiederum forderte Glencore im vergangenen Herbst auf, sich früher als geplant aus der Kohleproduktion zurückzuziehen: Weitere Jahrzehnte vergehen zu lassen sei „moralisch inakzeptabel und finanziell bedenklich“.
„Die Investorenrückzüge haben Auswirkungen, sie machen durchaus einen Unterschied. Glencore hat aus regulatorischer Perspektive in der Schweiz nicht viel zu befürchten. Ihre grösste Sorge ist die Kritik von Anteilseignern“, sagt Adrià Budry Carbó von der Organisation Public Eye. Auch private Konsumenten seien heute viel kritischer, was ihre Investitionen angehe.
Dass Glencore sein Kohlegeschäft zunächst ausbaut, um dann später Klimaschutzziele zu erreichen, ruft derzeit trotzdem viel Kritik hervor. Die Alternative bestehe im sofortigen Rückzug, betont Wirtschaftswissenschaftler Gernot Wagner, der an der New York University forscht. Das ist nicht immer die bessere Lösung: „Derzeit versuchen viele Unternehmen, ihre Emissionen zu senken, indem sie schmutzige Assets abstossen“, sagt Wagner. „Da kann man leicht seine eigene CO2-Bilanz beschönigen, während man ohnehin unrentable Assets verkauft. Glencore widerspricht scheinbar diesem Trend hier und zeigt zugleich, dass heutige Profite langfristige Klimaziele übertrumpfen.“
Glencore betont, dass eine Mehrheit der Investoren die Klimaschutzstrategie unterstützt habe, und nach dem Rückzug der beiden anderen Betreiberfirmen BHP und Anglo American hätten theoretisch andere Unternehmen die Anteile an El Cerrejón kaufen können. „Mit den beiden anderen Firmen hatten wir eine echte Partnerschaft. Wir waren uns einig, was Compliance, Umweltstandards und finanzielle Fragen anging. Wenn die Anteile auf dem Markt verkauft worden wären, hätten Akteure sie kaufen können, die vielleicht nicht dieselben Ziele teilen. Unser Wille, die Mine bestmöglich zu betreiben, hätte dann verwässert werden können“, sagt Anna Krutikov, Head of Sustainable Development bei Glencore. Im Jahr 2034 läuft die Förderlizenz für El Cerrejón ab, ein Jahr bevor das 40-%-Ziel erreicht werden soll. Klimaökonom Wagner betont, dass das Unternehmen gar keine andere Wahl habe, als Emissionen drastisch zu reduzieren: „Insgesamt ist klar: Es ist nicht die Frage, ob die Welt in Richtung Netto-Null-CO2-Emissionen schreitet, sondern wann.“ Auch in Sachen Umweltschutz und Menschenrechte könnten Unternehmen noch mehr tun, ohne ihre Wettbewerbsfähigkeit zu riskieren, so Wagner. „Wäre es möglich, selbst Minen nachhaltiger zu betreiben? Natürlich. Das kostet dann auch mehr.“
Den OECD-Kontaktstellen in der Schweiz, in Grossbritannien und Australien reichten die Kritikpunkte an Glencore, um kürzlich eine Beschwerde mehrerer Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen anzunehmen. Dabei geht es um die Umweltverschmutzungen und die Lage der Anwohner um die Kohlemine in El Cerrejón. Auch dieses Mal wird es einen Evaluationsprozess geben, an dessen Ende keine konkreten Sanktionen stehen werden, sondern Empfehlungen. Aber jedes dieser Verfahren ist eine Chance auf mehr Öffentlichkeit und damit mehr Druck auf Glencore und andere Rohstoffunternehmen, glauben Aktivisten. „Ich denke, dass die meisten Menschen bereit wären, etwas mehr zu bezahlen, wenn sie wüssten, wie die Rohstoffe für ihre Autos, Telefone und andere Gegenstände gewonnen werden“, sagt Glencore-Kritiker Adrià Budry Carbó.
Text: Frauke Steffens
Foto: Glencore
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 1–22 zum Thema „Ressourcen“.